Sündenbock China – Politische Attacken gegen Präsident Hu Jintao während seines USA-Besuchs sollen vom hausgemachten Handelsbilanzdefizit und seinen Folgen ablenken

Während die USA weiter unter den Folgen der selbstverschuldeten Finanzkrise leiden – gigantische Haushaltsdefizite, Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung der Mittelklasse und wachsende soziale Spannungen prägen die Stimmung im Land –, ist Chinas Wirtschaft auch im Jahr 2010 wieder um 10,3 Prozent gewachsen. Zugleich sind chinesische Banken mit dem Kauf von US-Schatzbriefen über 900 Milliarden Dollar zum mit Abstand größten Kreditgeber des einst mächtigsten Landes geworden.

Wadenbeißer

Obwohl China mehr politisches und ökonomisches Gewicht als je zuvor hat, wurde Hu während seines mehrtägigen Aufenthalts diese Woche in Washington von den bigotten und selbstgerechten Vertretern der US-Administration geschulmeistert, was das Zeug hielt. Präsident Barack Obama war bemüht, dies auszugleichen: Er schmeichelte ihm und lud zum privaten Dinner im Weißen Haus, eine Ehre, die nur selten ausländischen Staatsoberhäuptern zuteil wird. Dagegen bezeichnete Obamas Parteifreund Harry Reid, Sprecher der demokratischen Mehrheit im US-Senat, Hu am gleichen Tag in einem Radiointerview als »Diktator«. Zugleich lehnten Senator Reid und sein Kollege John Boehner, Sprecher der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, Obamas Einladung zum Dinner mit dem Gast ab, den Boehner statt dessen in den Medien wegen angeblicher Christenverfolgung und der Abtreibungspolitik heftig attackierte. Zweifellos eine ungewöhnlich Art, einen Gast zu behandeln, von sich Reid wie auch Boehner einen Tag später bei einem gemeinsamen Gespräch ein Entgegenkommen in politischen und wirtschaftlichen Fragen erhofften.

Sowohl von Obama also auch von Vertretern des US-Kongresses wurde Hu in einer nicht enden wollenden Tirade direkt und über die Medien wegen »Chinas Mißachtung der Menschenrechte« angegriffen. Der chinesische Präsident reagierte eher defensiv. Statt seine scheinheiligen Angreifer z.B. an die von der US-Regierung legitimierte Folter in Guantánamo und in CIA-Geheimgefängnissen zu erinnern, forderte er lediglich »gegenseitigen Respekt« und räumte sogar ein, in Sachen Menschenrechte müsse in China noch viel getan werden. Aber weder dieses Zugeständnis noch die Aufträge für die US-Wirtschaft in Höhe von 45 Milliarden Dollar, die Hu im Gepäck hatte – davon allein fast 20 Milliarden für 200 Boeing-Verkehrsflugzeuge, konnten die US-Politiker besänftigen.

Der wahre Grund für die Aufgebrachtheit der Kongreßabgeordneten –der republikanische Abgeordnete Rohrabacher bezeichnete die Regierung in Peking am Mittwoch gar als »Gangsterregime«, das »sein eigenes Volk ermordet und auch so behandelt werden« müßte – ist ökonomischer Natur. Die New York Times schrieb dazu am Donnerstag: »Es ist Chinas Aufstieg als globale Wirtschaftsmacht, die dieses Land zur Zielscheibe der Wut vieler Wähler der Abgeordneten gemacht hat, weil sie das Gefühl haben, daß immer mehr Arbeitsplätze nach Übersee verschwinden«.

Produktionsverlagerung

Tatsächlich hat ein Vierteljahrhundert neoliberale Globalisierung die USA weitgehend deindustrialisiert, denn die US-Großkonzerne verlagerten immer mehr Produktionsstätten in Billiglohnländer – bevorzugt nach China. So ist der Anteil der verarbeitenden Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA auf elf Prozent gefallen. Allein der Handelsriese Wall Mart hat in China 160 Megafabriken, in denen er für die US-Verbraucher billig produzieren läßt. Das Handelsbilanzdefizit der USA mit China entsteht also hauptsächlich aus dem Handel innerhalb der Konzerne – zwischen den Produktionseinheiten der Volksrepublik und dem importierenden Konzernsitz in den USA. Vor dem Hintergrund der noch nicht überstandenen Finanz- und Wirtschaftskrise und der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit im eigenen Land versuchen US-Politiker und -Mainstreammedien, die wachsende Wut vieler Bürger von den Konzernzentralen abzulenken und die chinesische Politik für die Misere verantwortlich zu machen.

Obwohl Peking in der Vergangenheit eine langsame und stetige Aufwertung seiner Währung erlaubt hat, geht es den US-Politikern nicht schnell genug. Damit sollen die in Ostasiens produzierten Waren in den USA teurer gemacht werden – angeblich, um so die in Wirklichkeit längst verschwundene heimische Produktion wieder anzukurbeln. China lehnt eine schnelle und massive Aufwertung seines Yuan jedoch strikt ab, weil dies zig Millionen arbeitslos machen würde. Soziale Unruhen wären die Folge. Dies aber ist Wasser auf die Mühlen der US-Demagogen, die die Bevölkerung vom Versagen des Kapitalismus ablenken wollen.

Anmerkung:

Erstveröffentlicht unter www.jungewelt.de am 21.01.2011 und in junge Welt am 22.01.2010, Seite 9.

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