Berlin, Deutschland (Weltexpress). Dass die faschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gegen die Wiederwahl Ursula van der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin stimmte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie mit dem ihr gegenüber betriebenen „Kuschelkurs“ der Anpassung zum rechtsextremen Ruck bei den Wahlen im Juni beigetragen hat. Und diesen Kurs will sie auch nach der Wahl fortsetzen, was in Brüssel dankbar entgegen genommen wird. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur „ANSA“ vom 20. Juli 2024 machte sie deutlich, dass der „Kontakt zur Präsidentin der EU-Kommission keineswegs geschlossen ist und der Dialog fortgesetzt wird, insbesondere im Hinblick auf die Ernennungen, für die Italien weiterhin bedeutende Positionen anstrebt: Wirtschaft, Industrie, Wettbewerbsfähigkeit oder Zusammenhalt“. „Mit von der Leyen „haben wir bisher zusammengearbeitet und werden dies auch in Zukunft tun“, zitiert „ANSA“ sie. „Jeder erkennt das Gewicht und die Rolle Italiens und ich bin sicher, dass dies die Bewertungen sein werden, die bei den Delegationen vorgenommen werden.“ Melonis Fratelli d’Italia sehen den Verhandlungen in den kommenden Wochen weiterhin optimistisch entgegen, so „ANSA“. Wer ist Giorgia Meloni, mit der von der Leyen bedenkenlos paktiert?
Wer ist Georgia Meloni?
Die am 15. Januar 1977 in Rom geborene Meloni stammt, wie sie gerne betont, aus den einfachen Verhältnissen einer Angestelltenfamilie. Was sie verschweigt: Ihre aus Sizilien stammende Mutter Anna Paratore gehörte dem faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) an. Dem Beispiel der Mutter folgend trat sie als 15jährige Gymnasiastin 1992 in den Fronte della Gioventù (Jugendfront) des MSI ein, einer Kaderschmiede zur Heranbildung des Parteinachwuchses. Von der Mutter, die sie als gebildete Frau schildert, dürfte ihr bekannt gewesen sein, dass es sich beim MSI um eine Wiedergründung von Mussolinis Partito Nazionale Fascista handelte und auch, dass ihr Gründer Giorgio Almirante Staatssekretär des »Duce«, dessen führender Rassenideologe, unter anderem Mitherausgeber des rassistischen Hetzblattes „Difesa della Razza“ war und der noch kurz vor Kriegsende einen Befehl zur Erschießung von Partisanen; von diesen »Genickschusserlass« genannt, unterzeichnet hatte. Bei der MSI-Gründung zu dessen Vorsitzendem gewählt, bekannte er sich mit der Würdigung des faschistischen Parteiprogramms von 1919 und der Festlegung im MSI-Programm, »die soziale Idee in der ununterbrochenen historischen Kontinuität fortzuführen«, zur Wahrung des Mussolini-Erbes, hielt an dieser Position bis zu seinem Tod 1988 fest und gab sie an seine Nachfolger weiter. Ein Jahr vor seinem Tod hatte Almirante die Führung des MSI an Gianfranco Fini übergeben, der durch die Kaderschmiede der Jugendfront gegangen und zu ihrem Leiter, wie später auch Meloni, aufgestiegen war. Kennnisse über das Erbe Mussolinis und seine Übernahme gehörten da zum Grundwissen, das Meloni so auch erwarb. 1994/95 erlebte sie auch die Umbenennung des MSI in Alleanza Nazionale (AN) mit, bei der es nach dem Eintritt in die Regierung Berlusconis 1994 darum ging, der nun regierenden AN eine breitere Front zu verschaffen, eine viel größere Gefolgschaft um die AN zu scharen, ohne die Vergangenheit zu leugnen, auf nichts verzichten, sondern die alten Ziele weiter zu verfolgen.1 Fini hielt, und Meloni folgt ihm hier auch heute noch, am MSI- Parteisymbol fest, der Flamme in den Farben der italienischen Trikolore, die über einem schwarzen Sarg lodert, und, wie die Partei offen propagierte, darstellt, dass »Mussolinis Seele aus dem Sarg emporsteigt, um seine Nachfolger zu ermutigen«.2 Meloni betont immer wieder, dass sie stolz auf das Wappen ist. Und Als Teenager hatte sie in den 1990er Jahren in einem Interview im französischen Fernsehen gesagt, dass Mussolini ein «guter Politiker» gewesen sei.
