Berlin, Deutschland (Weltexpress). Irgendwie muss es doch gehen, die globale Macht zu halten, auch wenn man eingestehen muss, dass das militärisch gerade nicht klappt. Der Bericht der US-Kommission zur nationalen Verteidigungsstrategie gibt sich jedenfalls viel Mühe mit Vorschlägen. Nur nützen sie nichts.
Im Grunde ist der Bericht der Kongresskommission zur nationalen Verteidigungsstrategie ein Dokument des Scheiterns. Wenn man die Zustandsbeschreibung und die Maßnahmen liest, wird klar, dass man daraus eigentlich die Konsequenz ziehen müsste, das mit der Aufrechterhaltung des US-Imperiums einfach zu lassen. Nur der tiefe Glaube an die „Unverzichtbarkeit“ der USA dürfte die Autoren von genau dieser Schlussfolgerung abgehalten haben.
Abgesehen von einigen kurzen Passagen, in denen die bekannte Propaganda über das „Scheitern“ der russischen Armee im Frühjahr 2022 wiederholt wird, sowie die übliche Geschichte, nach der die Einnahme von Kiew geplant gewesen sei, und der Behauptung hoher russischer Verluste ist das Papier nämlich von reichlich bitterem Realismus geprägt. Ein kleiner Satz könnte, stünde er allein, sogar Hoffnung auf eine Einsicht machen: „Militärische Stärke sollte nicht das Werkzeug einer ersten Antwort sein, wenn ein Problem auch mit Diplomatie und anderen Mitteln nationaler Macht angegangen werden kann.“
Aber so ist das nicht wirklich gemeint; stattdessen wird versucht, eine Lösung einer im Grunde aussichtslosen Lage zu finden.
„Kriegsspiele ohne Geheimhaltung legen nahe, dass die Vereinigten Staaten in einem Konflikt mit China ihre Munitionsbestände weitgehend in nicht mehr als drei bis vier Wochen erschöpfen würden, wobei es bei einigen Arten der Munition (z. B. Anti-Schiffs-Raketen) nur einige Tage dauern würde. Sobald sie verbraucht sind, würde der Ersatz für diese Bestände Jahre beanspruchen.“
Das klingt wirklich wie eine Ermutigung, mit Taiwan weiter zu provozieren, oder? Übrigens, die Waffen, die dorthin verkauft wurden, als Teil der stetigen Provokationen in Richtung Peking, sollen nach diesem Bericht auch ein paar Jahre länger brauchen, bis sie geliefert werden können. Da hilft es gar nichts, dass so getan wird, als sei Taiwan kein Teil Chinas. Aber bezogen auf China steht da etwas noch viel Schlimmeres: „Wenn diese Entwicklung weitergeht, wird die Volksbefreiungsarmee ein gleichwertiger, wenn nicht gar überlegener, militärischer Konkurrent der Vereinigten Staaten auf allen Gebieten sein, eine Lage, der sich die Vereinigten Staaten zuletzt am Höhepunkt des Kalten Krieges gegenübersahen.“
Dann gibt es noch eine bittere Erkenntnis, auch wenn sie nicht ausführlicher dargestellt wird: „Eine der größten Veränderungen in der Bedrohung der Vereinigten Staaten ist die Gefahr von Angriffen gegen die USA selbst.“ Ja, die goldenen Zeiten, in denen man sich auf die relative Insellage verlassen konnte, sind vorüber. Nur redet man nicht gerne darüber.
Allerdings sind die inneren Probleme noch weit schwerwiegender als das Scheitern der Versuche, Bündnisse zwischen den möglichen Gegnern (im Kern den ökonomischen Konkurrenten, zumindest jenen, die man nicht an der Leine halten kann wie Deutschland) zu verhindern. Man müsse damit rechnen, es mit allen auf einmal zu tun zu bekommen, Russland, China, Nordkorea und Iran, wenn man seine Nase zu tief in einen der Konflikte steckt, die man überall angefacht hat. Das ist definitiv zu viel. Der Bericht vergleicht die Anforderungen, die ein Erhalt der Vormacht stellen könnte, mit dem Zweiten Weltkrieg.
