Warum sich lange keiner an eine solche Ausstellung gewagt hat, hat einfach mit der Quellenlage zu tun. Ich weiß, daß ich nichts (nicht) weiß, ist nicht nur eine Sokrates zugeschriebene tiefe Erkenntnis, sondern auch Ausgangspunkt dieser Ausstellung über die Amazonen, die nämlich nicht nur einer einzigen Spur folgt und mit Ausstellungsstücken diese Spur beweisen will, sondern stattdessen alles sammelt und Wesentliches hier ausstellt, was die Bezugswissenschaften Archäologie, Ethnologie, Anthropologie, Geschichte, Geschichtsschreibung, Kunst und Kunstgeschichte sowie Literatur in Form von Tragödien, Epen und Dichtung zu den Amazonen zu sagen haben. Und das ist eine ganze Menge.
Die These der Ausstellung ist eine, angesichts der gezeigten Ausstellungsstücke auf einmal nahliegende Vermutung: Homer nämlich berichtet im 8. vorchristlichen Jahrhundert von diesen so schönen wie grausamen, ohne Männer im Frauenclan lebenden Kriegerinnen, dem Volk der Amazonen. Ein literarischer Mythos, denn es fanden sich keinerlei Beweise für ein Frauenvolk. Was sich jedoch inzwischen auch mit Hilfe moderner Technologie gefunden hat, sind Gräber von mit Waffen versehenen Frauen aus dem nördlichen Schwarzraummeer, die zeitlich übereinstimmend die Existenz antiker Kriegerinnen beweisen. Sind genau diese Grabfunde der Kern des Amazonenmythos?
Da paßt Herodot gut ins Bild, der im 5. Jahrhundert v. Chr. niederlegt, die Amazonen hätten sich mit den Skythen vermischt. In den Beschreibungen und Bildern der Zeit tragen die Kriegerinnen eine typisch skythische Tracht. Die Grabfunde geben davon heute noch Zeugnis, so daß eine Gemengelage vorliegt, in der Mythos und Wirklichkeit ineinander übergehen. Dabei bleibt als Kern die bewaffnete Frau, also die Kriegerin als Wirklichkeit erhalten, die männlich angstvolle Phantasie und die von so manchen Frauen ersehnte Wunschvorstellung eines Frauenvolkes erweist sich hingegen als Fiktion.
Der Ausstellung gelingt es nun, mit originalen Stücken aus dem Alltagsleben der Griechen deren Rollenverständnis – hier der kriegerische Mann und Held, dort die sittsame Frau am häuslichen Herd – auch für unser Bewußtsein so zu zementieren, daß auf diesem Hintergrund ersichtlich ist, wieso allein schon die Existenz von Kriegerinnen die damalige griechische Gesellschaftsordnung auf den Kopf stellten, damit auch bedrohten, weshalb schnell Geschichten her mußten, von solch aufmüpfigen Frauen, die auch edel kämpfend – den Kampf war grundsätzlich Kriegskunst und positiv – dennoch dem männlichen Genius und männlicher Kampfeskraft unterlagen, deshalb besiegt wurden und ausstarben. Dies wurde in Literatur und Kunst festgehalten und damit tradiert.
Geben wir doch zu, daß auch unsere westlichen Gesellschaften sich gerade erst von diesen männlichen Mythen lösen, daß der Mann gottgegeben das Exemplar Mensch sei, das in Politik und Wirtschaft als den strukturell wesentlichen Pfeilern der Gesellschaft in den oberen Rängen das Sagen haben müsse. Auf jeden Fall ist auch heute eine öffentlich widersprechende Frau, die für etwas kämpft, schnell eine „Amazone“, was negativ gemeint ist, aber dennoch immer mit den Beigeschmack von fliegenden Röcken und bebenden Busen eine erotische Komponente hat. Schaut man sich die Literatur- und Kunstproduktionen der Jahrhunderte daraufhin durch, finden sich alle Männerängste wieder, wie diese Kriegerinnen zwar ohne Männer leben, diese jedoch zur Fortpflanzung benutzen, die Söhne zurückgeben oder töten und die Töchter zu neuen Amazonen erziehen.
Was hier in Worten wiedergegeben ist, zeigt die Ausstellung an Objekten. Am Anfang der Geschichte stehen Geschichten, die hier in Wort und Bild erzählt werden. Immer wieder ist es Herakles, der männlich-menschliche Held, kein Gott, der der Amazonenkönigin Hippolyte als neunte Heldentat – da hat er den Löwen schon erledigt – den Gürtel entreißen soll. Ach, die großmütige Hippolyte hätte ihm den Gürtel sogar geschenkt. Göttermutter Hera streut das Gerücht, er wolle die Amazone entführen, was den gnadenlosen Kampf auslöst, in dem Herakles mit seinen Mannen die Frauen besiegt und das Amazonenreich für immer niedermacht, was das Fortbestehen der männlichen Ordnung der Welt garantiert. Fortsetzung folgt.
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Bis 13. Februar 2011
Katalog: Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, hrsg. Historisches Museum der Pfalz Speyer, Edition Minerva 2010
Der schön gestaltete Katalog, übersichtlich und gut lesbar, macht einen erst einmal auf den ersten Seiten mit der „Verortung der Amazonenmythen in der Antike“ bekannt. Ganz abgesehen davon, daß wir ganz schön ins Schwimmen kommen, die verschiedenen Orte, die als Skythien bezeichnet werden dürfen, auf diese Ausstellung anzuwenden, stellt diese geographische Karte klar, wo die jeweiligen Amazonen zu Hause gewesen sein sollen: die Amazonen am Kaukausus, die in Thrakien, die Libyschen, die Skythisch/Sauromatischen und die in Kleinasien. Die farblich differenzierten Amazonenorte enthalten dann die literarischen Quellen der antiken Schreiber, wobei Homer sie in Kleinasien verortet, Aischylos, Herodot und Euripides in Skythien.
Dies ist ein wunderbares Geschichtenbuch, die Amazonenmythen werden alle erzählt, aber eben auch ein Kunstbuch, wo die Erzählungen Bild werden. Ein Geschichtsbuch ist es auch, weil die wissenschaftliche Entwicklung verfolgt wird. Dennoch sind für uns „Die Welt der Steppennomaden“, die Geschichte der skythischen Kultur und die Gräber und Gräberfunde noch wichtiger gewesen, einfach weil wir davon zuvor nichts wußten. Der Katalog ist also in der Tat: die Ausstellung in ein Buch gebracht. Ausstellungen vergehen. Bücher bleiben bestehen.