Der zum Ehrenvorsitzenden des MSI gewählte Valerio Borghese war unter Mussolini Kommandeur der berüchtigten Decima Flottiglia MAS, der zur Partisanenbekämpfung eingesetzten 10. Torpedobootflottille. Dass er wegen wenigstens 800fachen Mordes an Partisanen 1950 von einem italienischen Gericht als Kriegsverbrecher verurteilt wurde galt im MSI als „Revanche“ der Kommunisten und die Aufhebung des Urteils auf Betreibung der USA wurde als dessen Rehabilitierung gesehen. Borgheses Versuch, 1970 in einem Putsch die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und sich als Präsidenten auszurufen, entsprach der Tradition der „Italiener des siegreichen Angriffs“, zur Rückkehr an die Macht. 3 Dass italienische und NATO-Militärs bereit standen, Borghese zu unterstützen sah man im MSI als einen weiteren Beweis dafür, dass die USA den Faschismus brauchten. 4
Meloni trat 1992 nicht zufällig am 28. Oktober in die Jugendfront des MSI ein. Es war der 70. Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom, dem faschistischen Putsch zur Machtergreifung. In Rom marschierten an diesem Tag 10.000 Faschisten, darunter zahlreiche Jugendliche in T-Shirts mit dem Bild Mussolinis, durch die Straßen, erhoben die Arme zum Führergruß, schrien »Duce, Duce« und »Viva il Fascismo«. Die junge Faschistin Meloni dürfte dabei gewesen sein.
Im MSI-Parteiblatt „Secolo d’Italia“ war am nächsten Tag zu lesen, dass sich am Abend zu einem Bankett mit dem »neuen Duce« 1.200 verdiente Parteikameraden und Veteranen der Bewegung versammelt hatten, unter ihnen die Witwe von Giorgio Almirante, Finis verstorbenem Vorgänger. Unter einem gigantischen Foto Mussolinis stand die aufschlussreiche Losung: »70 Jahre Geschichte, Kampf, Träume. Es lebe der 28. Oktober, es lebe die faschistische Revolution.« Fini rief aus: »Wir schauen in die Zukunft, aber wir halten an unseren Wurzeln fest.« Zur Bekräftigung war selbst die riesige Festtagstorte in der Form der Flamme gestaltet, die den Geist des »Duce« verkörpern soll. Im Zeichen der Flamme stimmten die Gäste den alten Choral der Sturmabteilungen an: »Zu den Waffen, wir sind Faschisten«.⁹ Danach fand in Mailand eine neue Demonstration faschistischer Stärke statt. 5.000 Faschisten in Schwarzhemden, Jugendliche in Kampfanzügen und mit Hakenkreuzen, Sieg-Heil-Rufe schreiend, zogen durch die Straßen. Am Abend sprach Fini im Teatro Lirico, brachte Lobeshymnen auf den Faschismus aus und sagte, es sei »notwendig, es auszusprechen: Nur dank Mussolini ist Italien 1922 nicht kommunistisch geworden«.¹⁰
Dreißig Jahre später demonstrierte Meloni ihr Festhalten am unverfälschten Erbe des Mussolini-Faschismus, als Assunta Almirante, die eben erwähnte Witwe des MSI-Gründers, am 26. April 2022 verstarb. Der „Corriere della Sera“ erinnerte daran, dass Assunta Almirante seit dem Tod ihres Ehemanns als »respektierte Königinmutter und Gralshüterin des Erbes Mussolinis in der Bewegung« galt. Meloni nahm teil an der Beerdigung in der Basilika Santa Maria in Montesanto auf der Piazza del Popolo in Rom mit zahlreichen führenden Faschisten ihrer FdI, die am Sarg »den römischen Gruß« zeigten. Laut dem „Corriere“ würdigte die FdI-Führerin die Frau des MSI-Gründers als »eine Säule des historischen Gedächtnisses der italienischen Rechten« und fügte hinzu: »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus.«
