Trauriger Sonntag – “Sieben Tage Sonntag” begleitet zwei Jugendliche auf dem Weg zu einem grundlosen Mord

Szene

In der Einöde der Plattenbauten gibt es nichts zu entdecken, nichts zu tun. Hier leben Adam (Ludwig Trepte) und Tommek (Martin Kiefer) vor sich hin. Einmal schließen sie eine Wette ab: Dass sie jemanden umbringen könnten, einfach so. Es ist ein Sonntag, einer der sich so oder ähnlich tatsächlich ereignete. Für die Hauptfiguren spielt der Wochentag keine Rolle. “Sieben Tage Sonntag” ist für sie immerzu. Die Schule haben beide Jungen nach der achten Klasse abgebrochen. Wie fast alle Menschen in dem verwahrlosten Viertel. Bonjour, Tristesse. Freundschaft scheint es nicht zu geben in der trostlosen Wohnsiedlung, in der die Handlung spielt. Aufrichtiges Interesse an den Gefühlen des anderen fühlt keiner der Jungen. In dem Kameraden sehen sie lediglich einen Begleiter, der ihnen hilft, die Langeweile zu bekämpfen. Zu zweit lässt sich ihre Einsamkeit leichter ertragen. Jegliche Anteilnahme ist erstorben in den Charakteren, konnte womöglich nie wachsen. Die Gleichgültigkeit der Menschen gegeneinander ist allgegenwärtig. Ihre angestaute Aggression sucht sich in sinnloser Gewalt ihr Ventil. Besonders Tommek weiß kaum, wohin mit seiner Wut. Nach Ursachen für seine Ausraster sucht er förmlich, findet er keine, schikaniert er etwa rein zum Spaß den kleinen Bruder seiner Bekannten Sarah (Jil Funke). Hinter dem ruhigen Nachbarsmädchen ist Tommek her. Liebe fühlt er keine. Ist Sarah nicht anwesend, macht er sich an ein anderes beliebiges Mädchen heran. Instinktiv fühlt sie, dass Tommek in ihr nur austauschbares Objekt zur eigenen Befriedigung sieht. So leer und routiniert ist, was er als Komplimente und Zärtlichkeiten gegenüber dem Mädchen ansieht, dass sie es als Beleidigung auffassen muss. Zu dem ruhigeren Adam fühlt sich das stille Mädchen hingezogen. Sein wahres Gesicht enthüllt sich ihr erst nachts auf dem Polizeirevier. Blutverschmiert steht er auf der anderen Seite einer Glasscheibe. Wie ein Gespenst blickt sie ihn an. Stolz ruft er ihr zu, er allein habe den Mord begangen. Ihr Entsetzen realisiert er nicht einmal.

Mit dokumentarischer Präzision zeigt das Debütdrama den Abgrund hinter dem Alltäglichen. Erwachsene erlebt man kaum in der Plattenbauwüste. Die wenigen, welche man trifft, sind selbst ausgelaugt oder werden von den Jugendlichen überfallen und beraubt. Kreativität, Struktur, Sensibilität – all dies ist abwesend in der Welt der Protagonisten. Einzig die Figur der Sarah lässt einen vagen Hoffnungsschimmer auf ein anderes Leben aufglimmen. Sie kümmert sich noch gelegentlich um ihren kleinen Bruder, möchte einen Arbeit beginnen. Ihr Interesse stößt auf Unverständnis. Warum sich die Mühe machen, jeden Tag früh aufzustehen, wenn man sich doch treiben lassen kann? Über ihr Dahingleiten haben Adam und Tommek jedoch längst die Kontrolle verloren. Ohne sich dessen bewusst zu sein, sind sie zu Getriebenen geworden, verzweifelt auf der Suche nach irgendeiner Sensation, einem Ereignis. Doch den ersehnten Kick können weder billiger Alkohol noch Klebstoffschnüffeln bieten. “Hier ist nichts los.“ und “Wo ist was los?“, hört man von den Jugendlichen immer wieder. Vor der Unerfülltheit ihrer Existenz haben sie jedoch bereits resigniert. Die Wut tragen schon die Jüngsten im Bauch. Sarahs jüngerer Bruder tritt verärgert eine Mülltonne um, nachdem Tommek ihn gequält hat. Einmal wird auch er einer von den Großen sein, dann wird er es mit den Kleinen genauso machen.

Die erschütternde Tat ereignete sich 1996. Trotz ihrer Minderjährigkeit wurden die Täter aufgrund besonderer Grausamkeit nach dem Erwachsenenstrafrecht verurteilt. Regisseur und Autor Niels Laupert führte für “Sieben Tage Sonntag” persönlich Interviews mit den Verurteilten. Auf ihnen basiert das in nur sechzehn Tagen gedrehte Drama. Ein ebenso beängstigender wie interessanter Film, der sich einer tatsächlichen Begebenheit annimmt, ohne ins Reißerische abzudriften. Einzig die in ihrem Ästhetizismus zwiespältige Schluss-Szene fügt sich nicht in die kalte Sachlichkeit. Das zuvor Gesehene hinterlässt dennoch seine Spuren in Gedächtnis des Zuschauers. Es stimmt nachdenklich und betrübt, lässt einen irgendwie ratlos zurück. Ähnlich ratlos, wie das reale Verbrechen . Kein Ausweg aus der psychischen Abgestumpftheit eröffnet sich, nur Pete Dohertys träge gesungenes “Fuck forever” klingt noch nach. Trauriger Sonntag.

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Deutscher Titel/Originaltitel: Sieben Tage Sonntag

Genre: Drama

Land/Jahr: Deutschland 2007

Kinostart: 5. März 2009

Regie und Drehbuch: Niels Laupert

Darsteller: Ludwig Trepte, Martin Kiefer, Jil Funke, Karin Baal

Verleih: timebandits films GmbH/barnsteiner-film

Laufzeit: 80 Minuten

FSK: Ab 16

Internet: www.siebentagesonntag.de

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