Eschweiler, Deutschland (Weltexpress). Alexandra Wilhelm, geboren 1977 in Aachen, bewirtschaftet als Diplombiologin in Eschweiler bei Aachen das „Pferdeland Aachen„, eine Pferdepension mit angeschlossenem Reha und Altersruhesitz. Die Diplom-Biologin studierte an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Molekulare Phytopathologie, ist zertifizierte Hufpflegerin nach Strasser und Hydroxytherapie-Therapeutin (OrthoCell AG).
Zur Zeit promoviert sie an der veterinärmedizinischen Abteilung der Universität Leipzig bei Prof. Dr. C. Mülling zum Thema“Auswirkungen von Hufbeschlag und mangelhafter Hufbearbeitung auf die Entstehung von Hufkrankheiten wie Hufrollenentzündung und Hufrehe.“
Wie viele Mädchen hatte Alexandra ihre ersten Kontakte mit Ponys, die hinter ihrem Elternhaus in in einem großen Wald- und Wiesengebiet lebten.
Da wurde „kein Unkraut vernichtet, gemäht oder gedüngt, das machte man vor knapp 35 Jahren noch nicht“, berichtet Wilhelm und merkt an: „Nur sehr selten kam jemand, der sich um die Tiere kümmerte, doch sie waren immer gesund und quicklebendig.“
Dieses erste Erlebnis mit Pferden bestimmte ihre spätere Berufswahl als Therapeutin der Wasserheilkunde und Huforthopädin mit dem Schwerpunkt, den Pferden eine artgerechte Haltung zu bieten. Und genau das macht sie am Rande der Großstadt möglich.
Das Exklusivinterview
Paschel: Liebe Alexandra, wie ich in meinem Sportstudium im Köln gelernt habe, ist der Bewegungsmangel beim Menschen die Ursache für viele Krankheiten. Das galt schon vor 50 Jahren und ist aktueller denn je. Für Pferde gilt das um ein Mehrfaches, denke ich als ehemaliger Langstreckenläufer und später Radrennfahrer, denn Pferde passen sich viel schneller an erhöhte Trainingsreize an als Menschen, ungefähr viermal so schnell aus meiner persönlichen Erfahrung. In der Trainingslehre nennt man das Superkompensation.
Sie haben auf ihrem Traumhof einen Trailrun konzipiert, wo sie den Pferden rund um die Uhr Bewegung verschaffen. Sie machen auf dem Video eine Umrundung in gut 9 Minuten. Ich schätze mal, dass der Kurs ca. 2 km ist?
Wilhelm: Ja, Bernd, es ist tatsächlich ein Traum wahr geworden. Gerade Pferde kann man nicht genug zur Bewegung anregen, damit sie gesund bleiben. Ich bin sogar der Meinung, dass selbst der beste Offenstall, Paddock-Trail oder ähnliches nicht so viel Bewegung verschafft, als dass es sich nicht noch lohnen würde, jeden Tag zusätzlich noch eine Stunde mit dem Tier im Wald oder im Feld zu verbringen. Gerade jetzt wo der Winter vorbei ist, blicke ich zurück und sehe wie der Mensch, der sich in der kalten Jahreszeit meist lieber drinnen aufhält, weniger Zeit aktiv mit dem Pferd verbracht hat und dies spiegelt sich dann wider in Husten, Erkältungsneigung und mehr, auch bei Pferden, die den ganzen Tag im Wind, bei Schnee und Eis, ohne Bewegung an der Heuraufe stehen oder in der Box Zugluft und Ammoniakgasen ausgesetzt sind.
Paschel: Um das zu ergänzen: Gerade jetzt erlebe ich, wie Pferden, die ein gut funktionierendes Thermoreguliersystem haben, das bis 20 Grad minus problemlos funktioniert, durch eine Decke vermittelt wird, das Sommer ist, gemessen an der Temperatur, die unter der Decke nachgewiesen werden kann bis zu 40 Grad. Ich habe erst ein einziges Pferd erlebt, das bei minus 10 Grad gezittert hat, und das war ein Sportpferd, das noch nie in seinem Leben ein Winterfell entwickeln konnte und zum ersten Mal im Leben ohne Decke war. Ein Jahr später bekam das Pferd ein Winterfell. Haben Sie schon einmal ein Wildpferd mit Decke gesehen?
