Was ist wirklich, was ist wahr? – Serie: „Realismus. Das Abenteuer der Wirklichkeit. Courbet, Hopper, Gursky”¦“ in der Hypo-Kulturstiftung München (Teil 1/3)

Edward Hopper, Hotel Lobby, 1943

Stimmt also, was Dali sagt, zumindest für diese Malerei – überprüfen Sie das im Katalog. Denn darf man umdrehen und staunt über diese Wirklichkeit, die man im Museum nur imaginierte. Dieser schöne und aufwühlende Courbet gehört einem Dr. J. L. aus Frankfurt. Das ist selten, ein Privatbesitz mit Namen und Herkunft in Ausstellungen. Ob das damit zu tun hat, daß sich Gustave Courbet in Frankfurt aufhielt, sich verliebte, die Stadt pries. Wirklichkeit. Wahrheit. Zwei Begriffe, die es in sich haben und mit deren Abgrenzung voneinander wir genauso zu tun haben werden wie mit ihrer Gemeinsamkeit.

Die grundsätzliche Unsicherheit, ob wir Realitäten trauen können und als solche identifizieren und wahrnehmen, besteht nicht erst seit heute – im virtuellen Zeitalter, deren Bilderflut uns überschüttet und auch unfähig macht, ein Foto oder ein digitales Bild auf seine Wahrheit hin zu überprüfen, so augentäuschend sind die modernen Technologien. Aber die skeptische Frage nach der Realität, die ja die Frage nach der Wahrnehmung der Wirklichkeit und damit nach der Wahrheit bedeutet, hat spätestens seit 1830 die Künstler bewegt, denn mit der Fotografie war das Medium geschaffen, das die angebliche Wirklichkeit als wahr definierte. Aber das war gleich schon falsch, wie das nächste Bild zeigt. Im Eingangssaal hängt den gemalten Wellen von Courbet „Die große Welle“ gegenüber, – eine Fotografie auf Albuminpapier von Gustave Le Gray von 1857, die ein unendliches Meer zeigt, das in den Himmel übergeht, atmosphärisch dicht, – keine wirklicheMomentaufnahme, sondern eine Montage zweier mit unterschiedlicher Belichtung aufgenommenen Fotografie, die Dichte der Atmosphäre, das Stimmungshafte also letztlich eine Fälschung, wenn wir es nicht als Kunstwerk betrachten, sondern als Wirklichkeit.

Der Begriff des „Realismus“ hatte Courbet in die Kunstbetrachtungen eingeschleust, denn er hatte 1853 seinen Protest gegen die langweilige und alles andere ausschließende akademische Malerei in einer Ausstellung mit dem zukunftsweisenden Titel „Pavillon des Realismus“ formuliert. Seit damals, der Mitte des 19. Jahrhunderts, ist das komplexe wie faszinierende Phänomen Thema der Künstler und Thema der Kunstgeschichte geblieben. Die Münchner Ausstellung versucht auf der Basis von 180 Werken dieser Fragestellung nachzugehen, wobei man in der Ausstellung selbst bemerkt, daß nicht „Courbet, Hopper, Gursky”¦“ wichtig sind, sondern die drei Pünktchen. Denn tatsächlich tragen 120 internationale Künstler dazu bei, „das Abenteuer der Wirklichkeit bestehen zu wollen, was – wie wir dann in der Ausstellung merken- exemplarisch an den Bildgehalten vorgeführt wird, die sich nach der Differenzierung des ehemals rein christlichen Bildes als Porträt, als Historienbild, als Genre, als Landschat etc. als Einzelbild emanzipiert hatten.

„Nasa-Apollo11“ zeigt den ersten Fußabdruck eines Menschen auf dem Mond, 1969, als Farbfotografie. Aber man sieht nur schwarz-weiß. Und während wir noch mit der großen Fotografie von Thomas Demand „Gate 2004“, das eine der Sicherheitskontrollen am Flughaben überdimensioniert zeigt, den Zusammenhang dieser Bild ergründen, lesen wir schon über das Historienbild als oberste Kunstgattung. Aber gerade das Historienbild ist qua Definition nicht realistisch, sondern idealisiert gesellschaftliche Tugenden oder historisches Personal. Das lesen wir auch an der Wand und lesen weiter: „Das traditionelle Historienbild wurde in der demokratischen Gesellschaft zunehmend verdrängt Nur in totalitären Staaten herrschen bis heute Bedingungen, um propagandistische Historienbilder alter Art zu realisieren.“ Im Text an der Wand fehlt die Fortsetzung: Das heutige Historienbild sieht man jeden Tag in der Zeitung, beispielsweise wie Angela Merkel, Bundeskanzlerin, in den Medien wohlwollend im Foto begleitet wird. Schon die Häufigkeit der Darstellungen legt ihre Bedeutung fest.

Klar, Anton von Werner, Hofmaler der Hohenzollern, hat „Kaiser Friedrich als Kronprinz auf dem Hofball 1878“ im Jahr 1895 noch theatralisch dargestellt, heldenhaft auch in der Aufmachung, aber solch ein Bild heute würde die Leute nur lachen machen. Das Historienbild hat sein Antlitz zeitgenössisch verändert. Historienbilder sind unsere Abbildungen von Politikgrößen dennoch. Nicht nur Personen, auch Gerhard Richters „Mustangs“ das Foto eines Kampfgeschwaders in der Luft von 2005 ist Historienbild, es atmet Macht, demonstriert sie wie Gewalt, wer über diese Flugzeuge hoch im Himmel und hier auf die Erde niederstürzend verfügen kann. „Stukas“, ähnlich in der Aussage und im Sujet, Öl auf Leinwand, malte Richter schon 1964.

Bis 5. September

Die Ausstellung geht leicht verändert in die Kunsthal Rotterdam.

Katalog: Realismus. Das Abenteuer der Wirklichkeit, hrsg. non Christiane Lange und Nils Ohlsen, Hirmer Verlag 2010

Der Katalog bildet nicht nur alle Bilder der Ausstellung ab, sondern handelt die Themenstellung „Realismus“ auch durch kunsthistorische Aufsätze ab, in denen nach `Bild und Wirklichkeit` – als Ausgangspunkt genommen – gefragt wird, „Wie kommt die Wirklichkeit ins Bild?, geht es weiter und eine“ Begriffsbestimmung Realismus“ wird vorgenommen. Dies setzt voraus, daß auf die Fotografie eingegangen werden muß und Courbet die Hauptrolle spielt. Sehr hilfreich ist am Ende die alphabetische Auflistung der Künstler und ihrer Werke, bei denen die Seitenzahl der Abbildung zugefügt ist. Der Katalog zeigt, daß die Ausstellung auf ihren Stationen Bilder verliert und gewinnt, ein normaler Vorgang auf Ausstellungwegen, weshalb aber die Kataloge umfassender als die Ausstellungen sind.

www.hypo-kunsthalle.de

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