Und konstatiert gleichzeitig, dass die Voraussetzungen, die damals vorhanden waren, es heute nicht mehr sind. Dass beispielsweise der Rückstau selbst bei Reparaturen der Kriegsschiffe enorm ist und Abgänge nicht mehr ersetzt werden können, ganz zu schweigen von der Vergrößerung der Flotte, die die Berichterstatter gerne sähen, weil China jetzt schon mehr Schiffe hat als die USA. Hier lautet der Vorschlag, künftig zumindest einen Teil der Schiffe in anderen Ländern bauen zu lassen; immerhin. Auf der Liste der größten Schiffsbaunationen liegt Südkorea mit einer gewichteten Bruttoraumzahl (CGT) von 17,7 Millionen gleich hinter China mit 20,3 Millionen. Aber schon die Nummer drei, Japan, baut nur noch 3,7 Millionen CGT, die Nummer vier, die Philippinen, 0,47 CGT. Und von da an geht es über Vietnam mit 0,39 CGT, Russland mit 0,77 CGT, die Türkei mit 0,22 CGT, Deutschland mit 0,117 CGT, die Niederlande mit 0,116 CGT immer weiter abwärts. Die USA hatten 2023 übrigens Schiffsbauaufträge im Umfang von 0,05 Millionen CGT.
Genau das ist ein Beispiel für die Aussage, man könne eben nicht mehr wie im Zweiten Weltkrieg zivile Produktion auf militärische umstellen, weil die zivile schlicht nicht mehr vorhanden ist. Soll also nun Südkorea Kriegsschiffe für die USA bauen? Hätten die Südkoreaner wirklich Interesse daran, wenn das gleich von mehreren Nachbarn als Provokation gewertet werden könnte?
Wenn man die Aussagen des Berichts über das Verhältnis zwischen Rüstungsindustrie und dem US-Verteidigungsministerium liest, kommt es einem fast so vor, als drücke sich darin ein gewisser Ekel aus. „Byzantinische Praktiken“ nennt man jedenfalls nichts, von dem man viel hält. Es wird alles bestätigt, was man in den wenigen einigermaßen ehrlichen Analysen (wie von der britischen Denkfabrik RUSI vor bereits zwei Jahren in „The return of industrial warfare“) lesen konnte – das Zeug, das da produziert wird, ist extrem überteuert und nicht wirklich gut. Stattdessen sorgten die großen Rüstungsunternehmen aber erfolgreich dafür, kleinere Konkurrenz vom Markt zu verdrängen und sich jeweils das Monopol für bestimmte Erzeugnisse zu sichern. Wenn Lockheed keine Patriot-Raketen bauen kann, dann gibt es eben keine.
Ein weiterer Punkt, bei dem der Bericht vorsichtig um die wirkliche Lage herumlaviert, ist die Frage des Personals. Auch das wurde bereits vielfach berichtet, dass das US-Militär Probleme hat, seine Rekrutierungsziele zu erreichen. Allerdings, auch wenn alle möglichen kleinen Tricks aufgezählt werden, wie man das Angebot verbessern könnte (so etwas wie eine Jobgarantie nach Vertragsende beispielsweise, oder Arbeitsplätze für die Ehefrauen der Soldaten), angesichts der Vorstellung, man müsse mit einem Krieg im Format des Zweiten Weltkriegs klarkommen, taucht dann doch das eine giftige Wort auf, wenn auch geradezu geflüstert: Einberufung. Das US-Militär müsse Pläne für eine mögliche Einberufung machen.
Ein Punkt, der in der US-Gesellschaft ausgesprochen heikel ist. Die letzten größeren Verluste erlitten die USA im Vietnamkrieg, mit 58.220 Soldaten; die Berechnungen für einen Konflikt mit einem gleich starken Gegner liegen aber eher bei 30.000 Mann im Monat. Weshalb betont wird, man müsse die Gesellschaft auf einen derartigen Konflikt vorbereiten. Betonen, welche Folgen es für die Bevölkerung hätte, wenn die Machtstellung der USA verloren ginge. Inzwischen sorgt sich sogar jeder dritte US-Amerikaner mit einem Jahreseinkommen von mehr als 150.000 US-Dollar darum, ob er noch seine Rechnungen bezahlen kann … ob es unter diesen Voraussetzungen gelingt, die Bevölkerung tatsächlich von einer direkten US-Beteiligung an einem verlustreichen, großen Krieg zu überzeugen?
Die europäischen Verbündeten, die mit ihrer Industrie das Rüstungsproblem lösen helfen sollen, sollen mit dauerhaften Stationierungen von US-Truppen bei der Stange gehalten werden. Die Regierung Biden wird in diesem Bericht sogar ausdrücklich dafür gelobt, was sie für ein engeres Bündnis getan hat. Steht das Sprengen von Pipelines auch auf der Liste? Welche möglicherweise unerwarteten Effekte da noch eintreten könnten, wird jedenfalls in dem Bericht nicht wahrgenommen.
Die technisch und personell heruntergekommenen Streitkräfte benötigen jedenfalls massive Unterstützung, sollen sie die ihnen zugeschriebene Aufgabe wahrnehmen können – bis hin zu Bildungsprogrammen. Schließlich sind, auch das wird erwähnt, immer weniger junge Leute tauglich, entweder, weil die Bildung zu schlecht ist, oder weil sie nicht fit genug sind.
