Berlin, Deutschland (Weltexpress). Bei der Würdigung der Rolle des verstorbenen Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, wird die sozialistische Revolution als die einzig mögliche Form der sozialen Umwälzung, die unter Führung der Partei der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten die Ausbeutung und Unterdrückung beseitigt, herausgearbeitet. 1 Das lenkt den Blick auf frühere revolutionäre Erhebungen, die scheiterten, weil eine solche Führungskraft noch nicht vorhanden war und die damaligen nicht in der Lage waren, eine entsprechende Orientierung zu geben. Anzuführen ist hier an erster Stelle der 1772 ausgebrochene Moderne Statuengruppe der drei Tây-Sơn-Brüder im Quang-Trung-Museum, Bình Định. Ihr tatsächliches Aussehen ist nicht überliefert, da fast alle Werke der Tây-Sơn-Zeit von der nachfolgenden Nguyễn-Dynastie zerstört wurden, der seinem Charakter nach eine frühbürgerliche Revolution war. An der Spitze der revolutionären Erhebung, die in den Bergen im westlichen Zentralvietnam ausbrach und deshalb so benannt wurde, standen die drei Brüder Nguyen (van Nhac, van Lu und Hue). Ihren Höhepunkt erreicht diese Revolution sechs Monate bevor das Volk von Paris 1789 die französische Revolution begann. Im Januar dieses Jahres siegte bei Hanoi ein 100.000 Mann starkes Bauernheer über eine doppelt so viel Soldaten zählende Armee der Mandschu. Wie später in Frankreich hatten die im Tay Son-Aufstand gestürzten vietnamesischen Feudalherren die ausländischen Invasoren zu Hilfe gerufen.
Beiden Ereignissen, die in weit voneinander entfernt liegenden Ländern stattfanden, war ein grundsätzlicher historischer Prozess gemeinsam. Die Tage der Feudalherrschaft waren gezählt. Auf der Tagesordnung der Geschichte stand die Geburt des Kapitals. Und das, obwohl in Vietnam, wie in anderen Ländern Asiens auch, die Entwicklung der neuen Produktivkräfte, die im Schoß der alten Gesellschaft heranwuchsen, hinter der in europäischen Ländern zurückgeblieben war. Anfänge des Kapitalismus existierten erst in Formen der entstehenden Handelsbourgeoisie.
In Frankreich siegte die Bourgeoisie und zu ihrer Praxis gehörte schon wenige Jahre später die Unterwerfung fremder Völker in Afrika und Asien unter ihr Kolonialjoch – auch in Vietnam. Die Niederlage, die der Tay Son-Aufstand später erlitt, war eine Bedingung, welche die koloniale Eroberung Vietnams durch Frankreich begünstigte.
Vietnam bestand zur Zeit der Tay Son im Wesentlichen bereits in seinen heutigen Grenzen und galt als eines der entwickeltsten Länder Südostasien. Das Feudalsystem war im Inneren von einer tiefen Krise erfasst. Feudalherren, Mandarine und Notabeln raubten den Bauern den letzten Boden und stürzten sie immer tiefer ins Elend. Die bäuerlichen Wirtschaften, Handwerk und Gewerbe stagnierten, die sich entwickelnde Handelsbourgeoisie konnte sich nicht entfalten. Hinzu kam, dass zwei rivalisierende Dynastien, die Nguyen und die Trinh, den Zentralstaat in blutigen Bruderkriegen in ein nördliches und südliches Kaisertum gespalten hatten, was das Entstehen neuer Produktivkräfte zusätzlich hemmte.
Unter diesen Bedingungen entfaltete sich der Aufstand zu einer großen, das ganze Land erfassenden Bauernerhebung, in der Kreise der jungen Handelsbourgeoisie, des Handwerks und Gewerbes eine wichtige Rolle spielten und an der Vertreter der Religionen des Buddhismus und Taoismus teilnahmen. Die Brüder Nguyen entstammten selbst der Handelsbourgeoisie.
