Aus Bern nun wiederum darf man den im dortigen Kunstmuseum gesammelten Schatz von Adolf Wölfli (1864-1930) bestaunen, den doch wohl bekanntesten Künstler aus dem Umkreis der zu Geisteskranken Erklärten. Von keinem anderen liegen soviele Dokumente vor, die vom Kunstmuseum Bern herausgegeben werden. Bei Hatje beispielsweise „Geographisches Heft No.11“, wo hauptsächlich Texte erfaßt sind und nur ein Teil der vollgeschriebenen und mit Zahlenkolonnen versehenen oder gemalten Bilder. Wölfi, das sieht man auch hier, schafft einen eigenen Kontinent, wo ganze Forschergruppen sich mit den Motiven – buchstäblich den künstlerischen wie auch den psychoanalytischen – beschäftigen können. Wölfi ist so krank wie gesund, so verrückt wie normal, sein Werk sprengt wirklich jegliche Festlegung.
Aus der Sammlung Prinzhorn aus Heidelberg hat es nur Oskar Voll (Oskar Ferdinand Heinrich Voll 1876-?) in die Schirn geschafft. Auf ihn trifft zu, daß nicht immer die Farbe den Stempel aufdrücken muß. In seinem Zeichenheft bringt Voll längliche Streifenbilder in Schwarz und Weiß, die man als Form genausogut aus Comics von heute kennt, wie aus den ägyptischen Grabkammern und auch den mexikanischen Malereien. Gespenstisch. Eindringlich. Daß aber den Ausstellungsmachern so etwas wie das Folgende unterlaufen ist, verstehen wir nicht. Dort heißt es über Voll:“Nachdem Voll 1935 fast 60jährig aus Werneck in die Caritative Anstalt Römershag (Bad Brückenau) verlegt wird, verliert sich seine Spur“. Das finden wir angesichts des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten einen Euphemismus, der nicht angeht. Auch wenn man nicht seinen Vergasungstod beweisen kann, müßte man doch zumindest auf der Programm der Nazis verweisen.
Aber uns dauert, daß so viele der Künstler, unter ihnen viele Frauen, aus Heidelberg nicht vertreten sind und erklären uns es auch damit, daß deren jeweiliges Werkekonvolut nicht so umfangreich ist wie das der meisten in der Schirn gezeigten. So gibt es auch nur wenig von Oskar Voll, obwohl er Zeit seines Lebens schuf, Dinge, die weggeworfen wurden. Es muß also in den USA und England wohl auch eine andere Tradition des Aufbewahrens von Schöpfungen der Menschen geben, die das Normalsein sprengen. Für Großbritannien trifft das auf jeden Fall zu, daß es geradezu normal ist, anders zu sein und auch sein zu dürfen, ja zu müssen. Die Kultur des Anderssein ist dort eine der Gesellschaft implizite und nicht wie bei uns, eine pädagogisch-psychologisch intendierte, die Andersartigen zu integrieren.
Auch in Deutschland gab es einen, der das Anderssein so durchgezogen hat, wie Friedrich Schröder-Sonnenstern (1892-1982), der inmitten aller anderen einen satirischen Zug hineinbringt und bei dem wir auch nicht vom Horror Vacui sprechen dürfen. Wir konnten seine Werke umfassend in Wien bestaunen und in Wien lebt auch Peter Gorsen, der im Katalog über den „Narr und Mystiker, Freigeist und Erleuchteter, Satiriker und Schwärmer“ als „Wanderer zwischen den Welten“ wie immer exzellent geschrieben hat. Dieser Sonnenstern hat ja nicht nur mit den Themen von Mann und Frau – sexuell aufgeladen eigentlich nur er, was sonst oft ein Kennzeichen der Kunst von Geisteskranken ist – etwas Besonders, sondern auch mit der Art und Weise der Darstellung, die im abgedruckten Bild hoffentlich zum Ausdruck kommt.
Damit das nun noch einmal klar wird. Jeder sollte sich diese Ausstellung ansehen, in der noch viel mehr Künstler und vor allem die Skulpturen zu betrachten sind, eine Ausstellung, die einen Blick auf eine Innenwelt anhand gemalter und gefertigter Außenwelten wirft, den man nutzen sollte, weil dies nicht so oft möglich ist. Aber wir sind nicht einverstanden, vom Titel angefangen mit der These, daß diese Ausstellung einzig sei. Nicht nur, daß man nur hinüber nach Heidelberg fahren muß, um in ständig wechselnden Ausstellungen mit vielen Künstlern und immer wieder wechselnden Perspektiven sich anzuschauen, was die Welt voneinander in Gut und Böse, in Normal und Unnormal, in Kunst und Beschäftigung unterscheidet.
Dort gab es übrigens auch im Jahr 2006 eine Ausstellung „wahnsinn sammeln“, ’Outsider Art aus der Sammlung Dammann und in der Kunsthalle Krems gab es „Chaos, Wahnsinn“ im Jahr 1996 und eine ganz große Ausstellung der Gugginger Künstler fand vor Jahren im Kunstforum in Wien statt. Das spricht nicht dagegen, daß die Schirn diese umfassende Ausstellung mit so vielen hierzulande Unbekannteren macht. Eher dafür. Wir fänden nur, den Gesamtzusammenhang aufzuweisen, angemessen und eben auch theoretisch auf die Ausgangslage dieser Menschen, mit Hilfe der Kunst ihren Lebensängsten Ausdruck zu geben, wie es das Ergebnis Horror Vacui zeigt, einzugehen. Angemessen wäre es auch, in der Ausstellung diese Künstler nicht durch Kleinschreibung der Namen zu infantilisieren. Sehr schön dagegen ist, wie auf der einen Seite die Namen und der Werdegang festgehalten sind und auf der anderen Seite die Werke ausgestellt sind. Wenn trennt nun die Wand und wer ist nun der Außenseiter? Die Person oder die Sachen?
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Ausstellung: bis 9. Januar 2011
Katalog: Weltenwandler. Die Kunst der Outsider, hrsg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Verlag HatjeCantz 2010
Wie ernsthaft diese Ausstellung vorbereitet wurde, entnimmt man auch dem Katalog, der diese nicht oft und manchmal noch nie gezeigten Werke bewahrt, damit man auch nach dem Ausstellungsende am 9. Januar das Verstörende nachschauen kann. Alle vierzehn gezeigten Schöpfer und Schöpferinnen werden in eigenen Kapiteln gewürdigt, wobei nicht Bilderklärungen geboten werden, sondern in einem Essay auf das Leben und Werk desjenigen eingegangen und dieses zu erklären versucht wird. Am Schluß findet man dann die Lebensdaten der einzelnen und was biographisch wichtig ist.
Internet: www.schirn.de