„Helmut Kohl läuft durch Bonn“ wurde, sehr passend, vom Theater Bonn uraufgeführt. Der Titel des Stücks macht neugierig, und, vielleicht weil sie gerade dabei waren, haben die Autoren eine Unmenge weiterer Titel kreiert, die den größten Teil des Textes ausmachen, fast immer mit einem Oder verbunden sind und aus Abwandlungen von Titeln berühmter Filme oder Werken der Weltliteratur bestehen. Das ist anfangs ganz lustig, auf die Dauer aber doch nicht mehr so unterhaltsam.
Ansonsten gibt es eine frei erfundene Biographie. Danach wurde der spätere Kanzler als Spross eines Adelsgeschlechts geboren, hatte eine strenge Mutti, in der Angela Merkel zu erkennen ist, legte sich den bürgerlichen Namen Helmut Kohl zu und war Linker und Vegetarier, bevor er sich wider Willen zum Konservativen und Fleischesser machen ließ.
Im politischen Teil treten Kohls Widersacher und Weggenossen auf, es gibt Kanzlerduelle und Verschwörungen, und eigentlich ist Kohl König Lear und Hannelore tritt auch als Lady Macbeth auf.
Die Autoren haben in ihr Stück alles hineingepackt, was Erfolg versprechend sein könnte, und offenbar ist ihre Rechnung aufgegangen.
Unter der Regie von Markus Heinzelmann präsentieren die SchauspielerInnen aus Bonn diese Show sehr komödiantisch und mitreißend ohne die offenen Grenzen zum Klamauk zu überschreiten.
Auch der Autor Kevin Rittberger lockt mit einem zugkräftigen Titel, der sich jedoch als Mogelpackung erweist. „Plebs Coriolan“ ist keine Auseinandersetzung mit Shakespeare. Der Bezug zu Shakespeares „Coriolanus“ besteht ausschließlich darin, dass auch bei Rittberger ein Volk vorkommt, das sich jedoch nicht einem Kriegsherrn widersetzt, sondern das Ziel verfolgt, gewaltfrei eine Umverteilung von Eigentum vorzunehmen.
„Ausheger“ nennen sich die jungen Leute, die das in Besitz nehmen wollen, was die Reichen eingehegt haben. So hat sich bei einer Aristokratin eine Aushegerin als Putzfrau eingeschlichen, die das Laptop mit Retina-Display ihrer Dienstherrin entwendet und vorgibt, von einem Einbrecher zusammengeschlagen worden zu sein, der das kostbare Utensil geraubt habe.
Damit die Geschichte glaubwürdig ist, muss die Aushegerin Verletzungen vorweisen können, die sie sich zunächst vergeblich selbst zuzufügen versucht und die ihr dann, schlagkräftig und brutal, von ihrem Mitstreiter beigebracht werden. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit gilt für die AushegerInnen nur den Auszuhegenden gegenüber, während sie selbst gebrochene Nasen und blau geschlagene Augen billigend in Kauf nehmen.
Bei der Aristokratin hätte jedoch gar keine List angewendet werden müssen, denn die ist begeistert von der Idee des Aushegens und bereit, all ihre Besitztümer abzugeben. Sie schließt sich den Aushegern an, erscheint bald darauf mit verpflasterter Nase und teilt mit, sie sei überfallen und ihres Schmucks beraubt worden.
Das geplante gemeinsame Essen mit selbst angebautem Rotkohl in Bio-Erde, die sichtbar auf die Bühne geschüttet wird, findet aber am Ende doch nicht statt. Verhindert wird das vom Notar der Aristokratin, der entschlossen ist, das Vermögen seiner Freundin und Klientin gegen den Zugriff der Ausheger zu verteidigen und dafür sein Leben opfert.
Die vergnügliche Farce über das Scheitern allzu naiv gedachter Utopien war als Gastspiel des Wiener Schauspielhauses in der Box zu erleben in einer Inszenierung des Autors. Besonders beeindruckend waren Thiemo Strutzenberger als äußerst vornehmer und äußerst reaktionärer Notar und Myriam Schröder als wunderschöne, romantisch weltfremde Aristokratin.
Mit der Langen Nacht der Autoren endeten auch in diesem Jahr die Autorentheatertage. Vor totalen Fehlgriffen bei den ausgewählten Stücken hatte Juror Till Briegleb sich geschützt, da er ja nicht neu eingesandte Stücke gesichtet, sondern Nachlese bei den Siegerstücken aus zwanzig Jahren Autorentheatertage gehalten hatte.
Die fünf von Briegleb erneut auserkorenen Werke hätten in diesen einen Abend nicht hineingepasst. So war „Tag der weißen Blume“, wohl auch das beste Stück in dieser Auswahl, schon zur Eröffnung der Autorentheatertage zu sehen gewesen. Die übrigen vier wurden an verschiedenen Spielorten gezeigt. Die ZuschauerInnen wurden, wie schon im letzten Jahr, beim Erwerb ihrer Eintrittskarten in Gruppen unterteilt, die die Stücke in unterschiedlicher Reihenfolge erlebten mit dem Unterschied, dass in diesem Jahr jede Gruppe eines der Stücke nicht zu sehen bekam. Auf diese Weise ist mir „Der Weichselzopf“ von Simon Werle entgangen, während Andere auf „Die Herzschrittmacherin“ verzichten mussten.
Für mich begann Die Lange Nacht der Autoren in der Box mit „the killer in me is the killer in you my love“ von Andri Beyeler. Der Autor hat seinem Stück den Satz vorangestellt: „Erwachsene betrachten die Narben von früher“. Deshalb hat Regisseur Enrico Stolzenburg die Rollen der pubertierenden Jugendlichen mit älteren SchauspielerInnen besetzt und damit einen sehr guten Griff getan.
