Berlin, BRD (Weltexpress). Wann weiß man, dass man einer diskriminierten Minderheit angehört? Wenn es einen Beauftragten gibt. Und das auch noch beim Bundeskanzler. Was der Beauftragte produziert, ist aber vor allem schwer verdauliche Lektüre über die undankbaren Ossis.
Ach, dieser Ostbericht. Ein paar harte Fakten, und dann ganz viel Pampe drüber. Gewürzt mit ein klein wenig Onkel-Tom-Attitüde des Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, der eigentlich im Bundestag sitzt, seit er der Pubertät entwachsen ist – seit er 1998 mit gerade mal 22 Jahren dort einzog.
Dieser Herr hat nun also einen Jahresbericht veröffentlicht, der vor allem eines tun soll: seine eigene Existenz rechtfertigen. Immerhin ist er jetzt Staatsminister beim Bundeskanzler, bekanntlich keine Tätigkeit im Niedriglohnsektor. Was macht er also in seinem Bericht? Er füllt schon einmal viele Seiten mit einem dekorativen Angebot verschiedenster Texte, die mit dem eigentlichen Thema nichts zu tun haben. Wie einem Aufsatz des Außenministers eines begrenzt demokratischen nordosteuropäischen Zwergstaats, der sich über „Litauen und Deutschland: Richtung strategischer Partnerschaft“ auslässt.
Moment, denkt man da, ich dachte, es geht da um das Anschlussgebiet und dessen Bewohnerschaft, und nicht um die Nachfolge für das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete? Was, um Himmels willen, hat eine Lobeshymne des Außenministers eines Landes, in dem ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung keine staatsbürgerlichen Rechte besitzt, mit der inneren Verfasstheit zwischen dem West- und dem Ostteil Deutschlands zu tun? Mag ja sein, dass sich Schneider, als treuer SPDler, darüber freut, wenn Herr Landsbergis schreibt, wie toll das sei, dass Deutschland seine „Abhängigkeit von russischen Energielieferungen aufgehoben“ habe und „fest auf Platz zwei nach dem Umfang der für die Ukraine gelieferten militärischen Unterstützungsleistungen“ stehe. Und dann erklärt: „Wir begrüßen diese Entwicklungen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und sehen sie als ein Anzeichen der zunehmenden Führungsrolle Deutschlands in Europa und auf der ganzen Welt, die wir in Litauen sehr gerne unterstützen.“
Bleibt ihm ja gar nichts anderes übrig. Litauen erhält 2,27 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts als EU-Subvention, 573 Euro pro Kopf der Bevölkerung, aus einem EU-Haushalt, der zur Hälfte aus Deutschland finanziert wird. Selbst der russophobe Gabrielius Landsbergis dürfte die Tonlage schnell wechseln, wäre die politische Haltung Deutschlands eine andere. Wobei genau dieses kleine Problem, dass die Bewohner des Anschlussgebiets davon nicht begeistert sind, was Landsbergis in den höchsten Tönen besingt, im ganzen Bericht keine Rolle spielt.
Im Gegenteil. Schneider hält schließlich gerade das für besonders toll: „Das wiedervereinte Deutschland war von Beginn an Teil der EU und auch der NATO. Damit genoss Deutschland im Vergleich zu den übrigen Ländern Ostmitteleuropas ein ungeheures Privileg.“
So kann man auch über die Tatsache hinwegsehen, dass die Bevölkerung damals, in beiden Teilen, um ihr Recht betrogen wurde, sich auch für eine Neutralität entscheiden zu können. Klar, Schneider war damals noch zu jung, aber ein wenig Recherche hätte dem abhelfen können.
