Berlin, Deutschland (Weltexpress). In ruhigeren Zeiten würde zum Tod von Raisi erst einmal in Ruhe ermittelt, was da im iranischen Gebirge eigentlich geschehen ist. Das dürfte derzeit kaum möglich sein. Aber absurderweise könnte sich ein technischer Schaden als problematischer erweisen als ein Anschlag.
Der Hubschrauberabsturz, bei dem der iranische Präsident Ebrahim Raisi sowie die gesamte Delegation ums Leben kam, die nach Aserbaidschan gereist war, führt unvermeidlich zu Spekulationen. Schließlich fand erst vor wenigen Tagen der Mordanschlag auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico statt, an diesem Wochenende zudem ein Putschversuch in der Demokratischen Republik Kongo, die israelische Regierung setzt ihren Krieg im Gazastreifen fort und mit dem Ablaufen der Amtszeit des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij ist noch ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor hinzugekommen. Unter diesen Voraussetzungen kehren sich die Wahrnehmungen um – die Annahme eines Anschlags wird geradezu zur Regel.
Es ist natürlich möglich, dass es sich um einen Unfall handelte. Es war ein Hubschrauber US-amerikanischer Produktion, für den aufgrund der Sanktionen Ersatzteile schwer zu beschaffen sein dürften. Das Wetter in dem gebirgigen Gebiet war ausgesprochen schlecht; erste Videos von der Suche zeigen im Grunde nur eine einzige Nebelwand; dazu kamen wohl noch Regen und schwierige thermische Verhältnisse, auf einer Flugstrecke, die von Aserbaidschan bis Teheran überwiegend über Gelände verläuft, das mindestens 1700 Meter über dem Meeresspiegel liegt.
Die extrem schlechte Sicht könnte auch erklären, warum die beiden Begleithubschrauber den Vorfall erst nicht bemerkten – es gab schlicht keinen Sichtkontakt. Allerdings gibt es natürlich dennoch einige Fragen: Beispielsweise, warum die Delegation, die in Aserbaidschan zur Eröffnung eines Staudamms gekommen war, der ein gemeinsames iranisch-aserbaidschanisches Projekt ist, nicht auf die drei Hubschrauber aufgeteilt wurde. Oder auch (und die Frage wird sicher auftauchen), warum zentrale Personen der iranischen Regierung überhaupt noch in US-Hubschraubern unterwegs und nicht längst aus Sicherheitsgründen (sowohl technischer wie politischer) auf russische Fabrikate umgestiegen sind.
Allerdings ist nicht anzunehmen, dass iranische Hubschrauberpiloten von schlechtem Wetter im Gebirge überrascht werden, schließlich besteht das Territorium des Iran, von schmalen Küstenstreifen am Persischen Golf und am Kaspischen Meer aus Gebirge und Wüste, wobei das Gebirge den Löwenanteil stellt. Es ist kaum möglich, von einer iranischen Stadt zu einer anderen zu fliegen, ohne ein Gebirge zu überqueren. Und sollten die Maschinen technisch unsicher gewesen sein, kann man davon ausgehen, dass die abgestürzte von den drei beteiligten die sicherste war. Sprich, unter rein technischen Gesichtspunkten hätte die Wahrscheinlichkeit, dass einer der beiden anderen Hubschrauber abstürzt, zumindest höher gelegen.
Nun gibt es (neben der allgemeinen geopolitischen Spannung) auch Gründe, die im Zielland der Reise liegen, die zu anderen Annahmen führen können. Aserbaidschan ist für Iran kein ganz einfaches Territorium. So sehr auch durch die Wendung Armeniens gen Westen das ganze Gefüge im Kaukasus gerade im Umbruch ist – Armenien war dort lange Zeit der engste Verbündete Russlands. Baku hat beste Beziehungen nach Israel, auch wenn die Zusammensetzung der Bevölkerung durch ethnische Nähe zur Türkei und zu Iran sowie der schiitischen Mehrheit eigentlich anderes erwarten ließe. Gehen diese Beziehungen weit genug, dass israelische Agenten ungehindert agieren und einen Anschlag auf Raisis Hubschrauber durchführen könnten?