Barbara Schnitzler als umschwärmte Hanna, Ursula Werner als Lena, die Probleme mit ihrer Figur hat, Jürgen Huth und Michael Gerber als Surbeck und Gerber, Freunde und Rivalen um Hannas Gunst und Matthias Neukirch als Gerbers kleiner Bruder, der Mädchen langweilig findet, bis er sich in Lena verliebt, sie alle gestalteten diese Kinder auf dem Weg zum Erwachsenwerden mit grandioser Überzeugungskraft und werteten das eher belanglose Stückchen deutlich auf.
Es geht um die erste Liebe, die erste Zigarette, um das Imponiergehabe männlicher Jugendlicher, um AußenseiterInnen, aber das Alles wirkt ein bisschen zu klischeehaft. Die Inszenierung fängt jedoch die Atmosphäre in einem Schwimmbad von früher wie auch die Stimmung im Altenheim, in dem die dereinst Jungen sich an damals erinnern, großartig ein.
„Die Herzschrittmacherin“ von Rolf Kemnitzer war ebenfalls hervorragend inszeniert von Jorinde Dröse. Das Stück enthält zwei dankbare Rollen, erzählt wird allerdings nur die doch ziemlich abgedroschene Story von der wehrhaften Oma, die ins Altenheim abgeschoben werden soll, sich aber mit einem nichtsnutzigen Enkel zusammenrauft und von diesem tatkräftige Lebenshilfe bekommt. Mit solchen Oma-Enkel-Geschichten hat Inge Meysel zeitweilig fast das gesamte Unterhaltungsprogramm des deutschen Fernsehens bestritten.
Michael Goldberg ist brillant als kauzige und kriminelle Oma Magda und Timo Weisschnur überzeugt als zunächst gelangweilter Enkel Jochen, der sich von der Vitalität der alten Frau aus der Reserve locken lässt.
Sehenswert ist auch das Video von Stefan Bischof. Auf der Wand im Hintergrund ist, im Stil von Bilderbuchbildern, das Inventar von Magdas Wohnung zu sehen samt der herumkrabbelnden Kakerlaken. Später erscheinen dort Fotos, nicht nur aus Magdas Familienalbum, sondern auch Bilder von politischen und historischen Ereignissen, die während Magdas langem Leben stattgefunden haben.
Am Schluss der Langen Nacht fanden sich alle Gruppen von ZuschauerInnen im Deutschen Theater bei „Protection“ von Anja Hilling zusammen. Inszeniert hatte Martin Laberenz, der im letzten Jahr mit seiner Regie bei „Die Schwäne des Kapitalismus“ zwar großen Erfolg beim Publikum hatte, sich aber auch einige Kritik gefallen lassen musste.
Offenbar unbeirrt brachte Martin Laberenz auch in diesem Jahr auf unorthodoxe Weise Anja Hillings Stück auf die Bühne. Zunächst aber bekam das Publikum eine eigenwillige Interpretation des von Till Briegleb ausgerufenen Mottos „Innehalten“ geboten. Hierbei muss es sich nicht unbedingt um entspanntes Pausieren oder genussvolle Rückschau handeln. Es kann auch ganz unfreiwilliges und schwer erträgliches Warten sein. So wie Sebastian Grünewald, Peter Moltzen und Anita Vulescia auf die Musikerinnen warteten, die angeblich noch mit einer Aufnahme beschäftigt waren, weshalb auch das Publikum innehalten und sich damit zufrieden geben musste, erst einmal nur ungeduldig über die Bühne tigernde SchauspielerInnen zu sehen.
Nachdem Friederike Bernhard und Katharina Deissler dann erschienen waren, begann Anja Hillings Stück aber auch noch nicht. Die Gags, die das AkteurInnen-Trio abfeuerte, waren allerdings, wohl wegen der kurzen Probenzeit, nicht so ganz gelungen. Peter Moltzen und Sebastian Grünewald waren häufig zu laut und wirkten unsicher. Anita Vulescia hingegen brillierte mit gewohnter Präzision. Sie war es auch, die, als dann, fast übergangslos, die erste der drei Episoden in Anja Hillings Stück zur Aufführung kam, das immer noch lachende Publikum von der Tragik des Geschehens überzeugte.
Komisches und Klamaukiges zog sich durch die ganze Vorstellung, wobei sich zeigte, dass gerade durch diesen Kontrast das Stück von Anja Hilling hervorragend zur Geltung kam. Die Autorin hat drei Begegnungen unterschiedlicher Menschen gestaltet, in denen es um Krankheit, Körperbehinderung Gewalt und Tod geht, wobei die grausigen Details auch etwas Groteskes haben und unfreiwillig komisch sein könnten.
Durch die komödiantische Rahmenhandlung erschienen die Szenen des Stücks so ernst und anrührend, wie sie wohl zu verstehen sind.
Friederike Bernhard hat sehr eindrucksvolle schräge Klänge für diese Vorstellung geschaffen, die sie am Klavier vortrug, begleitet von der wunderbaren Geigerin Katharina Geissler.
Das Publikum applaudierte enthusiastisch am Schluss der Vorstellung, Anja Hilling kam mit strahlendem Gesicht auf die Bühne, und mit dieser Inszenierung fanden die diesjährigen Autorentheatertage mit einem sehr unterschiedlich und sehr geschickt zusammengestellten Programm, einen begeisternden Abschluss.