Friedrichshafen, Berlin, Deutschland (Weltexpress). Mit dem Rücken zur Wand und 2000 Zuschauern im Rücken setzte sich Volleyball-Rekordmeister VfB Friedrichshafen am Mittwochabend in den eigenen vier Wänden gegen Vorjahrsmeister Berlin Volleys mit 3:1 (25:23, 25:16, 22:25, 25:23) durch. Der Gastgeber wendete damit den vorzeitigen Titelgewinn der Hauptstädter ab und schaffte im Modus Best of five den 1:2-Anschluss.
Die BR Volleys stehen nun vor der Möglichkeit, bei ihrem zweiten Matchball am Sonntag (15 Uhr, Max-Schmeling-Halle) vor eigenem Publikum den dritten Titelgewinn nacheinander und insgesamt den neunten perfekt zu machen. Friedrichshafen hat bislang 13x die Meisterschaft für sich entschieden.
Mit 37 Erfolgen wettbewerbsübergreifend in Serie und national ungeschlagen war die VfB-Mannschaft des früheren Bundestrainers Vital Heynen als eindeutiger Favorit in das Finalduell gestartet.
Doch die Schützlinge der deutschen Trainer-Ikone Stelian Moculescu – bislang 19 Titel mit dem VfB – überraschte alle Beobachter. Überrumpelte die „Häfler“ in der ersten Partie geradezu mit dem 3:1 auswärts. Vor allem, weil die bisherigen Ersatzkräfte Kyle Russell (USA) und Adam White (Australien) ein bisher nie gezeigtes Potenzial ausspielten.
Hatte Berlin da auch folgerichtig in nahezu allen relevanten Spielelementen die Nase vorn, so glichen sich nicht nur die statistischen Werte im zweiten Treffen an. Doch Moculescu hatte da im finalen Tiebreak das bessere Händchen im Wechsel-Poker und brachte den 3:2-Sieg an der Spree auch mit Hilfe der vierfachen Zuschauerzahl – knapp 8000 – gegenüber Friedrichshafen nach Hause.
Das Finale sei trotz der 2:0-Führung noch immer völlig offen, erklärte der Rumäne, „und der VfB noch immer der Favorit“. Wegen seiner dominanten Rolle in dieser Saison.
Dennoch schrieben die Medien, das sogenannte „Momentum“ im Titelrennen liege nun bei den Berlinern.
Die im englischen Sprachraum gebräuchliche Bezeichnung des Momentums beschreibt eine Konstellation, in der ein Kontrahent momentan im Kräftevergleich Oberwasser bekommen hat. Das Geschehen diktiert und voller Selbstbewusstsein steckt. Beim 1:3 am Mittwoch aber scheint das Momentum wieder zu den Gastgebern zurückgekehrt zu sein.
BR-Topangreifer Kyle Russell nicht in der Startformation
Das war im ersten Satz noch nicht erkennbar. Mehrmals wechselte die Führung, doch am Ende brachten höhere Konzentration und Entschlossenheit dem VfB den mental wertvollen 1:0-Satzerfolg. Überraschenderweise hatte da Moculescu auf das kalifornische Kraftpaket Russell verzichtet. Und vertraute auf der wichtigen Positionsangreifers wieder der eigentlichen Stammkraft Paul Caroll. Der Australier ist 31, sieben Jahre älter, weitaus erfahrener auch in der Bundesliga, aber eben auch weniger dynamisch und leichter ausrechenbar.
Russell, nach einer College-Karriere erst eine Saison als Profi bei einem Nicht-Spitzenverein in Polen und dann in Berlin, hat enormes Potenzial. Aber produziert auch mal wegen technischer Mängel oder aus Übereifer im Angriff unglückliche „Fahrkarten“ (so Moculescu). Als die Hausherren im zweiten Abschnitt rasch führten, vermochte der eingewechselte US-Amerikaner den Volleys nicht wirklich Halt zu geben und das Momentum zurückzuholen. Im Gegenteil. Die Volleys brachen regelrecht ein. Und Moculescus Versuch, darauf mit einer hektisch erscheinenden Wechselaktivität den Gegner aus der Fassung zu bringen, brachte nichts.
Wechselfieber auf beiden Seiten
Heynen antwortete gleichfalls mit Änderungen auf den Positionen. Seine Mannschaft spielte dennoch wie aus einem Guß und war offensichtlich besser auf den Gegner eingestellt als umgekehrt. Der Belgier beugt sich fast nach jedem längeren Ballwechsel über den auf dem Stuhl liegenden Laptop, wo er offensichtlich ähnlich wie beim Schach auf gegnerische Züge Lösungen gespeichert hat. Der 48-Jährige schätzt sichtlich Computer-Möglichkeiten mehr als der 67-jährige Moculescu.
Zudem hatten beim VfB-Außenangreifer Athanasios Protoplsatis (wertvollster Spieler beim Sieger), Diagonalangreifer und Einwechsler Daniel Malescha (je 21 Punkte) sowie der zweite Zuspieler Tomas Kocian (vier Asse) einen Sahnetag. Dagegen sah die Ausbeute bei Berlins Carroll (14 Zähler) und Außenangreifer Adam White (12/ MVP der Volleys) deutlich bescheidener aus.
BR-Manager Kaweh Niroomand beobachtete von Anbeginn eine fehlende Spannung und zu große Lockerheit bei seinem Aufgebot. Ein 2:0-Vorteil in den Play-offs kann leicht zu einer gefährlichen Selbstsicherheit führen. Und das Momentum zum Kontrahenten abwandern lassen.
So dürfte es am Sonntag für die Volleys nun zu einer Alles-oder-Nichts-Situation kommen. Sieg und Meisterschaft oder Niederlage und Entscheidung in der fünften Begegnung danach am Bodensee.