Vermutlich als Ersatz dafür gibt es einen Aufsatz von dem Quotenossi im Bundesverfassungsgericht, die das auch alles ganz toll findet und von „vielfältigem Gespräch“ tönt und wie sehr das Grundgesetz doch „atme“. Man möchte ungern alte Kamellen aufwärmen, aber die Installation des Grundgesetzes 1949 hat auch in den Westzonen einen durchaus möglichen Verfassungsprozess abgewürgt, der durch die bereits 1946 (ordnungsgemäß per Plebiszit) verabschiedeten Landesverfassungen belegt ist. 1990 wurde diese Nummer also bereits zum zweiten Mal gezogen. Sollte man als Verfassungsrichterin zumindest wissen.
Da wären wir aber sofort bei den Punkten, die über die ganze Entwicklung seit 1990 Nachdenken machen und womöglich zu dem Schluss führen, da sei zumindest etwas gewaltig schiefgelaufen. Das zu verhindern scheint aber die Hauptfunktion des Ministers Schneider zu sein.
Immerhin, in dem Papierwust von 176 Seiten finden sich auch ein paar harte Zahlen. In dem Bericht des Bundesprojekts „Mehr Ostdeutsche in Führungspositionen“ beispielsweise; auch wenn sich der Blick auf ein Teilspektrum begrenzt, die obersten und oberen Bundesbehörden. Da gibt es zuerst einmal eine Jubelmeldung: „Im Jahr 2024 sind 15 Prozent der Führungskräfte in obersten Bundesbehörden gebürtige Ostdeutsche (mit Berlin). 2022 lag dieser Wert noch bei knapp unter 14 Prozent, 2023 bereits bei 14,3 Prozent.“ Der Bevölkerungsanteil liegt bei 20 Prozent.
Schon der nächste Satz trübt allerdings das Bild: „Betrachtet man Ostdeutschland ohne Berlin, so liegt der Anteil bei nur 7,8 Prozent.“ Damit wird das Ganze wieder etwas unklar – welches Berlin ist denn gemeint? Relevant wäre ja nur der Anteil jener, die aus Berlin, Hauptstadt der DDR, stammen. Aus der Formulierung lässt sich das nicht genauer erschließen, aber Westberliner waren schon immer Teil der bundesdeutschen Polit- und Verwaltungseliten, die müssten wirklich rausgerechnet werden. Selbst wenn man davon ausginge, dass nur die Hälfte der eingerechneten Berliner Westberliner sind, sind die Zahlen, die dann herauskommen, noch schlechter.
Das ist aber nur das Sahnehäubchen, die Zahlen aus einem Bereich, in dem – wenn es denn schon ein solches Projekt gibt – zumindest inzwischen etwas darauf geachtet wird, dass das nicht gar zu sehr nach direct rule aussieht (direct rule hieß in der britischen Kolonialgeschichte die Regierung direkt durch eine Kolonialverwaltung, während indirect rule die autochthonen Strukturen als Fassade beließ). Nebenbei, was dieser Bericht auch noch feststellt: „In den höheren Führungsebenen ist die Unterrepräsentation nach wie vor besonders stark ausgeprägt, wenngleich auch hier eine leichte Verbesserung zu erkennen ist.“
Man muss sich einmal ins Gedächtnis rufen: Derartige Daten gehören zu dem Paket sozialer Kennzahlen, anhand derer sich Diskriminierung belegen lässt. Wobei das in anderen Bereichen noch deutlich schlimmer aussieht. An anderer Stelle des Bandes geht es um Einkommens- und Vermögensunterschiede.