Es ist schwer zu bestreiten, dass sowohl die Neokons, die die US-Außenpolitik kontrollieren, als auch die israelische Regierung keinerlei Hemmungen haben, die politische Führung des Iran unmittelbar anzugreifen. Ein Punkt, der durch die teilweise sehr offen zur Schau getragene Freude über das Unglück noch einmal unterstrichen wird. Und Reaktionen wie jene des Ex-Grünen-Abgeordneten Volker Beck, jetzt Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der sich schon darüber empörte, dass die EU Satellitendaten für die Suche nach der Absturzstelle zur Verfügung stellte, und der inzwischen selbst gegen die Beileidsbekundung durch Charles Michel protestiert, tragen noch dazu bei, diesen Eindruck zu verstärken.
Ungünstigerweise sind die möglichen Folgen nicht allein mit den objektiven Tatsachen verbunden, sondern Wahrnehmungen spielen eine ebenso große Rolle. Um es noch einmal ins Gedächtnis zu rufen: Am 1. April waren bei einem israelischen Angriff auf die iranische Botschaft in Damaskus mehrere hochrangige iranische Militärs getötet worden. Zwei Wochen später erwiderte Iran mit einem – nach Vorwarnung – durchgeführten Angriff mit Drohnen, Lenkraketen und einigen wenigen ballistischen Raketen. Was danach von israelischer Seite erfolgte, ist unklar.
Pepe Escobar berichtete damals, ihm sei zugetragen worden, dass eine israelische F-35, die mittels der Zündung eines nuklearen Sprengsatzes über einen elektromagnetischen Impuls die iranische Energieversorgung und Kommunikation lahmlegen sollte, beim Verlassen des jordanischen Luftraums von einem russischen Flugzeug abgeschossen worden sei.
Wohlgemerkt, es gab sehr viele Zweifel an dieser Geschichte, aber es blieb eigenartig, dass keine nennenswerte israelische Reaktion zu verzeichnen war. Am 9. Mai jedenfalls erklärte Iran, falls Israel iranische Nuklearanlagen angreife, müsse das Land seine Nukleardoktrin ändern. Was allerdings nicht binnen kurzer Zeit erfolgen kann, weil die Grundlage eine Fatwa ist, die Atomwaffen für haram, „unrein“, erklärt und damit grundsätzlich untersagt.
Die Art und Weise, wie Iran auf den israelischen Angriff in Damaskus reagiert hatte, belegt, dass die iranische Führung kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel oder gar den Vereinigten Staaten hat. Warum auch, erweist sich doch die Strategie der Nadelstiche, mit der insbesondere die Verbündeten im Jemen auf den israelischen Genozid reagiert haben, als ausgesprochen wirkungsvoll.
Der Gegenangriff auf Israel war eine reine Demonstration, auch wenn die dadurch bei der Gegenseite ausgelösten Kosten beträchtlich waren; wie die Antwort vor Jahren auf die Ermordung von General Qassem Soleimani durch die USA war er schon so lange zuvor bekannt gegeben, dass der Verlust von Menschenleben so weit wie möglich ausgeschlossen war. Man kann davon ausgehen, dass sich an diesem Interesse nichts ändert, auch wenn sich erweisen sollte, dass es sich um einen Anschlag handelte.
Anders sieht es aber damit aus, ob dieses Interesse seitens der Regierung auch politisch durchsetzbar ist – vor allem im eigenen Land. Dabei dürfte der Angriff Anfang April nach wie vor eine Rolle spielen, eben weil die iranische Reaktion zwar klug und erfolgreich war, aber auch jenen schwer zu vermitteln, die Vergeltung erwarten. Die Bedingungen des Absturzes sind nun einmal so, dass es nicht nur in Iran, sondern im ganzen Globalen Süden weitaus mühsamer sein dürfte, die Menschen von einem Unfall zu überzeugen als von einem Anschlag, auch wenn eine akribische Untersuchung diesen bestätigen würde. Was den Handlungsspielraum einer durch die Verluste angeschlagenen Regierung weiter einschränkt.