Wilhelm: Nein zum Letzteren und Ja zum Ersten. Pferde sind Lauftiere, sie sind gemacht, um sich langsam und gelegentlich schnell durch die Welt zu bewegen, 25 bis 35 km am Tag nach wissenschaflich fundierten Erkenntnissen, nicht um moppelig dick eingepackt an Ort und Stelle schön auszusehen. Aber zurück zu ihrer eigentlichen Frage: Ja, ich habe schon Pferde zittern sehen, im Sommer bei tagelangem Regen. Es handelte sich um ein Pferd, das bei mir in Huf-Reha war und geradewegs aus der Box kam: Eisen ab, 1. Behandlung hinter sich, neue Herde, Füße taten weh, konnte sich zunächst verständlicherweise sehr schlecht bewegen und war zum ersten Mal in seinem Leben im Offenstall: Er stand bibbernd im Juni-Regen. Leider gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Ich bin schon der Meinung, dass man Wildpferde-Bedingungen und/oder Verhaltensweisen nicht 1:1 auf unsere „Hauspferde“ übertragen kann, auch wenn sie im Offenstall leben – der vielleicht nur ein paar hundert Quadratmeter groß ist. Das funktioniert nicht.
Paschel: Da stimme ich natürlich zu: Artgerecht ist immer nur eine Annäherung beim domestizierten Pferd und für kranke Pferde gilt das nicht ohne Einschränkung. Viele kranke Pferde würden in der Wildnis nicht überleben, denke ich. Auch ein ha pro Pferd ist schon gewaltig, wenn man diese Relation für artgerechte Haltung berücksichtigen will, aber da ist Ihr Trail ja eine Alternative.
Wilhelm: Ihre Schätzung zur Länge des Trails kommt ungefähr hin, ein paar Pferde haben schon tageweise einen GPS getragen, doch da es sich bei den Probanden um Mini-Shettys handelte, war die Auswertung etwas schwierig, denn die Kleinen sind auch in private Ecken eingedrungen, die nicht zum Trail gehören.
Paschel: Die Hufkrankheiten sind, wie gesagt, Ihr Spezialgebiet, u. a. Hufrehe, die auch heute noch ausschließlich auf falsche Ernährung zurückgeführt wird. Die armen Pferde bekommen einen sogenannten Rehebeschlag und dürfen dann oft ein ganzes Leben lang kein Gras mehr fressen.
Wilhelm: Ja, das stimmt. Es ist schrecklich und für mich unverständlich wie es heute im Jahr 2018 noch immer zur Standardbehandlung eines Pferdes mit akuter Hufrehe gehört, dass man Entzündungshemmer und Schmerzmittel verabreicht, schlimmstenfalls auch noch Keile unter die Hufe macht, aber tatsächlich weder die Ursache erkennt noch behandelt, nämlich die fatale Hufsituation mit unphysiologisch langen Trachten. Es ist mir nicht begreiflich, dass fast alle Tierärzte das nicht erkennen. Man sollte doch meinen, dass ein Grundwissen über den Hufmechanismus bei Veterinären vorhanden ist. Es gibt nur sehr wenige, die wissen, dass der Huf und dessen mangelhafte Bearbeitung die einzige Ursache für Hufrehe ist. Die nicht artgerechte Haltung und Ernährung oder auch Überlastung sind nicht die Ursachen für die Entstehung, sondern der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, der Stoffwechsel-Gau, der an seiner schwächsten Stelle bricht, dem Huf. Sind die Hufe in Ordnung, wird kein Pferd durch Gras eine Hufrehe bekommen. Das ist auch der Grund, warum ich Pferde-Patienten mit akuter Hufrehe sofort nach der ersten Behandlung wieder frei herumlaufen lasse – mit Zugang zur Wiese, mit uneingeschränktem Zugang zu Heu und, und, und. Boxenhaft, Steilstellen, orthopädischer Beschlag, Nahrungsentzug, Medikamente die weiter Leber- und Niere belasten, das ist der Weg zum finalen Ende. Im vergangenen Jahr sind alleine hier auf dem Hof zwei Hufrehe-Pferde alleine durch die korrekte Hufbearbeitung und natürlich auch durch die optimalen Haltungs- und Ernährungsbedingungen innerhalb von einigen Monaten von Hufrehe geheilt worden. GEheilt in dem Sinn, dass beide Pferde heute unauffällig in der Herde mitlaufen. Es ist am Gangbild nicht mehr zu erkennen, dass sie eine Rehe hatten. Die Hufe sind noch nicht einmal ganz herunter gewachsen. In einem Fall lag eine Hufbeinabsenkung mit Separation vor.