„Ostdeutsche Löhne liegen immer noch knapp 30 Prozent unter den westdeutschen Löhnen. Das durchschnittliche Vermögen der ostdeutschen Haushalte beträgt weniger als 50 Prozent des westdeutschen Durchschnitts.“
Hoppla. Fast ein Drittel ist eine ganze Menge, mehr als 30 Jahre nach einer angeblichen Wiedervereinigung, oder? Vor allem, weil diese Zahl belegt, dass sich in besagten 30 Jahren auch nichts gebessert hat, den Unterschied gab es nämlich schon Anfang der 1990er. Beim Vermögen ist es übrigens mal wieder der Besitz an selbstbewohnten Immobilien, der die Zahl nach unten reißt. Schon dumm, wenn man erst zu dem Zeitpunkt zum Teil der ach so tollen Bundesrepublik geworden ist, als längst nicht mehr vorgesehen war, dass sich Menschen mit Durchschnittseinkommen ein Haus bauen können, und dann auch noch die Wohnungsgesellschaften an die Kommunen gehen, die durch einen bösartigen Rechentrick dermaßen mit Schulden versehen werden, dass sie diesen Wohnungsbestand zu großen Teilen verkaufen müssen, spätestens, wenn die erste Renovierung ansteht.
Nein, das steht alles nicht in diesem Bericht. Aber diesen Zahlen kann man trotzdem eigentlich nicht entrinnen. Schneider nimmt sie selbst in seinem Vorwort zur Kenntnis, schreibt dann aber dennoch: „Auch 35 Jahre nach der Friedlichen Revolution fühlen sich viele Ostdeutsche als Bürger zweiter Klasse.“
Was deutlich belegt, dass Schneider nur die wandernde Beruhigungspille ist, denn da ist nichts „gefühlt“, genau das wird mit diesen Zahlen belegt. Egal, ranken wir doch noch ein paar weitere Geschichten rundherum. Wie, dass wieder einmal der Mythos aufgewärmt wird, dass der Osten „Aufarbeitung“ der Nazizeit versäumt und deshalb irgendwie ein Defizit im Demokratieverständnis habe. Dafür gibt es einen Professor Jörg Ganzenmüller. Der lobt erst einmal die Westrepublik: „Es waren insbesondere die Überlebenden der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, welche die Aufarbeitung gegen alle Widerstände anmahnten und beförderten. In einer unabhängigen Justiz fanden sich ebenfalls Akteure, die eine strafrechtliche Verfolgung der Täter vorantrieben, wenn sie dabei auch auf erhebliche Widerstände stießen.“
Ein Mann. Fritz Bauer, der den Auschwitz-Prozess durchsetzte. Und ja, es gab auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die sich nach Kräften bemühte – sofern sie nicht gerade selbst von der Adenauer-Justiz verfolgt wurde, in der bekanntlich ganz viele Nazijuristen saßen. Als man endlich anfing, nachzusehen, wie viele NSDAP-Mitglieder im Innen- und Justizministerium der Bundesrepublik saßen, stellte man fest, dass sich die Hälfte der Belegschaft aus ihnen rekrutierte, in den 1960ern. Aber der Westen hat das ganz super gemacht, kaum war diese Generation in Rente … der Osten dagegen: „Gleichzeitig zog der Gründungsmythos der DDR eine direkte Linie vom kommunistischen Widerstand in den Konzentrationslagern zum staatlichen Antifaschismus. Dies war eine andere Form der Exkulpation, da personelle und mentale Kontinuitäten zum Nationalsozialismus als rein bundesdeutsches Problem gesehen und damit externalisiert wurden.“
Dasselbe Spiel wie beim „als Bürger zweiter Klasse fühlen“. Harte materielle Tatsachen werden zum Mythos erklärt. Man kann sich die Biografien der DDR-Minister ansehen. Es findet sich ganz konkret: In den Regierungen der BRD saßen die Nazis, und in den Regierungen der DDR saßen ihre Gegner, solange diese Generation noch die Politik prägte. Da wurde nicht „externalisiert“. Und ein Teil der Wanderung aus der sowjetischen Zone in die Westzonen beruhte ganz pragmatisch darauf, dass viele der Nazichargen genau wussten, wo die Chancen auf eine künftige Karriere besser standen. Das ist vielleicht auch eine Form der „Externalisierung“, aber so ist das sicher nicht gemeint. Im Gegensatz zur Bundesrepublik, in der ein Theodor Oberländer Minister werden konnte, saßen in jenem anderen Berlin Menschen in der Regierung, die in Haft oder im Exil gewesen waren.
