Innsbruck, Österreich (Weltexpress). Bei Halbzeit der Vierschanzentournee im Skispringen mit den bisherigen Wettbewerben in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen dürfte klar sein: Für den Gesamtsieg der 65. Auflage kommt nur noch ein Trio in Frage. Dabei rangiert der Pole Kamil Stoch knapp vor dem Österreicher Stefan Kraft, der zum Auftakt in Oberstdorf die Nase vorne hatte. Als Dritter hat sich der Norweger Daniel Andre Tande, Erster des Neujahrsspringens, alle Optionen für den Gesamtsieg bewahrt.
Schon mit dem ersten Wettbewerb hatte der vermeintlich erste Sieganwärter durch Platz 26 und 50 Punkte Rückstand alle Chancen eingebüßt. Mit 17 gegen die komplett versammelte Weltelite die Kastanien aus dem Feuer zu holen war denn doch eine zu schwere Bürde für den Slowenen Domen Prevc. Ihm wäre nach bislang vier eindrucksvoll dargebotenen Saisonsiegen alles zuzutrauen, hatten die Experten vor Beginn prognostiziert. Und dabei die Möglichkeit des Scheiterns ob seiner Jugend, mangelnden Erfahrungen und der speziellen Drucksituation ausdrücklich miteingeschlossen.
Und auch dessen bereits üppig mit Erfolgen und Ruhm ausgestatteter Bruder, Peter Prevc, konnte nicht an seine überragende Serie der Vorsaison anknüpfen. Da hatte der 24-Jährige mit 15 Weltcup-Einzelsiegen, Rang eins im Gesamt-Weltcup sowie dem Triumph bei der wichtigsten Tour der Skispringer nach Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften für Furore gesorgt.
Die deutschen Hoffnungen auf ein erfolgreiches Comeback zu alter Stärke seines Vorspringers Severin Freund nach dessen Hüft-OP im Sommer erfüllten sich nicht. Stattdessen schob sich der 25-jährige Markus Eisenbichler in den Fokus. Bis dato nominell im Aufgebot von Bundestrainer Werner Schuster etwa die Nummer sechs oder sieben und im Sommer noch im B-Kader, sprang er an der nationalen Konkurrenz vorbei. Schaffte in Lillehammer mit Rang drei seinen ersten Weltcup-Podiumsplatz.
Mit den Positionen sechs und vier und Rang vier in der Halbzeitrechnung vor den letzten beiden Stationen am Mittwoch in Innsbruck sowie am Freitag in Bischofshofen liebäugelt der Bayer mit dem ersehnten Platz auf dem Treppchen. Allerdings verwackelte er bei zwei Wettkampfsprüngen die Landung und reicht diesbezüglich an das Spitzentrio nicht heran. Es spricht für seinen gesunden Realitätssinn, wenn er erklärt: „Für die weitere Tournee habe ich keine Erwartungen und werde schauen, wofür es reicht.“
Erstaunlicherweise verkündet Kamil Stoch eine ähnliche Strategie. Dabei ist er mit 29 nicht nur der älteste im Favoritenterzett. Sondern als Doppel-Olympiasieger 2014 in Sotschi, Weltmeister 2013, ergänzt durch 16 Weltcup-Siege, mit Abstand erfolgreicher als Kraft und Tande. „Ich denke nicht an den Gesamtsieg“, sagt der Mann aus Zakopane. Aber natürlich würde er sich wünschen, bei dieser prestigeträchtigen Tour sein bisher bestes Resultat als Vierter 2012/13 zu übertrumpfen. Doch er sagt bescheiden: „Ich muss nicht immer der Beste sein. Es reicht mir, einer der Besten zu sein.“
Mit 1,73 m ist er der mittelgroße Springertyp mit großartiger Körperkontrolle und perfekter, butterweicher Landetechnik. Dass er zudem mental ein eisenharter Wettkämpfer ohne Nervenflattern ist, unterstreichen seine erwähnten Karriere-Glanzpunkte.
Springerisch gibt es beim 1,70 m großen Stefan Kraft (23) unübersehbar Parallelen zu Stoch. Vom Absprung bis zur Landung bei vorbildlich gestreckter Körperhaltung und der Landung gibt es kaum etwas auszusetzen. Neben fünf Weltcup-Spitzenrängen und Medaillen bei Weltmeisterschaften gilt der Sieg bei der Vierschanzen-Tournee vor zwei Jahren als sein bedeutendster Erfolg. Kraft weiß also, wie es geht. Zumal er den Ruf als „coole Socke“ genießt.
Ob der 22-jährige Daniel Andre Tande das fast über Nacht entstandene Interesse an seiner Person entspannt erlebt, bleibt abzuwarten. In Klingenthal und nun in Garmisch feierte der 24. der letztjährigen Tour die ersten Weltcup-Siege. Kann bei 1,82 m das Luftpolster optimal für sehr weite Flüge nutzen. Und bewegt sich bei der geforderten Telemark-Landung in der Tradition seines einstigen Klubgefährten Birger Ruud vom Kongsberg IF. Jener war an gleicher Stelle wie nun der Tagessieger Tande vor 81 Jahren Olympiasieger geworden.