Im Gegensatz zu den Erwartungen des Westens, die schon wieder einmal auf Regimechange gerichtet sind, dürfte die tatsächliche Reaktion in die Gegenrichtung gehen. Schon allein, weil in der normalen Reaktion ein derartiges Ereignis selbst dann als Angriff auf die Souveränität des eigenen Landes gesehen wird, wenn man nur begrenzt hinter der betroffenen Regierung steht. Nein, das politische Problem wird eher sein, dass große Teile der Bevölkerung auf jeden Fall in diesem Absturz einen Angriff sehen werden, auf den sie eine angemessene Antwort erwarten. Ein Problem, das paradoxerweise noch größer wird, wenn es sich in Wirklichkeit um einen technisch bedingten Unfall handelte.
Wird sich bei der Entwicklung im Zusammenhang mit BRICS irgendetwas ändern? Kaum. Das jüngst unterzeichnete iranisch-indische Verkehrsprojekt knüpft über das Kaspische Meer an Russland an, nicht quer durch den Kaukasus, was auch Sinn macht, nicht nur, weil alle Transitstaaten eingebunden werden müssten, die Verhältnisse dort aber instabil sind, sondern auch schlicht, weil eine belastbare Verkehrsverbindung durch das Gebirge deutlich teurer und aufwendiger ist.
Auch auf die finanziellen Planungen, die Abkopplung vom US-Dollar betreffend, sind keine Auswirkungen zu befürchten. Die diplomatischen Fähigkeiten könnten vorübergehend unter dem Verlust leiden; aber solange kein grundsätzlicher politischer Bruch zu erwarten ist, und das ist er nicht, ist das zwar ein großer, aber ein verkraftbarer Verlust.
Allerdings stellt sich tatsächlich die Frage, ob derartige Vorfälle als Ausdruck westlicher Panik häufiger werden könnten. Schließlich kann man bei dem Projekt Ukraine eigentlich nur noch auf das Ende warten, während das israelische Vorgehen zur Entvölkerung des Gazastreifens zu zunehmender internationaler Isolation führt. Die Schwächung der europäischen Verbündeten, um den Hegemon zu stützen, macht den gesamten Westen auch nicht stärker, und alle Versuche, die „regelbasierte Weltordnung“ auszuweiten oder auch nur aufrechtzuerhalten, scheitern mittlerweile. Abseits der Propaganda ist eigentlich unübersehbar, dass militärisch nichts zu retten ist.
Nachdem aber nach wie vor keine Strategien dafür existieren, wie man mit einer eigenen Niederlage umgehen könnte, und wie eine Integration in die entstehende neue Ordnung möglich sei, ist erratisches Verbreiten von Chaos mit allen Mitteln die einzige Alternative, die zur nuklearen Option noch bleibt. Was, sollte sich das in näherer Zukunft bestätigen, ein weiteres Paradoxon schafft – dass selbst eine verstärkte Neigung zu Mordanschlägen und Terror seitens des Westens noch ein Signal der Hoffnung ist, weil sie bestätigt, dass zumindest genug Restverstand übrig ist, nicht zur „Götterdämmerung“ zu greifen.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 20.5.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
Siehe auch die Beiträge
- Zehnjahresabkommen zwischen Iran und Indien unterzeichnet von Ulf Peter
- Deutschland und Iran – Wie immer keine Ahnung vom Völkerrecht von Dagmar Henn
- Kommentar: Den Sack schlägt man und den Esel meint man – Das Schützenfest der Islamischen Republik Iran gegen den zionistischen Judenstaat von Mats Marder
- Süßer die Glocken nie klingen… – Das Wetter, die Technik oder Sabotage? von Mats Marder
- Zum Tod von Ebrahim Raisolsadati – Die Islamische Republik Iran nach dem Absturz eines Helikopters von Mats Marder
im WELTEXPRESS.
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