Geheimpapiere über Geheimpapiere, unterdrückte interne Debatten und Meinungsbildung nur von oben nach unten, da fühlt sich der Ossi-Deutsche doch richtig wieder zuhause. Ja, so war sie einst auch, unsere führende Arbeiterpartei! Aber während sich diese unter schmerzhafter Vergangenheitsbewältigung, geradezu in vollständiger Metamorphose (Raupe, Puppe, Falter? oder Wespe?) über PDS zur LINKEN, von einer Partei der alten Männer zu einer solchen der jungen Frauen entwickelt hat, nimmt die SPD immer mehr die Züge der Ulbricht-Partei an, nach ihrem 17. Juni der Mundtotmachung der real-existierenden Arbeiterklasse, Chiffre 2010, unfähig die jüngste Vergangenheit zu bewältigen.
Nun hatten wir es im Laufe der Besprechung dieses Buches schon mit zwei internen Geheimpapieren der SPD zu tun. Nun kommt ein drittes ins Spiel. Aber auch den USA konnte ihr Atomwaffengeheimnis entrissen werden! (Was es eigentlich garnicht gab, denn die Arbeiten Otto-Hahns zur Kernspaltung waren jedermann zugänglich international veröffentlicht. Nur in den konstruktiven Details waren die USA 1945 den anderen eine Nasenlänge voraus.) Der SPD ergeht es nicht besser mit ihren Wunderwaffen. Das Geheimpapier der SPD, um das es jetzt geht, stammt vom April 2008 und hört auf den schönen Namen „Die Linke – ihre Wählerschaft im Westen, Programmatik und strategischer Umgang“.
Was in diesem Geheimpapier unter Punkt 6 „Strategischer Umgang mit den Linken“ steht, kommt zunächst recht seriös daher: „Über eigene Themen Profil zeigen. Zentraler Gegner ist die Union. 20 Jahre nach dem Mauerfall: Rhetorik des kalten Krieges (und damit implizite Wählerkritik) vermeiden. Dort wo klar nachweisbar, unklares Verhältnis zur Vergangenheit aufzeigen. Souveränität zeigen. Als gegnerische, aber legitime Partei im demokratischen Spektrum akzeptieren. Spitzenpersonal in der Sache angreifen, nicht persönlich attackieren.“ So weit, so gut! Der nächste Anstrich verlangt dann allerdings von den geplagten wahlkämpfenden SPD-Genossen die Quadratur des Kreises: „Glaubwürdigkeit, klare Aussagen vor Wahlen.“
Unter Punkt 7 „Programm und Inhalt der Linken – Zentrale Angriffspunkte“ wird dieses Papier dann allerdings ausgesprochen demagogisch. Da wird der LINKEN zunächst vorgeworfen, eine „Sozialpolitik zulasten der Mehrheit zu wollen. Hier soll ein Keil getrieben werden zwischen die Arbeitslosen, Rentner etc. und denjenigen, die bislang noch Arbeit haben, denen man einreden will, letztere sollten sollten für höhere Sozialleistungen stärker belastet werden. Diese Argumentation ist eine vorsätzliche Lüge, denn natürlich will die LINKE nur die Profiteure der heutigen Ordnung stärker belasten, diese sind aber keine gesellschaftliche Mehrheit, sondern eine gesellschaftliche Minderheit. Der eigentliche Skandal aber ist, dass die SPD, die rhetorisch die Solidarität zu ihren wesentlichsten Grundwerten zählt, hier die Entsolidarisierung der noch arbeitenden von den schon Arbeitslosen betreibt.
Weiterhin wird der LINKEN „Grundsätzliche Ablehnung der Eigenverantwortung von Bürgern“ vorgeworfen. Hier übernimmt man also das vergiftete, pseudoemanzipatorische Vokabular der asozialen Liberalen, welche „Reformen“, die Sozialabbau zum Inhalt haben, die es vielen Menschen immer schwerer machen, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten, das Etikett „Eigenverantwortung stärken“ aufpappen.
