Berlin, Deutschland (Weltexpress). An diesem Wochenende tritt mit Timo Boll im Berlin-Hohenschönhausen ein Sportler in Aktion, den man zu den herausragenden Persönlichkeiten des deutschen Sports der vergangenen 15 Jahre rechnen muss. Boll ist zudem eine echte Tischtennis-Legende.
Wegen seiner reichhaltigen Erfolgspalette und dafür, dass er „längst den Status einer Legende erreicht hat und in 20 Jahren ob bei Siegen oder Niederlagen nie seine Mitte verloren hat und noch immer zu den Weltbesten zählt“. So lobte ihn Hans Wilhelm Gäb, 81, ehemaliger Tischtennis-Nationalspieler, Automanager und heutiger Ehrenpräsident des Deutschen Tischtennis-Bundes.
Boll wird am 8. März 37 und möchte in Hohenschönhausen zum zwölften Male Deutscher Meister werden. Daran zweifelt niemand, zumal sein acht Jahre jüngerer Rivale und designierter Nachfolger, Dmitrij Ovtscharov, wegen Hüftbeschwerden auf den Start verzichtet.
Boll ist national Rekord-Titelträger, mit sechs Einzel- und insgesamt 17 Erfolgen auch Rekord-Europameister. Er hat maßgeblichen Anteil, dass die Deutschen mit der Mannschaft bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften zum hartnäckigsten Herausforderer der übermächtigen Chinesen wurden. Gewann mit Borussia Düsseldorf die Champions League, viele Male national Meisterschaften und Pokale. 2011 wurde er WM-Dritter im Einzel.
Und er markierte 2003 einen Meilenstein, als er als erster Deutscher zur Nummer 1 der Weltrangliste aufstieg. Das gelang ihm erneut 2011 und jetzt zum dritten Mal! Dabei löste er Ovtscharov ab. Der in Kiew geborene Deutsche war Einzel-Olympiadritter 2012 und konnte im Januar/Februar den ersehnten Karriere-Glanzpunkt Weltranglistenerster verbuchen.
Ende April nächstes Duell mit den Chinesen
Auch weil die Chinesen mit internen Leitungsproblemen und Verletzungen zu tun hatten. Und das deutsche Duo dazu im Gegensatz erfolgreich auftrumpfte und so die entsprechenden Punkte für das Ranking einfuhr. „Vielleicht haben wir uns auch besser auf den neuen Plastik-Spielball eingestellt“, meinte Boll. Er erwartet aber, dass die chinesischen Asse ihre Vorbereitungen auf die Mannschafts-WM Ende April in Halmstad intensivieren werden. Das deutete sich jüngst beim Team-Weltcup in London an, wo die Japaner im Finale klar besiegt wurden. Die Deutschen, ohne Boll/Ovtscharov, waren China zuvor 0:3 unterlegen.
Auf die Nachricht, dass er den jüngeren Mannschaftskollegen als weltweite Nr. 1 abgelöst habe, reagierte Boll mit der ihm eigenen Gelassenheit: „Die älteste und langsamste Nummer eins – genieße es aber doch irgendwie.“ Und realistisch gesehen, sind die beiden Chinesen, Weltmeister und Olympiasieger Ma Long und Fan Zhendong sowie Ovtscharov stärker einzuschätzen…Der von ihm kritisierte Modus der Weltrangliste bevorzuge die Vielspieler, weil die so mehr Optionen für Streichresultate hätten.
Boll, der schon öfter wegen gesundheitlicher Beschwerden – Rücken, Knie, Schulter – kürzer treten musste, hat offensichtlich nun das richtige Maß von Belastung und Erholung gefunden. Und die letzten Monate auf hohem Niveau regelmäßig gepunktet.
Den Superlativ der ältesten Nr. 1 hat er dem Schweden Jan-Ove Waldner abgeknöpft, dem dies zuvor mit 31 Jahren gelungen war.
Sehschärfe und Antizipation von herausragender Qualität
Sein ironischer Hinweis auf die „langsamste Nr. 1“ kennzeichnet treffend die Tatsache, dass in punkto Athletik und Dynamik mit den jüngeren Chinesen und auch Ovtscharov nicht mithalten kann. Dies vermag er meist durch fast schon geniale Qualität der Antizipation, also des Vorhersehens der gegnerischen Aktionen, seiner überragenden Fertigkeit im Bereich Aufschlag/Rückschlag sowie in der taktischen Flexiblität und Nervenstärke zu kompensieren. Seine Sehschärfe beträgt gegenüber Normalbürgern 280 Prozent, was ihm im Hochgeschwindigkeitsspiel der Weltelite zu Gute kommt.
Im Bemühen, das eigene Spiel zu verbessern, hat er zielgerichtet den Kontakt zu China gesucht. Hat mehr als 40mal chinesischen Boden betreten und dort mit den Besten trainiert, Turniere bestritten. Gehörte 2014 zum Team des chinesischen Meisters.
Boll ist bekannt und populär im Reich der Mitte wie kaum ein anderer Sportler aus Europa. Als 22-Jähriger hat er seine von den Philippinen stammende Freundin Rodelia Jacobi geheiratet. Beide haben eine Tochter.
Jahreseinkommen bei knapp einer Million Euro Preisgelder, Sponsoren –und Werbeeinnahmen haben ihm den sorgenfreien Status eines gutdotierten Profis ermöglicht. Das Handelsblatt schätzt seine Jahreseinkünfte auf 800 000 Euro. Die Verwaltung des Geschäfts überlässt Boll seinem Vater. Zusammen mit Partner betreibt er eine Internet-Coaching-Agentur. Dort können Interessierte sogar Videoaufnahmen zur Begutachtung und Analyse ihres Tischtenniskönnens einsenden und Tipps erhalten.
Boll ist gefragter Partner bei Charity- und Benfiz-Aktionen, unterstützt vor allem Kampagnen für Organspenden. Mehrfach ist der Einsatz des Linkshänders für Fair play im Sport gewürdigt worden. 2017 ehrte ihn der Tischtennis-Weltverband als Spieler des Jahres.
In der deutschen Sportöffentlichkeit hat es der Ausnahmekönner ohne Olympiasieg oder Weltmeistertitel in der globalen Millionensportart Tischtennis schwer, in der von Sportjournalisten betriebenen Wahl der Sportler des Jahres ganz vorn zu landen. Immerhin kam er dabei drei Mal – 2007, 2008, 2011 – auf den zweiten Ehrenrang. Und bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro durfte er die deutsche Mannschaft als Fahnenträger bei der Eröffnung anführen.
Als er 2014 im Endspiel um die Deutsche Meisterschaft dem Power-Spiel des jüngeren Ovtscharov unterlag, schien vieles für eine Wachablösung hinzudeuten. Doch Boll bekam dank ärztlicher Hilfe seine gesundheitlichen Handicaps in den Griff und steuerte „vorerst Olympia 2016“ in der Karriereplanung an. Nun haben wir 2018 und einen nach wie vor ambitionierte n Timo Boll, der so lange weitermachen will, „wie es der Körper zulässt“.