Boston Tea-Party in Saigon
Der Aufstand stürzte die beiden Herrscherhäuser und stellte die Einheit des Staates wieder her. 1776 nahmen die Aufständischen Saigon ein, das nach wechselvollen Kämpfen 1783 fest in ihrer Hand war. Eine der ersten Maßnahmen der Nguyen nach der Einnahme der Stadt war, dass sie die dort lagernden Waren der chinesischen Händler ins Meer werfen ließen – ein recht sicherer Beweis für die Wahrnehmung der Interessen der eigenen Kaufleute. Erinnert sei daran, dass es fasst zur gleichen Zeit in Boston zu ähnlichen Ereignissen kam: Die Amerikaner warfen dort englischen Tee in den Ozean – was unter dem Namen Boston-Tea-Party in die Geschichte einging.
Für die Rolle der Handelsbourgeoisie auch eine andere historische Parallele. Ähnlich wie die Korsaren unter Königin Elisabeth verbanden vietnamesische Kapitäne mit Billigung und auch regelrechten Patenten der Tay Son ihre Handelsfahrten mit einträglicher Piraterie. In Peking klagte man zu dieser Zeit immer wieder darüber, dass die vietnamesische Flotte die Küsten Südchinas ansteuere und plündere. Die entscheidende revolutionäre Maßnahme der Nguyen war jedoch, dass sie die Ländereien der geflüchteten und mit ausländischen Feinden kollaborierenden Feudalherren konfiszierten und den Gemeinden mit der Verfügung übergaben, sie vor allem armen Bauern zur Nutzung zu überlassen. Damit machten sie die Massen der Bauern zur maßgeblichen Basis ihrer Herrschaft. Ebenso bedeutend waren weitere in der Wirtschaft, im Staatswesen, der Kultur und Bildung begonnene Reformen, die einen großen Schritt vorwärts auf dem Weg der Formierung der vietnamesischen Nation darstellten und dem Aufstand seinen Charakter als einer frühbürgerlichen Revolution verliehen.
Den wirtschaftlichen Aufschwung markierten im Norden der Beginn der Rohstoffförderung in über 100 Bergwerken, der Bau von Werkstätten für Waffen, die Errichtung von Papiermühlen und Druckereien. In für diese Zeit großen industriellen und kaufmännischen Zentren in Hanoi, Saigon, Bien Hoa und Fai Fo zeigten sich Vorstufen der kapitalistischen Produktion auf der Grundlage der freien Lohnarbeit. Ermöglicht wurde dieser Durchbruch vor allem durch die Einführung einer einheitlichen nationalen Währung, die im Volk noch lange nach dem Ende der Tay Son-Herrschaft „Sapeke der Rebellen“ genannt wurde.
Von großem Einfluss auf den geistig-kulturellen Werdegang der Nation war die Einführung des Vietnamesischen als Amtssprache an Stelle des aus der Besatzungszeit gültigen Chinesisch. Das langwierige Studium der chinesischen Schriftzeichen war bis dahin geistig-kultureller Grundpfeiler der vietnamesischen Feudalherrschaft.
Im Rahmen ihrer Bildungsreform strebten die Nguyen an, in jedem Dorf eine Schule zu errichten. Auch das vietnamesische National-Epos „Thuy Kiêu“, von Nguyên Du,2 das erst nach der Tay Son-Herrschaft erschien, spiegelte den großen Einfluss dieser Volksbewegung auf die kulturelle Entfaltung der Nation wider. 1799 wurde ein „Historisches Amt“ geschaffen, das den Auftrag erhielt, eine große Nationalgeschichte zu schreiben.
Herausragend schließlich die politische Forderung nach „Gleichheit aller Bewohner“ des Landes und „Gleichheit in allen Dingen“, worunter soziale Gerechtigkeit zu verstehen war. Sie traten der konterrevolutionären Propaganda der Feudalherren, die sie als „Räuber“ und „Banditen“ verketzerten, entgegen und verkündeten, dass sie keine „Räuber“, sondern „Sendboten des Himmels, die der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen und das Volk von der Tyrannei des Königs und seiner Mandarine befreien“, seien. Unter dem Volk aber, das die Verlogenheit der Feudalherren kannte, nannte man die Brüder Nguyen „tugendhafte und dem armen Volk gegenüber barmherzige Räuber“.