Massive Belastung der kommenden Generationen“ ist dann der nächste Paukenschlag. Als dieses Papier zusammenfabuliert wurde, ahnten die brav marktgläubigen Sozialdemokraten wohl noch nichts von der Krise. Nun müssen sie selbst die kommenden Generationen großkoaltionär mit immer neuen Staatsschulden belasten. Entlasten können sich diese kommenden Generationen ohnehin im Wesentlichen nur durch die Einführung einer saftigen Vermögenssteuer, eine solche wird aber z.Zt. nur von der LINKEN gefordert. Sie werden diesen Weg ohnehin früher oder später gehen, diese kommenden Generationen, denn wie schon Gerhard Schröder sagte, der ja manchmal auch einen Lichtblick hatte: „Notwendigkeiten verschaffen sich früher oder später parlamentarische Mehrheiten.“
„`Mehr Geld für alle` ist eine Luftbuchung“ lautet ein weiterer Tiefschlag gegen diese Linkspopulisten, oder versucht dieses zumindestens zu werden. „Luftbuchung“ ist in meinem BWL-Lehrbuch ebensowenig definiert, wie in dem über Buchführung, soll aber wohl heißen „Unmögliches“. In Wahrheit ist mehr Geld für alle garnicht schwer, man muss es einfach nur drucken, oder nicht einmal das, die Zentralbank „schöpft“ es einfach und leitet es dann digitalisiert in die Netze. Wir sehen es ja jetzt in der Krise, wie schnell man Unsummen aus dem Ärmel holen kann. Dass die Aufblähung des Geldumlaufs bei gleichbleibendem Gesamtangebot von Waren und Dienstleistungen, in der Regel zu einer inflationären Geldentwertung führt, ist natürlich die Kehrseite der Medaille von mehr Geld für alle: Gebt ausnahmslos allen genau das Doppelte von dem, was sie jetzt haben und sie können sich dann davon genau so viel leisten, wie jetzt. Aber wer will denn das? Ich habe noch gar keinen Politiker der LINKEN gehört, der gefordert hätte, Millionäre und Milliardäre, Hypergroßverdiener, Großunternehmen, Aktiengesellschaften etc. durch weitere Steuersenkungen zu entlasten. Solche Töne kommen doch hauptsächlich von CDU, CSU und FDP. Bei den LINKEN hört man eher etwas von weniger Geld für einige wenige, die ohnehin schon viel zu viel haben, und etwas mehr Geld für viele und das kann man durchaus als nichtinflationäres Nullsummenspiel durchrechnen.
Aber die Versprechungen dieser Populisten haben eine Finanzierungslücke von über 150 Milliarden Euro, müssen wir nun erfahren. Richtig, immer sauber bleiben mit dem Geld, bloß nichts Unseriöses: Stopft die Milliarden lieber den Banken in den Rachen, damit die wieder was zu verzocken haben! Aber Spaß beiseite: Diese Finanzierungslücke ergibt sich genau dadurch, dass man die aus den Forderungen der LINKEN resultierenden Mehrausgaben des Staates zusammenrechnet, die von der gleichen Partei ebenso zur Gegenfinanzierung geforderten Mehreinnamen des Staates aber als von vornherein unrealistisch betrachtet und nicht gegenrechnet. In dieser Form ist diese Aussage also unredlich. O.k., mag sein, dass es in der LINKEN durchaus Utopisten gibt, die nicht so gut mit Geld rechnen können, aber mit welchem Recht kann man dies vom früheren Finanzminister und langjährigen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine behaupten. Zumindest der müsste doch wohl nun wirklich in der Lage sein, einen ordentlichen Haushalt aufzustellen.
Nun aber soll der Enthauptungsschlag folgen: „Steuererhöhungspartei, Etliche Steuern sollen abgehoben werden.“ Hartz-IV-Empfänger, hüte Dich vor einer Partei, die die Vernmögenssteuer wieder einführen und den Spitzensteuersatz anheben will! Die könnte Dich ans Hungertuch bringen! Wähle da lieber eine solche, die noch ein wenig an der Mehrwertsteuerschraube drehen will, das merkst Du doch fast garnicht! Hatte sich die SPD mit der „Eigenverantwortung“ auf das rhetorische Niveau der deutschen Liberalen hinabbegeben, so sinkt sie nun mit der Steuerdemagogie auf das Niveau der US-Neocons: Steuern sind grundsätzlich das Böse ( Es sei denn, sie dienen zur Finanzierung von Hochrüstung.) und Steuersenkungen immer das Gute. Nicht der Unternehmer, der den von seinen Arbeitern und Angestellten produzierten Mehrwert einstreicht und akkumuliert ist ein Ausbeuter, nein, der einzige Ausbeuter ist der Staat, der die Unternehmer besteuert. Allein am Sprachduktus „Eigenverantwortung“, „Steuererhöhungspartei“ merkt man, wie lange die führenden Sozis schon im Orchester der neoliberalen Blockflöten mitpiepen und -pupen.
„Die Vergesellschaftung von Schlüsselbereichen“ ist ein weiterer Anklagepunkt im Sündenkatalog der linken Konkurrenz. Dass es hier um Schlüsselbereiche der Wirtschaft geht, nicht etwa des Privatlebens oder so, hätte man der Vollständigkeit halber ja noch dazuschreiben können. Aber lassen wir das. Die Verstaatlichung von General Motors in den USA und die erste verstaatlichte Bank in Deutschland haben dieser Todsünde ja wohl schon viel von ihrem Schrecken genommen.
