Die 14-jährige Myrto läuft durch das von Unruhen und Krisen aufgewühlte Athen. Sie ist auf der Suche nach ihrem Vater, der plötzlich verschwunden ist. In seiner Wohnung findet sie ihn nicht. Es liegen nur die ungeöffneten Briefe im Postfach, unbezahlten Rechnungen und Mahnungen. Ihrer Mutter ist er egal. Sie leben getrennt und haben nichts mehr miteinander zu tun. Auch sein Geschäftspartner will nichts von ihm wissen. Wenig später erfährt sie dass der väterliche Holzhandel bankrott ist. Weil sie glaubt, das für die Pleite der Firma der Geschäftspartner ihres Vaters verantwortlich ist, entführt sie seinen Sohn, den 8 jährigen Aggelos. Sie versteckt ihn in der Schreinerei. Während Myrto auf eine Nachricht von ihrem Vater wartet, beginnt sich zwischen Aggelos und ihr, eine Beziehung mit Wiedersprüchen aufzubauen. Zum einen kümmert sie sich rührend um die ihn, andererseits erkennt sie, dass ihre Geiselnahme keine Auswirkung auf das Verschwinden ihres Vaters hat. So entwickelt sie gegen ihren jungen Gefangenen, zunehmend, einen perfiden Sadismus. Der sich in vielschichtigen Suspense*-Momenten andeutet und zu einer unterschwellige Bedrohung wird, die bis zum Ende des Films nicht abreißt.
Thanos Anastopoulos nimmt sich beim inszenieren sehr viel Zeit. Die zurückhaltende Kameraführung versetzt den Kinobesucher in die Lage eines stillen Beobachters. Dadurch lässt er den Zuschauern mehr Raum für eigene Gedanken. So erzählen die jugendlichen Schauspieler weniger durch Worte als vielmehr durch ihre Gestik, Mimik und ihre Körpersprache. Hierbei entsteht aber auch eine Ruhe, die keine ist. Man fühlt dass etwas nicht stimmt, doch man kann es nicht benennen. Denn hinter dieser Lakonie liegt eine Schwere, die das Unverständnis, die Verzweiflung und die sprachlose Wut von Myrto widerspiegelt.
Der Film ist sehr kontrastreich. Zum einen ist da die Außenwelt. Ein Athen, das von Krisen und Demonstrationen aufgewühlt ist, mit verstopften Straßen und Baustellenlärm. Im Gegensatz dazu ist der Holzplatz wie ein Labyrinth, der seine beiden Bewohner von der Außenwelt abschirmt. Die beobachtende Kamera, die, wie mit den Augen eines Schreiners das Holz und das Werkzeug begutachtet, verdichtet dieses Gefühl umso mehr. So das man meint unter dem warmen Licht, das durch die Bretterstapel hereinfällt, den Geruch von Fichten-, Eichen- und Ebenholz einzuatmen.
Vor dem Hintergrund von Demonstrationen, Ausschreitungen und dem zunehmenden Mangel moralischer Integrität schildert I Kóri die Auswirkungen einer Katastrophe auf einen Teenager, der verwirrt und wütend reagiert. Ein Film über das Erwachsen werden, in einer Welt die die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen verloren hat.
Land: Griechenland, Italien 2012
Produktion: Fantasia Ltd., Athen; Mansarda Production, Triest
Regie: Thanos Anastopoulos
Drehbuch: Thanos Anastopoulos,Vasilis Giatsis
Kamera: Elias Adamis
Kostüme: Mayou Trikerioti, Danae Elefsinioti
Ton: Philipos Bouraimis
Sounddesign: Aris Louziotis,Alexandros Sidiropoulos
Schnitt: Napoleon Stratogiannakis
Produzenten: Thanos Anastopoulos, Nicoletta Romeo, Stella Theodorakis
Darsteller: Savina Alimani (Myrto), Aggelos Papadimas (Aggelos), Yorgos
Symeonidis (Vater), Ieronymos Kaletsanos (Geschäftspartner), Ornela Kapetani
(Mutter), Theodora Tzimou (Frau des Geschäftspartners)
Länge: 87 Minuten
Sprache: Griechisch, mit engl. Untertitel
*Suspense: ist ein Begriff aus der Filmwissenschaft und bezeichnet eine gesteigerte Erwartungshaltung des Zuschauers. Ausgangspunkt ist, dass das Publikum mehr über die Einzelheiten einer Szene weiß als die Figuren die im Film mitspielen. Dadurch wird die Situation interessant, weil der Zuschauer Emotionen für die Figuren entwickelt und an der Szene teil nimmt. Suspense bedeutet so viel wie „in Unsicherheit schweben“ hinsichtlich eines befürchteten oder erhofften Ereignisses.