Damit darf man nach dem neunten Spiel der 52-er Vorrunde konstatieren: Der sechsfache Meister und Titelverteidiger aus der Hauptstadt hat nach einem Holper-Start wieder in die Erfolgsspur gefunden.
Dank seiner vielfach erlebten Qualität, auch in scheinbar aussichtslosen Situationen noch den Weg durchs Nadelör zu finden. Siehe die unvergessliche Aufholjagd im letzten Play-off-Finale gegen Mannheim, als man im letzten Drittel einen Drei-Tore-Rückstand wetttmachte und dann den Titel aus dem Feuer riss. Siehe die jüngste Freitag-Partie bei den starken Nürnbergern, als man auf ähnliche Art aus einem Rückstand noch ein 5:4 herausschoss!
Das Deja vu am Sonntag: 1:0 geführt, dann 1:2, 2:2 und 2:3. Konzentrierter Anfang, schwaches Mitteldrittel und dann ein Sturmlauf – freilich mit Konterchancen für die Hanseaten – im letzten Abschnitt. 5,3 Sekunden vor Abpfiff dennoch 2:3. Aus dem Bully vor dem Hamburger Gehäuse schlenzt Kapitän Andre Rankel ("Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, wusste nur, jetzt musst du irgendwas versuchen") den Puck in Richtung Hamburg-Goalie Kotschnew. Dem wird durch Barry Tallackson die Sicht versperrt. Kapitäns-Assistent und Mit-Nationalspieler Frank Hördler fälscht die Scheibe ab – Tor! 0,1 Sekunden vor Ablauf der 60 Minuten!
Die Fans intonieren "Andre Rankel – du bist der beste Mann". Obwohl später wie im Hockey üblich Hördler als Torschütze annonciert wird.
In der fünfminütigen Verlängerung passiert nichts Zählbares. Im ultimativen Penaltyschießen versenkt erst Florian Busch für die Gastgeber. Und als Zweiter erneut Rankel, womit der Sieg und zwei Punkte für die Tabelle gerettet waren.
In einer rassigen Auseinandersetzung voller Emotionen und Einsatzbereitschaft zweier Teams, die zu den Titelanwärtern gerechnet werden. 14 200 im ausverkauften Rund waren begeistert. Und sicherlich dürfte auch hoher Besuch aus Los Angeles mit solchen Eindrücken die Arena verlassen haben. Milliardär Philipp Anschutz und Frau Nancy hatten es sich nicht nehmen lassen, mal wieder nach dem Rechten zu schauen. Der Eigner der weltweit agierenden Anschutz Entertainmant Group (AEG) ist u.a. der Big Boss der Freezers und der Eisbären.
Seine Los Angeles Kings hatten daheim den Stanley Cup gewonnen, die inoffizielle Klub-Weltmeisterschaft in der Nordamerikanischen NHL.
Der große Silber-Pokal stand am Nachmittag den Fans als Foto-Background zur Verfügung. Dann gab es unmittelbar vor Spielbeginn die Überreichung der Meisterringe aus der Vorsaison, vorgenommen von Nancy Anschutz und Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister. Sowie als Erinnerungsstück für alle Dauerkarteninhaber ein T-Shirt "Kings of the Rings" (10 Euro für Tagesbesucher).
In dieser Atmosphäre der Fest- und Feiertagslaune hätte eine Niederlage wie ein Stimmungskiller gewirkt. Dieses Bewusstsein sowie die Erinnerung an die beiden verlorenen Kraftproben gegen Hamburg in der vorsaisonalen European Trophy dürften die Energiespeicher gewesen sein, aus der die Eisbären ein an sich verlorenes Spiel noch drehen konnten.
Vor dem ersten Bully hatten zwei NHL-Stars per Videobotschaft zusätzlich für Hochstimmung gesorgt: Daniel Briere und Claude Giroux von den Philadelphia Flyers grüßten die Eisbären und dürften schon am Freitag gegen Spitzenreiter Köln im Eisbären-Dress auflaufen. Zweifacher Weltmeister der eine, drittbester NHL-Scorer der 24-jährige Giroux. Zwei Transfers wegen der Spielaussetzung in der NHL, die alle anderen in der DEL an Qualität übertreffen. Und für das Image des deutschen Branchenführers in der weltbesten Liga sprechen.
Dass die Berliner Erwartungen auf Qualitätszuwachs ("Im Spiel, im Training, im Kraftraum – sportlich wie menschlich können vor allem unsere jungen Spieler viel lernen", so Rankel) begründet sind, zeigte in den Hamburger Reihen NHL-Zugang Jamie Benn. Der Stürmer erzielte einen Treffer, erntete einen Scorerpunkt für eine Torvorlage und war auch im Penalty gegen den starken Rob Zepp erfolgreich.
Vor Wochen hatte Andre Rankel auf Fragen nach möglichen NHL-Zuwanderern noch scherzhaft geäußert: "Na ja, ich könnte mir schon vorstellen, an der Seite von Sidney Crosby zu stürmen. Aber das steht nicht in meiner Macht. Das ist Sache unseres Managers Peter John Lee..".
Den Goldjungen, der den entscheidenden Siegtreffer für Kanada im olympischen Finale 2010 in Vancouver gegen die US-Boys markierte und damit zum Superstar aufstieg, hat der Berliner zwar nicht bekommen. Aber dafür zwei mit einem Status, der ähnlich hoch angesiedelt ist.