Pünktlich zum hundertsten Geburtstag erschien bei Nimbus die Lebenserinnerung der legendären Züricher Galeristin Marianne Feilchenfeldt, die 1909 in Berlin geboren wurde. Das Buchcover ziert ein Selbstbildnis aus dem Jahre 1929, als sie noch Marianne Breslauer hieß und in Deutschland eine anerkannte Fotografin war (unsere Abbildung). Das Bild ist angelehnt an das berühmte „Selbstporträt mit Ikarette“ von Germaine Krull aus dem Jahre 1925. Während hier der Fotoapparat die rechte Gesichtshälfte bedeckt, ist dort die linke mit Haaren verhängt, das rechte Auge blickt mysteriös nach unten.
Frau Feilchenfedt hatte Glück gehabt und wusste ihre Chancen und Verbindungen zu nutzen: „Je weiter diese Zeit zurückliegt, desto unwahrscheinlicher scheint es mir, daß wir so gnädig durch all diese Fährnisse geschlüpft sind, zumal wir im Grunde keine Vorstellung davon hatten, in welchen Gefahren wir schwebten. Lebhaft spürten wir allerdings schon damals, daß wir Glück gehabt hatten“. (S. 179)
Ihre Mutter Dorothea Breslauer war Tochter von Julius Lessing, dem ersten Direktor des Berliner Kunstgewerbe-Museums, ihr Vater Alfred Breslauer hatte als Villenarchitekt ein Vermögen verdient. Sie kannte Marlene Dietrich, Klaus und Erika Mann, den Dirigenten Willem Mengelberg, den Philosophen Walter Benjamin, den Sozialdemokraten Walter Menzel, den Dichter und Schriftsteller Ernst Blass, den Philosophen Ernst Bloch, den Fotografen Erwin Blumenfeld, den Kunsthistoriker Hanns Swarzenski, den Galleristen Curt Valentin. Sie tanzte mit Egon Eiermann und mit Oddone Principe Colonna da Gagliano. Sie war befreundet mit den Malern Paul Citroen und Max Beckmann, mit Heinz Beck, dem Direktor des Münchner Zoos Hellabrunn sowie mit der Schriftstellerin und Schauspielerin Rut(h) Landshoff, die sie ohne „h“ schrieb, weil Rut es damals so tat”¦ (S. 58)
Über ihren Mann lernt sie die Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin und Max J. Friedländer, dessen mehrbändiges Standardwerk „Altniederländische Malerei“ im Verlag Paul Cassirer erschien, kennen. Aber auch den Schriftsteller Erich Maria Remarque, den sie als sympathisch und als äußerst großzügig schildert. Mit dem Modeschöpfer Paul Poiret macht sie, als lebenshungriger Twen, eine Kreuzfahrt an der französischen Atlantikküste, bis der Champagner-Vorrat ausgeht. Von allen vier Männern entstehen eindrückliche (fotografische) Porträts, die sowohl im Buch abgedruckt, als auch noch bis zum 06.09.2010 in der Retrospektive in der Berlinischen Galerie im Original zu sehen sind.
„Dieses Dahlem-Grunewald war meine Heimat und ist es merkwürdigerweise noch heute.“ (S. 16)
Bis ins Erwachsenenalter wohnte sie in einer „Villa mit mehr als einem Dutzend Zimmern, darunter einem richtigen Ballsaal mit Fresken“ (S. 19), deren Abriss und Ersetzung durch gesichtslose Bruttogeschossflächen-Architektur 1971 sie als „eine entsetzliche Schande“ empfand (S. 16). Als Kind fuhr sie Prinz Friedrich Carl von Preußen im Cabriolet um den Wannsee (S. 18), als Zehnjährige aß sie „im schlimmen Jahr 1919“ im Berliner Hotel Esplanade ihre ersten Austern, mit Ernst Bloch unterhält sie sich über Karl May. Von klein auf besucht Breslauer Ausstellungen, blättert in Kunstzeitschriften und Kunstbänden und beginnt früh damit, Postkarten zu sammeln. Dabei entwickelt sie das sichere Kompositionsgefühl, das ihr Fotografisches Werk kennzeichnet. Schon als Kleinkind begann ihre lebenslange Kunstleidenschaft. Zunächst nur an den Alten Meistern interessiert, entdeckt sie mit 14 oder 15 Jahren das aktuelle Kunstgeschehen, als ein Partner aus der Tanzstunde ihr Reproduktionen von Kokoschka zeigt, und sie im Kronprinzenpalais Franz Marcs „Turm der blauen Pferde“ sieht: „Noch immer empfinde ich das Bild als das Deutscheste, was die Kunst des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. [”¦] Franz Marc hatte [”¦] etwas von dieser deutschen Reinheit, die mir, wenn ich ehrlich sein soll, ebenso sympathisch wie unerträglich vorkommt.“ (S. 49)