Ab Mai 1994 erlebte Meloni die von Berlusconi mit dem MSI und der Lega gebildete Regierung, die „Il Manifesto“ am 15. Mai als eine »schwarze Regierung aus Faschisten und Monarchisten, Lega-Leuten und christdemokratischem Schrott, Industriellen, Anwälten und Managern der Fininvest« 5 charakterisierte. MSI-Führer Fini bekräftigte seine vorausgegangenen Treuebekundungen zu Mussolini sowie die Aktualität von dessen Erbe und feierte den »Duce« als den »größten Staatsmann des Jahrhunderts«. Er beantragte, das in der Verfassung verankerte Verbot der Mussolini-Partei aufzuheben, um damit deren faschistische Herrschaft zu rehabilitieren. Altfaschist Pino Rauti, die in den Senat gewählte Nummer zwei der Bewegung, sekundierte: »Wir sollten uns daran erinnern, dass hinter uns der Marsch auf Rom liegt, der Korporativismus, der Zweite Weltkrieg gegen die Plutokratien, die Repubblica Sociale«. Rauti nannte das »bleibende Werte, (…) ein kulturelles und programmatisches Vorratslager, aus dem wir schöpfen«.6
Während des G8-Gipfels im Juli 2001 in Genua demonstrierte Berlusconi, der vorher auf einem Gipfel der EU in Göteborg vor den mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs provokatorisch erklärt hatte, Italien von Kommunisten und Exkommunisten (den sozialdemokratischen Linken) »zu befreien«, wie er gedachte, das zu verwirklichen. Während des Gipfels wurden mehr als 600 Demonstranten festgenommen und in »Gefangenensammelstellen« gepfercht. Ein Carabinieri tötete den Studenten Carlo Giuliani von einem Jeep heraus mit einem gezielten Schuss. Mehr als 300 Personen wurden blutig zusammengeschlagen, 54 von ihnen in einer Carabinieri-Kaserne unter Hitler- und Mussolini-Bildern gefoltert, während sie »Viva il Duce« rufen mussten. Der Arzt und Präsident der italienischen Liga zur AIDS-Bekämpfung, Vittorio Agnoletto, erklärte, in Genua habe eine Operation wie in Chile unter Pinochet stattgefunden. Bodo Zeuner von der Freien Universität Berlin warnte, »wenn Polizisten, wenn Spezialeinheiten der Polizei es sich herausnehmen, politisch unliebsame Personen, wie in Genua geschehen, mitten in der Nacht zu überfallen und brutal, ja lebensgefährlich zu verprügeln, dann ist es zu Folterkellern wie denen der SA im Deutschland von 1933 nur noch ein Schritt. Wer den Überfall auf die Armando-Diaz-Schule in Genua als irgendwie entschuldbar durchgehen lässt, leistet Beihilfe zu einer schleichenden Faschisierung der Gesellschaft.« Das war, wie Fausto Bertinotti, Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC), 7 einschätzte, Berlusconis Ziel: »Systematisch jeden Widerstand zu zerschlagen und sein Wachstum unmöglich zu machen«, um »einer politischen Wende in Richtung eines faschistischen oder autoritären Regimes« den Weg freizumachen. 