Paschel: Für den Beitrag Hufpflege in der Diskussion – WELTEXPRESS im Gespräch mit Dr. Hiltrud Strasser und Podologe Daniel Anz, der bisher über 13600 Mal angeklickt wurde, ist mir im Gespräch selbst noch einmal klar geworden, wie wichtig die richtige Hufbearbeitung ist und welche Schäden das Eisen am Huf erzeugen kann. Die „Longitudinale Beweglichkeit“ scheint mir der Schlüssel zum Verständnis zu sein.
Wilhelm: Richtig, glücklicherweise hat Frau Dr. Strasser ein sehr gutes physikalisches Verständnis. Mit ihrem Eimer-Modell, bringt sie eigentlich jedem, der sich für Hufe interessiert, sehr leicht verständlich den Hufmechanismus nahe. Der Hufmechanismus ist nur möglich, wenn der Huf in Balance ist, dh. die Trachten, die Zehe und die Eckstreben müssen alle ein gewisses physiologisches Maß haben. Nur dann wird der Huf in der Bewegung beim Auffußen weiter statt enger. Bei Hufbeschlag oder bei mangelhafter Hufbearbeitung – wenn die physiologischen Maße nicht eingehalten werden, wird der Huf immer enger. Das geht relativ schnell, wenn zusätzlich noch die Haltung mangelhaft ist. Innerhalb von 6 Monaten kann ein Huf schon zum Zwanghuf werden, nach oben hin sind da natürlich keine Grenzen. Der Zwanghuf ist der 1. Schritt zur Hufrehe. Oder zur Hufrollenentzündung.
Paschel: Ein Argument für Hufbeschlag, das mir neulich ein aufgeschlossener Hufschmied nannte, war: „Durch Züchtung bedingte stetig schlechter werdende Hornqualität erfordert einen Beschlag bei manchen Pferden“.
Können Sie dem etwas entgegen setzen?
Wilhelm: Dem widerspreche ich. Es ist wohl eher so, dass die Zuchtbedingungen immer schlechter werden. Mangelhafte Bewegung, keine Freiheit, Boxenhaltung auch schon für Fohlen. Solche Pferde bekommen sicherlich schlechte Hufe. Durch die mangelhafte Bewegung wird das Horn natürlich nicht kräftig und stabil. Das stehen auf einer ungeraden Stroheinstreu, in welche die Hufe einsinken, prädestiniert für schlechte Hufe. Durch das Ammoniak wird das Horn zudem weich. Leicht bilden sich jetzt Fehlstellungen. Am besten ist es, Stute und Fohlen draußen zu halten und zwar Tag und Nacht und dies am besten auch nicht nur auf eine Wiese, sondern auch dort, wo richtig fester Boden ist. Dies ist für kräftige Hufe, Knochen und Gelenke sicherlich nur von Vorteil. Davon abgesehen könnte ich mir auch gut vorstellen, dass auch hier die Nahrung eine große Rolle spielt. Aus Kostengründen gibt es heute oft statt Heu Silage oder Heulage, statt Zugang zu einem Stückchen Natur gibt es das Müsli aus dem Futtersack, schön versetzt mit Zusatzstoffen. Die Zutatenliste guckt man sich eher selten an vermute ich, wenn die Werbung für das Produkt stimmt.
Paschel: Heulage ist nicht nur anfällig für Pilze, die man schnell übersehen kann, sondern sie kann vom Pferd gar nicht verdaut werden, weil das Pferd kein Wiederkäuer ist. Mittelfristig führt es sogar dazu, dass die Darmflora stark beeinträchtigt wird mit der Folge, dass die Immunabwehr des Pferdes über lange Zeit geschwächt wird.
Wilhelm: Genauer gesagt besteht das Problem der Heulage-Fütterung vor allem in der Übersäuerung des Darms durch massive Einschwemmung von Milchsäurebakterien, in der späteren Entwicklung bei Dauerfütterung dann Kotwasser, Allergien, schwaches Immunsystem, Leber- und Nierenüberlastung, Vitaminmängel durch die pH-verschobene Bakterienflora und letztendlich so schöne Sachen wie Hufrehe, COB, Sommerekzem und und und.
Paschel: Bei Ihren Fallbeispielen, die sie auf Ihrer Homepage dokumentiert haben, ist auch ein Pferd mit extremem Bockhuf. Wie viel Zeit braucht diese Therapie?