Außergewöhnliche Leistungen vollbrachten die Tay Son auf militärischem Gebiet.3 Nachdem das Feudalregime von den Aufständischen im Süden geschlagen worden war, rief es die thailändischen Feudalherrscher zu Hilfe. 1784 drang ein 50.000 Mann zählendes siamesisches Heer mit 300 Kriegsschiffen auf dem Mekong in Südvietnam ein. Auf dem My Tho, einem Nebenarm des Mekong, wurde die Armada im selben Jahr vernichtend geschlagen. Besonders antinational handelten die vietnamesischen Feudalisten, als sie schließlich die zu dieser Zeit in Peking herrschende Mandschu-Dynastie der Qing ins Land riefen. Im Herbst 1788 drangen sie mit einem 200.000 Mann zählenden Heer in Nordvietnam ein und besetzten Hanoi.
Nguyen Hue, derjenige der drei Brüder, der das militärische Kommando führte, ließ sich angesichts des Mandschu- Einfalls und des Verrats der einheimischen Feudalherren „um der Einigung der Nation willen“, wie es in den Chroniken heißt, im Dezember 1788 vor dem Bauernheer unter dem Namen Quang Trung zum Kaiser des Reiches proklamieren. Dann brach das 100.000 Kämpfer zählende Volksheer auf. Bei Thanh Hoa meldeten die Vorausabteilungen, dass der Gegner noch bei Hanoi verharrte. Auch die Qing-Truppen waren durch ihre Späher vom Eintreffen der vietnamesischen Armee bei Thanh Hoa informiert.
1789 – die Schlacht bei Hanoi
Um den moralischen Faktor einer Schlacht zur Befreiung der Hauptstadt zu nutzen, entschloss sich Nguyen Hue, die feindliche Armee noch bei Hanoi anzugreifen. In sechs Tagen führte er seine Truppen mit Elefantenreiterei über eine Entfernung von fast 200 km vor die Tore der Hauptstadt. Außerdem ließ er hinter jedem Reiter zu Pferd noch einen Soldaten des Fußvolkes aufsitzen, so dass er für den Gegner völlig überraschend nicht nur früher als erwartet, sondern auch in voller Stärke eintraf. Der Marsch nach Hanoi war eine für den damaligen Stand der Kriegskunst in Asien beispiellose Leistung. Im Januar 1789 kam es zur Schlacht. Den Überraschungsmoment ausnutzend stellte das Bauernheer die noch nicht zum Kampf formierten Mongolen zu unterschiedlichen Zeiten an drei verschiedenen Orten vor der Hauptstadt zum Kampf und schlug sie in die Flucht. Die Niederlage war so verheerend, dass der Hof von Peking Frieden schloss und die Tay Song anerkannte.
Nach der Verteidigung der nationalen Unabhängigkeit erließ Quang Trung folgende Proklamation an das Volk: „Ihr alle, ob mächtig oder gering, lebt seit mehr als zwanzig Jahren dank uns, der Brüder Tay Son, und unserer Wohltaten. Wir wissen aber auch, dass wir unsere Siege in Nord und Süd der Hilfe des Volkes unserer Provinzen verdanken. In ihm haben wir tapfere Männer und fähige Beamte gefunden, so dass wir unseren Hofstaat gründen konnten. Überall, wo unsere Waffen waren, hielten die Feinde nicht stand.“
Die Herrschaft der Tay Son währte 30 Jahre, von 1772 bis 1802. Diese frühbürgerliche Revolution scheiterte letztlich, weil die Bauern zwar ihre entscheidende Massenbasis bildeten, auf Grund ihrer sozialen Lage und Perspektive aber nicht ihre führende Kraft werden konnten. Kleinbürgertum und Handelsbourgeoisie, aus deren Reihen in Gestalt der Brüder Nguyen die Führer der Revolution hervorgingen, erwiesen sich insgesamt nicht fähig, diese Aufgabe auszufüllen. In diese Rolle hätten sie hineinwachsen können, wenn zwei der drei Brüder nicht frühzeitig verstorben wären (Hue 1792, Nhac ein Jahr später), was über die Rolle von Persönlichkeiten in historischen Prozessen bzw. der Konsequenzen ihres Fehlens nachdenken lässt. Nachfolger vom Format der verstorbenen Führer, besonders was deren volksverbundenen Charakter betraf, gab es nicht. Es kam im Gegenteil zu einer gewissen „feudalen Entartung“ der Tay Son-Führung und zu einer Lockerung der Verbindung mit den Bauern, da die zu Beginn des Aufstandes eingeleitete soziale Umgestaltung, die Veränderung der Eigentumsverhältnisse zugunsten der Bauern, stagnierte.