8 Diesen Regierungskurs Berlusconis nannte Literaturnobelpreisträger Dario Fo im Januar 2002 in einem Vortrag vor dem Collège international de Philosophie in Paris eine »Etablierung des Faschismus«, Umberto Eco sah darin ein Erbe des »übelsten Faschismus« des »Duce«. Antonio Tabucchi verglich Berlusconi in einem Text mit dem Titel »Im Reich des Heliogabal« 9 mit eben jenem römischen Kaiser und charakterisierte seine Herrschaft als »eine orientalische Form der Despotie nach jener Art, die Heliogabal über Rom errichtet hatte«. Schriftsteller und Kulturschaffende wie Luigi Malerba, Angelo Bolaffi, Silvia Ballestra, Nanni Moretti und Stefano Benni unterschrieben mit rund 200 bekannten Intellektuellen einen von Gian Mario Anselmi und Alberto Asor Rosa initiierten Appell, die grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens zu verteidigen. 10 Der für seine mutigen Untersuchungen faschistischer Attentate bekannte Mailänder Generalstaatsanwalt Gerardo D’Ambrosio mahnte öffentlich, den verfassungsfeindlichen Machenschaften Berlusconis entgegenzutreten, sonst werde »die Demokratie im Dunkel der Nacht versinken«. 11
Wenn Meloni 2021 bei ihrer Ankündigung, für das Amt der Ministerpräsidentin zu kandidieren, erklärte, dass »die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts 12 bekannt sind, und es darum geht, sie zu wiederholen«, bedeutete das nichts anderes, als dass sie ein ähnliches Regime der Unterdrückung des Widerstandes dagegen zu errichten gedenkt. Dabei konnte sie nach der derzeitigen Lage der Dinge, zumindest vorerst, auf Terror wie ihn Berlusconi in Genua praktizierte, verzichten. Denn, wie die 2023 verstorbene preisgekrönte sardische Schriftstellerin Michela Murgia, Mitbegründerin der „Initiative zur Rettung von Flüchtlingen in Seenot“, dazu festhielt, erfolgt der „Übergang“ zum Faschismus heute nicht mehr mit „klassischer Waffengewalt“, sondern „durch Manipulation der demokratischen Instrumente“, mit der man „ein ganzes Land faschistisch machen kann, ohne auch nur einmal das Wort ‚Faschismus‘ auszusprechen“. Das bezog sich auf die von Berlusconi begründete Herrschaft der „Videokratie“, die von Salvini im digitalen Zeitalter auf Facebook, Instagram, Twitter, in Talkshows, in den klassischen Medien perfektioniert wurde. Und die Mainstream-Medien setzten das mit ihren täglich stereotyp verkündeten Berichten über den zu erwartenden Wahlsieg Melonis fort. An Berlusconi gedenkt Meloni erstmal mit dem Angriff auf die Verfassung anzuknüpfen , um die (ihre) Direktwahl zur Ministerpräsidentin durchzusetzen.
Von 2006 bis 2008 wurde Berlusconis Herrschaft von einer Mitte-links-Regierung unter dem Christdemokraten Romano Prodi unterbrochen. Im Januar 2008 erlitt Prodi im Senat eine Abstimmungsniederlage und musste zurücktreten. Berlusconi wurde beschuldigt, für den Sturz Prodis einen Senator der Mitte-links-Koalition mit drei Millionen Euro zum Wechsel auf seine Seite bestochen zu haben. 2015 wurde er deswegen von einem Gericht in Neapel in erster Instanz zu drei Jahren Haft verurteilt. Am 1. August 2013 war er bereits wegen Steuerbetrugs während seiner Amtszeit in letzter Instanz zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Die auf ein Jahr reduzierte Strafe konnte der 77jährige 2014 altersbedingt im Sozialdienst ableisten. Noch vor seinem Rücktritt war sein engster Vertrauter, Senator Marcello Dell’Utri, wegen Komplizenschaft mit der Mafia in zweiter Instanz zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Dabei kam auch ans Licht, dass Berlusconi in den 70er Jahren den Mafiaboss Vittorio Mangano als Hausmeister in seiner Villa San Martino in Arcore bei Mailand beschäftigt hatte.