Wilhelm: Das hängt ganz davon ab, wie viel Bewegung das Pferd hat und auf welchen Böden es sich bewegen kann/darf – ich wiederhole mich langsam, das merke ich, aber es ist wirklich immer dasselbe, es geht darum die Ursachen zu beseitigen, nicht die Symptome zu behandeln, so einfach und doch so schwer.
Dieses Pferd hat während der Behandlung anfangs noch in einer Boxenhaltung mit wenig Weidegang gestanden, dann stand es ein paar Monate in einem Offenstall, dann wieder teilweise nachts in der Box. Die Besitzerin hat sich aber peinlich genau an alles gehalten, was ich ihr sonst drumherum verordnet habe. Hufe baden, Termine alle 4 Wochen einhalten, jeden Tag spazieren auf hartem Boden im Gelände, Hufschuhe kaufen, Ernährung umstellen und, und, und.
In diesem Fall hat es 2 Jahre gedauert bis sich nicht nur der Huf, sondern auch das Hufgelenk in der Anordnung der Zehenknochen hin zur physiologisch korrekten Form verändert hat.
Einen Bockhuf kann man aber innerhalb von einer einzigen Hufbehandlung so verändern, dass danach nicht mehr zweifelsohne ein Bockhuf zu erkennen ist. Die Bewegung und der Boden (wegen des Gegendrucks) machen den Rest.
Paschel: Ich zitiere Sie mal von Ihrer Homepage: „Alle Rehabilitationsmaßnahmen nutzen nichts, wenn man nicht dazu bereit ist, grundlegend einige Aspekte zu verinnerlichen und sich dauerhaft daran zu halten.“
Diese Aspekte betreffen die artgerechte Haltung, Ernährung, Bewegung und Hufbearbeitung.
Wenn ich all diesen Punkten auf den Grund gehe, stelle ich fest, dass der Mensch anscheinend glaubt, dass er in allen Bereichen um das Pferd glaubt zu wissen, was für das Pferd am besten ist, obwohl die Pferde in 34 Mill. gelernt haben, was für sie am besten ist. Dazu brauchen sie nur eine annähernd artgerechte Umwelt.
Aus meiner Sicht als Sportlehrer fällt mein Auge dabei zuerst auf die natürliche Bewegung des Pferdes und ich sehe, dass viele Menschen anscheinend einem starken Bedürfnis unterliegen, die Bewegungen ihres Pferdes kontrollieren zu müssen. Dabei spielt das Imponiergehabe des Pferdes eine besondere Rolle, die anscheinend vielen Menschen besonders gefällt, obwohl Pferde in Freiheit das nur selten praktizieren, sondern überwiegend in der Dehn-Haltung nach vorn abwärts grasen.
Dieses Kontrollbedürfnis des Menschen kann man gut psychologisch erklären. Haben sie vielleicht eine biologische Deutung für dieses menschliche Verhalten?
Wilhelm: Der Mensch will das Pferd kontrollieren. Er will es dominieren. Manchmal macht das auch Sinn, immer dann, wenn man sich z. B. im Straßenverkehr aufhält, denke ich, denn eine rote Ampel hat meinen Sunny noch nie dazu gebracht von alleine anzuhalten.
Paschel: Nach Michael Geitner können Pferde besser Gelb und Blau unterscheiden, aber geben sie Ihrem Pferd ein Leckerli, wenn die Ampel auf Grün springt, vielleicht gelingt’s dann?
Wilhelm: Vielleicht, eine wirklich biologische Erklärung im eigentlichen Sinne habe ich nicht, allerdings fällt mir auf, dass die meisten Menschen einen Kampf mit ihrem Pferd führen. Sei es, weil sie eigentlich Angst vor Ihrem Pferd haben oder weil sie aggressiv sind und Emotionen wie Wut und Ärger an dem Tier auslassen, die sie sonst nirgendwo raus lassen können. Das macht auch vor dem Reiten keinen Halt. Man will es erzwingen, dass das Pferd etwas tut, was man selbst will, aus welchem Grund auch immer, in dem Fall ist es das Imponiergehabe, das heißt für mich symbolisch, ich habe das wildeste Pferd unter Kontrolle gebracht.
Der Mensch, der Jäger, der Fleischesser, das Biest. Ist es nicht verlockender den wilden Stier gezähnt zu haben als das sanfte Lamm?
Paschel: Das haben Sie schön gesagt. Wenn ich sehe, wie ängstlich das Flucht- und Beutetier Pferd ist, erinnert es mich an meine Kaninchen, die ich als Kind hatte. Mein kräftiger Friesenmix hat übrigens Angst vor Schafen.