„Und doch stellt sich die Frage, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und einer Bereitschaft, rechtsextreme Parteien zu wählen, gibt. Sicherlich haben die Ostdeutschen keine größere Affinität zum Nationalsozialismus als die Westdeutschen. Es sind allerdings ideologische Versatzstücke, wie die Sehnsucht nach einer Volksgemeinschaft, die in Ostdeutschland anschlussfähiger zu sein scheinen.“
Ja, die Westdeutschen haben es eher mit dem Glauben an den slawischen Untermenschen. Nur, dass die Volksgemeinschaft bei den Nazis der Eintopf für die Massen war, der Braten für die Herrenmenschen aber eher nach „Überleben des Stärkeren“ aussah. Der Unterschied zwischen Werbung und Ware, gewissermaßen. Und zwischen der vor Arroganz triefenden „regelbasierten Weltordnung“ und der Geisteshaltung der SS gibt es ausgeprägte Ähnlichkeiten.
Aber wir wollen hier nicht von Heinrich Himmler, dem Herrenmenschentum und dessen ukrainischen Fans reden, sondern herausfinden, was der Ostbeauftragte der Bundesregierung auf seiner gut dotierten Stelle so treibt. Da gibt es noch eine nette Umfrage zum Thema Werte und politische Grundeinstellungen, die beispielsweise zu folgender toller Erkenntnis kommt: „Personen, die populistische Anschauungen, eine Parteinähe zur AfD oder zum BSW, niedrige bis mittlere Schulbildung, das Gefühl sozialer Deprivation (d. h. das Gefühl, nicht das zu erhalten, was ihnen gesellschaftlich zusteht) sowie eine schlechte eigene wirtschaftliche Lage haben, nehmen das „Wir-Gefühl“ seltener als gut wahr.“
Das ist die übliche Henne-oder-Ei-Geschichte. Erzählt wird, dass Leute, die „populistische“ Anschauungen haben, auch oft eine „schlechte eigene wirtschaftliche Lage“ aufweisen, und dann nicht so viel „Wir-Gefühl“ wahrnehmen. Drehen wir es doch ein wenig um – warum sollten denn Menschen, deren eigene wirtschaftliche Lage schlecht ist, ein großartiges „Wir-Gefühl“ empfinden? Das wäre doch irgendwie eigenartig, oder?
Dafür, dass die belegte materielle Benachteiligung nach über 30 Jahren noch so konsequent und unabänderlich ist, ist ein unterdurchschnittliches Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen Medien noch eine zurückhaltende Reaktion. Ein Drittel weniger, ein Leben lang, das müsste weit mehr Zorn erregen, als derzeit sichtbar ist.
Womit die Aufgabe, für die das Amt des Ostbeauftragten der Bundesregierung steht, endgültig klar umrissen ist. Kurz die Wirklichkeit andeuten, dann ganz viel Nebel rundherum werfen, und zu guter Letzt den Betrogenen erklären, dass sie selbst schuld sind, weil nicht weltoffen und tolerant genug. Sie sollen sich gefälligst ein ordentliches Wir-Gefühl zulegen, für die NATO-Mitgliedschaft dankbar sein und sich daran erfreuen, dass Deutschland „ein unumstritten wichtiger und zuverlässiger sicherheitspolitischer Akteur“ ist. Vielleicht wird dann noch ein Sesselchen für einen Quotenossi geräumt, damit er auch die Hand heben kann bei der Entscheidung, das Land im Namen der NATO in den Untergang zu führen.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Und jährlich grüßt das Murmeltier: Der Ostbeauftragte erstattet Bericht“ am 26.9.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
Siehe auch die Beiträge
- Große Unterhaltungsshow oder Jochen Schmidt durchstreift die Zone – Annotation zu „Gebrauchsanweisung für Ostdeutschland“ von Jochen Schmid von Frank Willmann
im WELTEXPRESS.
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