Das erinnert ein klein wenig an den Grund, warum im England des 19. Jahrhunderts einmal die Kinderarbeit verboten wurde. Nicht aus irgendwelchen sozialen Gründen, sondern weil die Rekruten immer kleiner wurden. Es ist also eigentlich eine altbekannte Weisheit, dass ein Imperium für die Teile der Bevölkerung, aus der es seine Armee rekrutieren will, gewisse soziale Mindeststandards einhalten muss.
Eine Umgestaltung der Rüstungsindustrie mit einer Produktionsausweitung, die mit Russland oder gar dem Industriegiganten China mithalten kann, das geht ins Geld. Am liebsten sähen die Berichterstatter den Militärhaushalt der USA auf den Höhen des Koreakrieges, bei mehr als 16 Prozent des GDP. Aber sie gehen auch gleich in die Falle ihrer eigenen Ideologie: „Höhere Sicherheitsausgaben sollten von zusätzlichen Steuern und Reformen bei den Sozialausgaben begleitet werden.“ Reform, das wissen längst auch die Deutschen, übersetzt sich mit Kürzung. Da wird aber kein Schuh draus, wenn man gleichzeitig die Bildung verbessern muss, damit man auch die Facharbeiter für die Rüstungsbetriebe ausbilden kann, und ansonsten ein Land liefert, das dem gemeinen Volk genug Zukunft bietet, dass es sich in den Krieg schicken ließe, also mehr als Zeltstädte, McJobs und Trailerparks.
Es ist sicher witzig, sich vorzustellen, wie im Interesse der Erhaltung des Imperiums der Kampf mit dem militärisch-industriellen Komplex aufgenommen werden soll, der den Kongress mindestens ebenso gut in der Tasche hat wie die proisraelische Lobbyorganisation AIPAC. Und wenn es um die Finanzierung des gigantischen Militärapparats geht, der den Autoren vorschwebt, gibt es noch das besondere Zuckerl, dass explizit auf die über 70 Prozent Spitzensteuersatz und die durchschnittlich 50 Prozent Unternehmenssteuern verwiesen wird. Das ist historisch richtig; genaugenommen lag der Spitzensteuersatz bis Nixon sogar bei 95 Prozent. Aber wer soll das derzeit in den Vereinigten Staaten durchsetzen, bei einer Politikerkaste, die es gewohnt ist, vor Oligarchen und der Wall Street zu liebedienern?
Das ist der Aspekt, der diesem Bericht eine ungeheure Komik verleiht: Denn letzten Endes bedeutet das, was sie für erforderlich halten, die ganze neoliberale Politik rückabzuwickeln. Was gleichzeitig heißen würde, dass der künstlich aufgeblasene Finanzmarkt auf Entzug gesetzt wird. Dazu kommt noch, dass die gigantischen Staatsschulden es ausgesprochen schwer machen, so enorme Ausgaben im Haushalt unterzubringen, selbst mit Steuern auf der Höhe von Roosevelts New Deal, ganz zu schweigen davon, dass ein Verlust der dominanten Position des US-Dollars weitere Verschuldung ausgesprochen schwierig macht.
Zu Zeiten von Roosevelt gab es ausgesprochen starke Gewerkschaften in den damals vorhandenen großen Fabriken, die bei der Durchsetzung der Besteuerung, direkt oder indirekt, eine große Hilfe waren. Ohne die Schritte des New Deal wäre die Finanzierung der US-Armee im Zweiten Weltkrieg ausgesprochen schwierig geworden; die hohe Besteuerung musste nicht gleichzeitig mit der politischen Entscheidung zum Kriegseintritt durchgesetzt werden, die war schon gesetzt. Aber heute? Sicher, die Oligarchen haben ein großes Interesse daran, die US-Dominanz zu halten, doch ihr Interesse, dafür zu zahlen, hält sich in sehr engen Grenzen.
Letzten Endes verkauft der Bericht nur eine Utopie. Wenn man an diese „Unverzichtbarkeit“ glaubt, sind die vorgeschlagenen Schritte durchaus logisch. Aber wie das Problem mit der Rüstungsproduktion im Kleinen zeigt, so ist es auch bei all den Punkten, die die gesamte Gesellschaft betreffen – die gleichen Gründe, die den ökonomischen Drang zum Krieg erzeugen, sorgen auch dafür, dass die nötigen Maßnahmen unmöglich geworden sind. Und der Glaube an die „Unverzichtbarkeit“, gleich, ob im Kongress in Washington oder bei den europäischen Vasallen, ändert rein gar nichts an diesen Gegebenheiten.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Träumerei in olivgrün – Ein Kongressbericht und die Wirklichkeit“ am 3.8.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
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im WELTEXPRESS.
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