Noch entscheidender als diese inneren Ursachen wirkten äußere: die aus Frankreich kommende Hilfe für die feudale Reaktion. Sie ging von kirchlichen Würdenträgern aus, die, wie in anderen Ländern auch, zu Wegbereitern der kolonialen Eroberung wurden. Mit der Annahme dieser Unterstützung bereitete die Feudalmacht indessen ihrer eigenen kolonialen Unterwerfung den Boden. Organisator dieser konterrevolutionären Aktivitäten war zu dieser Zeit der einflussreiche Missionar Pigneau de Béhaine, der 1775 den Prinzen Canh, Sohn des gestürzten Nguyen Anh, mit nach Versailles nahm und mit ihm zwei Jahre später ein Abkommen über französische Hilfe gegen die Gewährung von, wie es zurückhaltend aber mit den weitreichenden vertragsrechtlichen Konsequenzen dieser Zeit formuliert wurde, „Handelsvorteilen“ schloss.
Mit Hilfe der französischen Konterrevolution
Auf dieser Grundlage stellte Béhaine 1790 eine „Freiwilligenexpedition“ aus adligen Emigranten, Abenteurern und Deserteuren zusammen, die man „zweifellos ohne viel Federlesens an die Wand gestellt (hätte), wenn sie den Behörden des republikanischen Frankreich in die Hände gefallen wären“.4 Sieben Jahrzehnte später war die französische Großbourgeoisie, die inzwischen die Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit über Bord geworfen hatte, Béhaine dankbar und ließ ihm in der alten Kaiserstadt Hue eine „würdevolle Grabstätte“ errichten.
In Vietnam angekommen, rüstete Béhaines Söldnerhaufen für Nguyen Anh nach überlegenen europäischen militärischen Grundsätzen eine Flotte aus und stellt eine neue Armee zum Kampf gegen die Tay Son auf. Der Nguyen-Dynastie gelang so die Entmachtung der Ta Son, deren Niederlage 1802 mit der Einnahme Hanois besiegelt wurde. Danach wurde Vietnam nochmals einige Jahrzehnte Lehensstaat der Mandschu-Kaiser, bevor 1858 mit der Landung eines französischen Geschwaders bei Da Nan die Koloniale Eroberung begann.
Bei dem Tay Son-Aufstand ging es vor 200 Jahren um den Sturz der Feudalmacht und im Rahmen der Errichtung einer bürgerlichen Gesellschaft um kapitalistische Produktionsverhältnisse, was einem gesellschaftlichen Fortschritt entsprach. Davon konnte nach dem Sieg der Augustrevolution 1945 keine Rede mehr sein, denn der Kapitalismus war schon Ende des 19. Jahrhunderts in sein räuberisches imperialistisches Stadium eingetreten. Es war demzufolge eine richtige Entscheidung der Führung der DRV 1945 wie auch der RSV 1976, den kapitalistischen Weg zu umgehen und, wie es Phu Trong, bekräftigte, Schritt für Schritt den Weg der sozialen Befreiung in der einzig möglichen Form, der des Übergangs zur sozialen Umwälzung, die bis heute ihrem Inhalt nach eine sozialistischen Revolution ist, zu beschreiten.
Anmerkungen:
Nachzulesen in: Irene und Gerhard Feldbauer: „Sieg in Saigon. Erinnerungen an Vietnam“, Pahl Rugenstein Nachf., 2. Auflage, Bonn 2005, S. 126-131.
1 „Ein Theoretiker von Format. Der Tod des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Vietnams, Nguyen Phu Trong, am 19. Juli 2024, ist ein schwerer Verlust für die Sozialistische Republik“, Beitrag des Autors in „Weltexpress“, 31. Juli 2024.
2 Das Mädchen Kiêu , ins Deutsche übertragen von Irene und Franz Faber, Berlin (DDR) 1964. Das Schriftstellerehepaar arbeitete mehrere Jahre für ADN in Hanoi.
3 Nos Traditions militaires, Hanoi 1978, S. 141 ff.
4 Jean Chesneaux: Geschichte Vietnams, Berlin (DDR) 1963, S. 69.