Warum keine türkischen Gymnasien in Deutschland?

Groß ist die Aufregung um den Vorschlag, türkische Gymnasien in Deutschland zu gründen. Doch mag hier schlimmstenfalls ein Missverständnis vorliegen. In der Türkei beginnt landesweit die Gymnasialstufe in der 9. Klasse. Bis zur achten Klasse lernen alle Kinder gemeinsam. Wäre das auch in Deutschland der Fall, würde der Vorschlag von Herrn Erdogan sogar sehr viel Sinn machen. Wer nämlich bis zur 8. Klasse eine rein deutsche Schule besucht hat, wird wohl kaum noch Probleme mit der deutschen Sprache haben. Über die frühe Einordnung der Kinder in Gymnasiasten, Real- und Hauptschüler in Deutschland wird ja nun bereits seit vielen Jahren diskutiert. Vielleicht könnte gerade die Diskussion um die türkischen Gymnasien erneuten Anlass bieten, sich darüber Gedanken zu machen, wie sinnvoll diese frühe Einordnung der Kinder ist.

Weiterhin muss man sich fragen, wie es kommt, dass Kinder mit Migrationshintergrund nach mehreren Jahren deutscher Schulbildung kaum oder nur schlecht der deutschen Sprache mächtig sind. Defizite im deutschen Schulsystem zu suchen, wäre hier die naheliegendste Erklärung.

Sie werden dringend gebraucht, die bilingualen jungen Erwachsenen

Die Türkei gehört bereits jetzt zu den 20 größten Volkswirtschaften der Welt. Sie ist wirtschaftlich durchaus stärker als EU-Mitglieder wie Schweden, Polen oder Griechenland. Das wirtschaftliche Wachstum ist ebenso rasant wie die Reformpolitik. Bei dieser Entwicklung bleibt offenbar unbeachtet, dass es immer mehr junge Deutsch-Türken in die Heimat ihrer Vorfahren zieht, weil sie dort aufgrund ihrer Zwei- oder gar Dreisprachigkeit mit offenen Armen empfangen werden, denn sie werden dringend gebraucht. Genauso würden sie eigentlich auch in Deutschland gebraucht, wenn man sie nur lassen und sie auch dementsprechend ausbilden würde. Seit 1980 ist Deutschland mit einem Volumen von über 7,6 Milliarden US-Dollar der größte ausländische Investor in der Türkei. Über 4 000 deutsche Unternehmen oder Firmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es in dem Land am Bosporus. Jährlich bescuhen fast 5 Millionen deutsche Touristen die Türkei und seit 2004 wurde die Deutsch-Türkische Außenhandelskammer gegründet, die seit dem vergangenen Jahr eine Zweigstelle in Berlin betreibt.

Aufgrund dieser Fakten hat Erdogan nicht ganz Unrecht wenn er sagt, Deutschland habe die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund in ihrer Zweisprachigkeit zu fordern, entspräche einer Förderung, die sich in erster Linie für Deutschland auszahlen könnte. Türkische Gymnasien in Deutschland würden nicht die Integration behindern, sondern genau das Gegenteil: die bieten große Chancen für die Integration wie auch für das Selbstbewusstsein der Schüler. Denn so wäre der Migrationshintergrund nicht Makel, sondern Vorteil, der für beide Seiten eine große Bereicherung als ein Problem darstellen würde. Diese Schüler beispielsweise später auf die geplante deutsch-türkische Universität in Istanbul zu schicken und sie nach ihrem Studium ganz gezielt in den Unternehmen einzusetzen, die ohnehin auf dem deutsch-türkischen Sektor arbeiten, wäre an Logik nicht zu überbieten. Warum glauben diejenigen, die auf den Vorschlag Erdogans bereits panisch reagieren, wurde das Abkommen für diese Universität bereits geschlosssen und warum gilt das “Alman Lisesi” (deutsches Gymnasium) in Ä°stanbul als Eliteschule?

Man muss sich wirklich fragen, ob das deutsche Schulsystem insgesamt wie auch die Einstellung der meisten Deutschen bezüglich einer Ausbildung, die sich internationaler gestaltet, nicht längst überholt und eingerostet ist und dringend einer Erneuerung bedarf. Während Deutschland noch immer auf der Suche ist nach den Zeichen der Zeit, hat man sie in der Türkei und in anderen Ländern bereits schon längst erkannt und nutzt sie eifrig.

Anmerkung:

Die Autorin lebt selbst seit vielen Jahren in der Türkei. Ihr 17-jähriger Sohn weist muttersprachliche Kompetenz in Deutsch sowie in Türkisch auf und spricht fließend Englisch.

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