Und dann haben dies LINKEN auch noch „kein Konzept zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes“ muss man gruselnd zur Kenntnis nehmen. Welchen Standortes eigentlich? Ich rate mal, die SPD meint den Wirtschaftsstandort Deutschland. (Oder vielleicht meint sie auch Westdeutschland, denn Ostdeutschland ist Dank CDU und Treuhand ja kaum noch als ein solcher zu bezeichnen.) Aber im Grunde sollte es linker Politik gerade darum gehen, diese Standortkonkurrenz zu beenden. Wenn schon kapitalistische Konkurrenz etwas Schöpferisches sein soll, denn doch aber wohl allenfalls die Konkurrenz der Unternehmen um Kunden, mittels Waren besserer Qualität oder niedrigerer Preise, sofern letztere auf technisch innovativer Produktivitätssteigerung beruhen. Die Konkurrenz der Standorte mittels Lohn- und Umweltdumping gehört hingegen zu den mörderichsten Seiten der neoliberalen Globalisierung. Allerdings haben die LINKEN ein ganz gutes Konzept für den Wirtschaftsstandort Deutschland: Stärkung des Binnenmarktes durch höhere Massenkaufkraft. Das lockt zwar nicht unbedingt Konzerne an, aber die zahlen ja eh keine Steuern mehr und beschäftigen immer weniger Leute, hält aber kleine und mittelständische Unternehmen am Leben, solche die manchmal auch noch richtig investieren und ein paar Arbeitsplätzchen schaffen, weil ihre Kohle ja doch nicht reicht, um mit den Finanzaristokraten rumzuzocken.
Schluss mit diesem Geheimpapier! Was können wir denn noch erfahren über SPD und LINKE? Mit schwante es, es naht das nächste Geheimpapier der SPD. Dieses ist 222 Seiten lang, wurde von einer Berliner Politik-Beratungsfirma angefordert und sicher auch gut honoriert und befasst sich – wer ahnt es? – mit dem richtigen Umgang der SPD mit der LINKEN. Mein Gott, muss denen das Gesäß auf Grundeis gehen! Aber ich bin es jetzt müde, mich mit Papieren zu befassen, die wohl oft selbiges nicht wert, auf dem sie gedruckt.
Kommen wir noch einmal zu dem netten Anfang des letzten streng geheimen Schriftstückes zurück: Natürlich ist auch für uns Mitglieder, Sympathisanten und Wähler der LINKEN die SPD nicht der Hauptgegner und natürlich ist auch ihre Existenz irgendwo innerhalb des politischen Spektrums irgendwie legitim und falls sie den Mindestlohn wirklich machen wollen, sind wir natürlich dabei. Manchmal haben sie ja auch noch Erfolge. Da hatten die doch mal einen Arbeitsminister Wolfgang Clement. Der war HartzIV-Fan und hat die Leiharbeit in ihrem heutigen Ausmaß erst so richtig ermöglicht. Nun erfahre ich aus vorliegendem Buch, dass dieser keinesfalls ein Gelegenheitstäter des Reformierens, sondern Mitglied der neoliberalen think tanks „Frankfurter Zukunftsrat“, „Kunonvent für Deutschland“ und „Neue Soziale Marktwirtschaft“ ist und somit durchaus den Kreisen der organisierten Reformkriminalität zuzurechnen. Sooo tief sind bislang nur wenige Sozialdemokraten gesunken, nicht einmal Gerhard Schröder. ( Man findet ihn in diesen Spinnennestern allerdings in trauter Gemeinschaft mit dem Ex-Grünen Oswald Metzger und so tief wie der Metzger ist bislang wohl auch noch kein anderer Grüner gesunken.) Nach all den Verlusten der SPD in der letzten Zeit, ist der Verlust von Clement nun mal ein echter Gewinn für diese Partei. Und ist auch Andrea Ypsilanti nicht Ministerpräsidentin von Hessen geworden, so ist doch die Tatsache Clement mit ihrer Kandidatur aus der SPD geekelt zu haben, kein geringes Verdienst um ihre Partei. Man sollte vielleicht sie besser zur Kanzlerkandidatin der SPD machen, sie könnte einen Neubeginn glaubwürdig verkörpern (CHANGE!) und Angela Merkel hätte wenigstens eine echte Konkurrenz. Nicht standortmäßig, qualitätsseitig.
Thomas Leif: „Angepasst und ausgebrannt – Die Parteien in der Nachwuchsfalle – Warum Deutschland der Stillstand droht“, C. Bertelsmann Verlag, München 2009, Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 496 Seiten, 13,5 x 21,5 cm, ISBN: 978-3-570-01129-4