Aufgrund ihrer Abneigung gegen die Schule und der daraus resultierenden schlechten Zensuren verlässt sie als Sechzehnjährige die Schule, wissend dass sie später einmal arbeiten wird: „Was ich werden wollte, wußte ich zwar noch nicht, obwohl für mich auch damals schon außer Frage stand, daß ich einen Beruf erlernen wollte. Nach Krieg und Inflation wurden junge Frauen nicht mehr allein für die Ehe erzogen. Für mich war es vielmehr selbstverständlich, etwas Eigenes leisten zu wollen und berufstätig zu werden; auch die meisten meiner Freundinnen sahen dies so. Die Zeiten, in denen eine Frau nur Gesellschaftsdame oder Hausfrau sein konnte, waren eindeutig vorbei, und meine Mutter, die keine Berufsausbildung hatte, bestärkte mich in meiner Haltung.“ (S. 50)
Nachdem sie 1925 eine Ausstellung mit Werken der Gesellschaftsfotografin Frieda Riess sieht, reift ihr Entschluss, selbst Fotografin zu werden. Ab 1927 bildet sie sich im Berliner Lette-Haus zur Fotografin aus. Als sie 1929 den Gesellbrief erhält, macht sie auch, als eine der ersten Frauen in Deutschland, den Führerschein, wozu sie eine komische Anekdote zu erzählen weiß: „Bei der Prüfung war meine Fahrweise zwar noch etwas unelegant, ich überfuhr jede Menge Bordsteine und sonstige Hindernisse, so daß ich überzeugt war, nicht bestanden zu haben, doch niemand stieß sich daran, und man händigte mir das begehrte Papier ohne weiteres aus.“ (S. 100)
Nach der hindernisreichen Fahrt geht sie nach Paris zu Man Ray, der sie dazu anhält, so lesen wir, ihren eigenen Weg weiterzugehen. Es folgen Veröffentlichungen für verschiedene Zeitschriften und eine Mitarbeit bei Ullstein. Zusammen mit der lesbischen schweizerischen Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach macht sie 1933 eine Reise durch Spanien, von der eine Reihe eindrücklicher Bilder entstehen. Zurück in Deutschland konnte sie diese, weil sie jüdische Vorfahren hatte, nicht mehr publizieren, und das Pseudonym Annelise Brauer anzunehmen, lehnt sie ab. Man merkt ihr den Schock an, den sie empfunden haben muß, als sie nach ihrer Rückkehr aus Spanien auf einmal mit dem Etikett „Nicht-Arierin“ bedacht wurde, „obwohl ich gar keine jüdische Frau bin“. (S. 136) Zusammen mit dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt geht sie 1936 ins Amsterdamer Exil.
Schweizer Jahre
Vielleicht ist es ihrer Bekanntschaft zu ihrem späteren Mann Walter Feilchenfeldt zu verdanken, dass Marianne Breslauer Feilchenfeldt den Holocaust überlebt. Dieser war hellhöriger als sie und verlässt Deutschland nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, die wie jede Diktatoren panische Angst vor der Freiheit, die die Kunst bedeutet, hatten und die Moderne als „entartet“ brandmarkten. 1936 wird sie Feilchenfeldt ehelichen und nach Amsterdam ins Exil begleiten, nicht aber ohne sich – hier schlägt ganz die preußische Erziehung durch –, „wie es sich gehörte, polizeilich abzumelden“. (S. 162)
Den Krieg überlebt das Paar, dem es noch gelingt, die eigenen Eltern zu retten, in der Schweiz. Nach dem Tod ihres Mannes übernahm sie 1953 die Geschäftsführung seiner 1948 in Zürich gegründeten Kunsthandlung, welche die legendäre Berliner Galerie Paul Cassirers weiterführte, der der Moderne in Deutschland zum Durchbruch verhalf. Das Gerücht, sie sei die erste Kunsthändlerin gewesen (gestreut auf S. 215)1, stimmt allerdings nicht: bereits im Ersten Weltkrieg eröffnete die aus einfachsten Verhältnissen stammende Johanna Ey in Düsseldorf ihre Galerie „Junge Kunst – Frau Ey“. Als Marianne Feilchenfeldt 2001 stirbt, verlor die Welt eine große Galeristin und eine spannende Fotografin.
1 „Es wird immer wieder gesagt, ich sei die erste selbständige Kunsthändlerin gewesen. Dies stimmt nur für die ersten Jahre nach Feilchens Tod. Schon 1966 trat mein Sohn Walther in die Firma ein”¦“ (S. 215)
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Buch: Marianne Feilchenfeldt Breslauer: Bilder meines Lebens. Erinnerungen. Nimbus. Kunst und Bücher, Wäldenswil 2009, 224 S., 40 Abb., ISBN 978-3-907142-03-5, 42,00 CHF, 26,00 €
Ausstellung: „Marianne Breslauer. Unbeachtete Momente – Fotografien 1927-1936“ bis zum 6. September 2010 im Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlinische Galerie, Berlin.
Katalog: Marianne Breslauer. Fotografien 1927-1936, hrsg. von Kathrin Beer und Christina Feilchenfeldt, Nimbus. Kunst und Bücher, Wäldenswil 2010, 216 S., 160 Abb. im Duoton, ISBN 978-3-940208-13-2, 38,00 €
Internet: www.berlinischegalerie.de