In diese korrupte, von Berlusconi wieder mit der AN und der Lega gebildete Regierung, trat Georgia Meloni als 31jährige im Mai 2008 als Ministerin für Jugend und Sport ein. In dem Kabinett saß sie zusammen mit Umberto Bossi, zu dieser Zeit Lega-Vorsitzender, ihrem heutigen Minister Roberto Calderoli und Roberto Maroni. Im Wahlkampf hatte die Lega gefordert, illegale Einwanderer in Lager zu sperren, Bossi geäußert, es sei leider „leichter Ratten zu vernichten als Zigeuner auszurotten“.13 Meloni hatte, um an ihren späteren Ausspruch zu erinnern, ein „unbeschwertes Verhältnis“ zu diesem „Zigeuner-Ausrotter“ und seinen Komplizen und sie diente mit ihnen Berlusconi bis zu dessen Fall im November 2011. Dabei blieb es nicht. Als im November 2022 Roberto Maroni verstarb, würdigte sie auf einer Pressekonferenz diesen Rassisten als „einen Freund“ und einen „der fähigsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe“. 14
Die FdI-Führerin, die im Wahlkampf ihr soziales Engagement und ihr Eintreten für Gerechtigkeit betonte, machte widerspruchslos die Politik ihres Kabinettschefs Berlusconi mit, der laut dem Mailänder „Espresso“ die „persönlichen Interessen über die des Staates“ stellte, eine „ineffiziente und unverantwortliche Regierungsführung“ praktizierte und laut dem damaligen FIAT-Präsidenten und Agnelli-Erben Luca Cordero di Montezemolo Schuld am Bankrott des Landes und „der beispiellosen Staatskrise“ war.15 Meloni hatte auch nichts dagegen, dass 2012 für Mussolinis Kriegsminister Marschall Rodolfo Graziani, im Oktober 1922 Teilnehmer am »Marsch auf Rom«, u. a. verantwortlich für barbarische Massaker an Zehntausenden Äthiopiern, in dessen Geburtsort in der Gemeinde Affile im Latium am Rande der Hauptstadt eine Gedenkstätte errichtet wurde. 16
Betrachten wir einmal, wie Meloni, die sich im Wahlkampf auch als Verfechterin der Würde der Frauen darstellte, als Ministerin tatenlos zugeschaut hatte, wie ihr Regierungschef auf Bunga-Bunga-Partys mit minderjährigen Prostituierten Sexorgien feierte, die das Ansehen jeder Frau in den Schmutz zerrten.
Bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen im Mai 2011 erlitt Berlusconi schwere Niederlagen. Seine Partei Forza Italia, die er in Popolo della Libertà umgetauft hatte, sackte von 47 % bei der Parlamentswahl 2008 auf 30 % ab. Dann stimmten bei einem Referendum mehr als 90 % für die Aufhebung der »Lex Berlusconi«, die ihn als Ministerpräsidenten vor strafrechtlichen Ermittlungen und gerichtlichen Anklagen schützte. Es folgten ein Generalstreik im September und danach anhaltende Massendemonstrationen mit nicht mehr zu überhörenden Rufen nach dem Rücktritt des korrupten Regierungschefs. In Meinungsumfragen sank die Zustimmung für den Medientycoon, der immer prahlte, vom Volk gewählt und geliebt zu sein, auf 22 %. Schließlich trat Berlusconi am 12. November 2011 zurück.
AN-Führer Fini brach in dieser Lage mit Berlusconi und wollte, gedeckt von FIAT-Chef und Confindustria-Präsident Montezemolo, zur Zusammenarbeit mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico übergehen. Die AN geriet in eine Krise und für Meloni kam die Stunde der Bewährung. Und sie zeigte, was sie in der Kaderschmiede von MSI/AN gelernt hatte. Um zu verhindern, dass die Mitglieder Fini folgten, gründete sie 2012 gemeinsam mit dem MSI/AN-Aktivisten und Mussolini-Bewunderer Ignazio La Russa, den sie nach ihrem Wahlsieg zum Senatspräsidenten und damit zweiten Mann des Staates machte, und einer Mehrheit der AN-Mitglieder die Partei Fratelli d’Italia. Zu den Mitbegründern gehörte auch der letzte Verteidigungsminister Berlusconis, Guido Grosetto, der das sinkende Schiff verlassen und zur AN gewechselt war.