Die Angst des Pferdes wird oft als Ungehorsam verstanden und führt zu disziplinarischen Maßnahmen, die das Pferd überhaupt nicht verstehen kann, sondern es führt eher zu einem Vertrauensverlust des Pferdes zu dem strafenden Reiter, wie ich es selbst vor 15 Jahren noch praktiziert habe und heute im Fernsehen bei Grand Prix Turnieren und im Alltag nicht selten mit ansehen muss.
Als Jahrzehnte lang im Kampfsport aktiv, stimme ich zu, dass die angebliche Harmonie zwischen Reiter und Pferd oft ein typischer Kampf ist, bei dem meistens der Reiter Sieger bleibt, weil er die besseren Waffen hat, wie Gebiss, Kandare, Sporen und Gerte und, und, und. – wie Sie gerne sagen.
Den Spruch “ Entscheidend ist die weiche Hand des Reiters ohne oder mit Gebiss“ höre ich oft, aber er geht am Problem vorbei, denn er verharmlost das Grundproblem, nämlich dass das Gebiss ein Fremdkörper im hochsensiblen Maul des Pferdes ist, auch mit weicher Hand.
Wilhelm: Welche Art von Kampfsport ist es denn bei Ihnen? Da haben wir außer den Pferden noch mehr gemeinsam, bei mir ist es Taekwondo.
Paschel: Meine Spezialität ist Sportfechten, aber als Fachleiter Kampfsport an der Uni hatte ich viele andere Kampfsportler in meinem Unterricht, auch zwei Deutsche Meister (Zwilligsbrüder) im Taekwondo, die der Meinung waren, dass die Fechter sehr schnelle Beinbewegungen haben. Wir haben bei den verschiedenen Zweikampfsportarten versucht, Gemeinsamkeiten zu finden und Aspekte, die übertragbar sind.
Wilhelm: Das finde ich sehr interessant. Haben Sie mehr praktische Beispiele dazu parat?
Paschel: Ja gern ein persönliches, beim Fechten hat mich mein Taichi – Lehrer Rolf Weber weitergebracht. Tai Chi stammt vom Kampf eines Kranich’s gegen eine Schlange ab, die der erste Taichi – Meister beobachtete. Das Prinzip der Schlange – der gegnerischen Kraft nachzugeben und sie umzulenken, nicht mit Kraft dagegen zu arbeiten – hat bewirkt, dass ich meinen Fechtstil nach 20 Jahren sehr spät noch einmal erfolgreich verändert habe. Diesen Unterschied sehe ich in vielen europäischen und asiatischen Kampfesweisen. In meiner reiterlichen Praxis sieht das dann so aus, dass ich mein Pferd Chiko frage, ob er europäisch kämpfen will oder lieber chinesisch zu einer saftigen Wiese reiten will. Die Antwort kennen Sie und im Grunde genommen alle Reiterinnen.
Wilhelm: Ja, ich formuliere den Widerspruch so: Man kann einen Kampf gewinnen, a. Schnell, hart und rücksichtslos oder b. überlegt, klug und weise.
Paschel: Das gefällt mir, bei a. sieht das dann so aus: Das Pferd widersetzt sich dem Reiter und der Reiter bestraft es dafür. Diese Situation eskaliert bis einer von beiden aufgibt, meist das Pferd, manchmal auch der Reiter, wenn er denn am Boden liegt. Wenn man ohne Straf- und Folterinstrumente reitet, ist man automatisch gezwungen, den Dialog mit dem Pferd zu suchen.
Die asiatische Kampfkultur und ihre Philosophie hat mir eigentlich die Augen geöffnet für eine Sichtweise, die auch einen Zweikampf ermöglicht im Miteinander ohne Sieger. Insofern ist dieses Konzept auch übertragbar auf das Reiten.
Wilhelm: Ja , der Einsatz von Waffen und Folterinstrumenten behindert eigentlich jeden Dialog.
In den Wald traut man sich oft gar nicht und erlebt niemals die Freiheit als pure Freude an der Einheit mit dem Pferd.
Paschel: Dieser Satz könnte von Rudolf Binding stammen und wir sollten hier das Gespräch beenden, wenn Sie einverstanden sind, obwohl es jetzt erst richtig spannend wird. Beim Thema „Kämpfen“ können wir im nächsten Interview weiter diskutieren.
Vielen Dank für ihren kämpferischen Einsatz zum Wohl der Pferde.