Alle diese Lexika sind bei Eichborn erschienen und wir haben uns diese Reihe einst begeistert von der Seele geschrieben und mußten einfach damit anfangen, weil wir sie aus den Augen verloren haben, diese Lexika, inzwischen längst deren erfolgreichen Marsch durch andere Institutionen, sprich: Verlage erlebt haben, auf diese nun eingehen, aber uns fest vornehmen, bald bei Eichborn nachzuforschen, was aus deren Lexika geworden sind. Auch beim Gustav Kiepenheuer Verlag müssen wir nachforschen, ob dort ein weiteres Lexikon erschienen ist. Denn das von Jan Kuhlbrodt herausgebrachte „Lexikon der Statussymbole“ kam Anfang des Jahrtausends zur rechten Zeit, weil es in einer Gesellschaft, die sich zunehmend über Geld definierte, durch feine Lexikoneinträge diese Entwicklung konkret beschrieb. Zum Beispiel beim Stichwort Golf, wo der Ort Rot aus einem verschlafenen Nest durch die Ansiedlung von SAP sich aufblähte und in der Folge Weltluft durch den Ort wehte, der allerdings nur in der Nase stecken blieb. Das ist köstlich zu lesen, weil man um ein Jahrzehnt weiter erst merken kann, wie richtig die kleinen Analysen der Lexikoneinträge sind.
Ganz neu dagegen „Das Lexikon der verschwundenen Dinge“, das Volker Wieprecht und Robert Skuppin bei Rowohlt Berlin herausgebracht haben. Schade, daß sie uns zuvor nicht befragt hatten. Wir hätten das halbe Buch gefüllt mit den Dingen, die uns schon abhanden gekommen sind, die einfach weg waren, obwohl gerade noch da. Von denen wir wußten, wer sie geklaut hatte, und die dann Jahre später eingewickelt in ein Badetuch gefunden wurden, was aber die Ausnahme war, denn die meisten sind perdu, ohne daß wir wüßten, wo und wann und durch wen. Auch hier wird das lexikalische Prinzip des ABC eingehalten, allerdings wird unter einer Überschrift manchen rubriziert. So wie es auf Seite 26 heißt „Biese, Stützwäsche, Kummerbund et al.“. Das mußten wir uns sofort anschauen.
Das nützen die Autoren erst einmal, um weiterzugeben, worüber sie nicht berichten, über die Stoffe, Schnitte, Materialien. „Reden wir über Schlimmeres. Reden wir über die Wäsche unserer Großmütter.“ Und da kommen dann Begriffe von den Unterwäschen, die heute schon kaum einer mehr kennt, und wir merken so langsam, daß die Autoren viel höhere Weihen verdienen als das läppische Verlieren, Verlegen, Verschwinden von uns lieben Gegenständen. Es geht ihnen darum, was aus unserer Welt in den letzten Jahrzehnten überhaupt verschwunden ist und von denen sie sagen: „Hier probte die Textilindustrie im verborgenen, was später Polizisten bei Demos schützen sollten: Exoskelette, Panzerplatten, Knochenschutz.“ Das liest sich nicht nur witzig, sondern ist sehr erhellend, wenn dann von den Sportclubs gesprochen wird, wo Rentner morgens verbilligt an die Geräte dürfen, in die all den Leggins oder ’legeren Stoffzelten`. Und in diesem Kontext nimmt der Buchstabe A dann auch die vielleicht wichtigste Aussage auf: „Aufmerksamkeit, höchste“. Die verschwindet derzeit nämlich vor unseren Augen und Ohren allerorten, wenn auch in den Momenten höchster Konzentration irgendein Handy klingelt oder man im Zug oder auf der Straße, auch im Vortragssaal vom Gemurmel der Telefonierenden aus seiner Aufmerksamkeit immer wieder herausgerissen wird.
Die Deutsche Verlags-Anstalt ist mit dem Lexikon für Verrückte und solche, die es werden wollen, auch dabei. „Der kleine Neurotiker“ heißt das Buch von Dennis DiClaudio, dem schon das uns noch unbekannte „Der kleine Hypochonder“ voranging. In klinische Fälle stopft der Autor unsere Alltagsängste und bringt damit ein befreiendes Lachen zuwege, wo sonst Grübeln und Weitersorgen vielleicht der Weg unserer Gedanken gewesen wäre. Denn welcher nachdenkliche und reflektierende Mensch kennte das nicht, daß die eigenen Gedanken etwas fiktiv weiterspinnen, was als realer Ausgang durchaus da war, das aber durch unsere Gedanken einen je eigenen Weg geht, den so gut wie nie jemand zuvor oder nie jemand danach ausdrücken konnte wie Paul Watzlawick in „Anleitung zum Unglücklichsein“ in „Die Geschichte mit dem Hammer“, im Piper Verlag erschienen und ein Buch fürs Leben. Und wenn Sie das nicht kennen, ist das die erste Bürgerpflicht. Und deshalb paßt die dem Leser zugedachte Widmung von Dennis DiClaudio auch gut: „Für alle, die nicht paranoid sind, aber trotzdem verfolgt werden! Herrlich.
Kathrin Passig und Aleks Scholz haben bei Rowohlt Berlin „Lexikon des Unwissens“ herausgegeben, das bringt, „worauf es bisher keine Antwort gab“. Dieses höchst erfolgreiche Buch beweist wieder einmal, welche Wertschätzung allein die Rubrizierung auf „Lexikon“ einbringt. Was uns freut, denn es beweist unsere These von der Neugierde der Leute. Hier allerdings beim ABC werden Sie hin- und hergeworfen, beim „Wissenswertem über Unwissen“. Das fängt mit „Aal“ noch harmlos an, aber spätestens bei der „Ejakulation, weibliche“ auf Seite 46f wird zur Sache gesprochen und zwar gut und richtig, nicht schlüpfrig und nicht medizinisch. Daß das nächste Stichwort „Elementarteilchen“ heißt, ist nur für den Literaturfan mit einem gewissen Lächeln zur Kenntnis genommen, denn tatsächlich geht’s hier um „die Grundbausteine der Materie“. Aber das brachten sie im zuvorigen Stichwort eigentlich auch.
Wollen wir abschließend noch auf das in zwanzig Bänden erschienen „Das Lexikon“ der ZEIT verweisen, wo der erste Band frei herumgegeben wurde, weshalb wir 01 mit A-Bar auch besitzen. Die anderen 19 Bände nicht. Deshalb können wir auch nichts über die Dargestellten auf der Porträtsliste sagen, denn die gehören allesamt in die hinteren Bände, wie Virginia Woolf oder Alice Schwarzer oder Königin Elisabeth, auf jeden Fall auf jede Frau einen Mann. Steht ziemlich viel drinnen, denn auf 704 Seiten kommt dieser Band bis „Bar“, der das Beste aus der ZEIT bringt, „u.a. mit Beiträgen von Jürgen Habermas, Carlo Schmid, und Leon de Winter“. Allerdings haben wir ’Bar` dann nicht gefunden, was uns dringend interessierte, was das sei, denn das letzte Stichwort heißt „Bakterien. Die heimlichen Herrscher.“