2014 wurde Meloni zur FdI-Vorsitzenden gewählt. Ihr strategisches Werk war der Erhalt einer faschistischen Bewegung als das, was sie für den reaktionärsten Teil des Kapitals immer war: eine Eingreifreserve in Krisenzeiten, wenn die Sozialdemokratie nicht mehr als zuverlässig erachtet wird. Diese Situation war nun eingetreten, und Meloni erklärte den PD zum Hauptfeind.
Den harten Kern der Faschisten um sich zu scharen gelang Meloni nur mit Bezug auf Mussolini, deshalb kann sie auch nicht die Flamme aus ihrem Parteilogo streichen, denn dann würde sie einen Teil ihrer Wähler an die Lega verlieren. Innerhalb des »Mitte-rechts-Bündnisses« war und ist Meloni eine ausgesprochene Hardlinerin, die – im Gegensatz zu Berlusconi und Lega-Chef Matteo Salvini – Kompromisse mit dem PD oder der Fünf-Sterne-Bewegung samt und sonders ablehnte. Demgemäß trat sie auch nicht in Mario Draghis »Regierung der nationalen Einheit« aus Faschisten der FI und der Lega mit Sozialdemokraten des PD und der Fünf Sterne-Bedwegung (M5S) ein. Ihre Nähe zum Mussolini-Faschismus stellte sie erneut unter Beweis, als sie zu den EU-Wahlen 2019 den Urenkel des »Duce«, Caio Giulio Cesare Mussolini, aufstellen ließ. Dessen Aussage, er sei »stolz« auf seinen Urgroßvater, nahm Meloni zum Anlass, ihn eine »Bereicherung« der Wahlliste zu nennen.
Anmerkungen:
Siehe auch den Beitrag
- Rechtsextremer Ruck in Brüssel – Ergebnis des Paktierens mit Faschisten von Gerhard Feldbauer
im WELTEXPRESS.
Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema das Buch „Giorgia Meloni und der italienische Faschismus“,PapyRossa Köln 2023.
1 So die Einschätzung des Historikers Corrado De Cesare in »Il Fascista del Duemilla. Le Radici del Camarata Gianfranco Fini«, Mailand 1995, S. 93f.
2 MSI-Zeitschrift „Rivolta ideale“, Dezember 1946.
3 MSI- Parteiblatt „Secolo d‘ Italia“, März 1973.
4 Roberto Faenza/Marco Fini: Gli Americani in Italia, Mailand 1979, S. 261ff.
5 Fininvest ist das Firmen- und Medienimperium Berlusconis.
6 „Unità“ (Zeitung des PCI, ab 1991 des PDS), 18. 5. 1994.
7 Nach der Umwandlung der IKP (PCI) in eine sozialdemokratische Linkspartei 1990 gebildete Nachfolge-Partei.
8 PRC-Zeitung „Liberazione“, 24.6.2001.
9 Elagabal, Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218 bis 222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von meuternden Soldaten erschlagen.
10 Susanne Schüssler (Hg.): Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi, Berlin 2003.
11 In „Liberazione“, 13. 4. 2002.
12 Als Mitte Rechts (Centro Destra) wurden in der Zeit der Herrschaft der Democrazia Cristana (DC) von dieser mit den Liberalen und Sozialdemokraten gebildete Regierungen genannt, aus denen die MSI-Faschisten ausgeschlossen waren. Zur Verdeckung ihres faschistischen Charakters bezeichneten sich die erstmals von Berlusconi 1994 mit MSI/AN und der Lega gebildeten Bündnisse und Regierungen auch so. Das wird auch von der von Meloni angeführten Allianz ihrer FdI mit der Forza Berlusconis und der Lega Salvinis und der von ihnen jetzt gebildeten Regierung so fortgesetzt.
13 „Süddeutsche Zeitung“, 16. April 2008.
14 „ANSA“, 23. November 2022.
15 18 Vgl.: »Berlusconis Exfreunde basteln Gegenbündnis«, in: „Financial Times Deutschland“, 6. 4. 2010; „Corriere della Sera“, 18. 8. 2010.
16 „Der Spiegel“, 9. 8. 2021.
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