Was dabei schief ging und wie es heute gemacht werden könnte, haben die PerformerInnen der freien Gruppe She She Pop herauszufinden versucht. Zu diesem Zweck bitten sie ihre eigenen Väter auf die Bühne, drei ansehnliche Männer um die siebzig, anscheinend körperlich und geistig in sehr gutem Zustand.
Zu Beginn erklärt eine der PerformerInnen, sie würde es ihrem Vater niemals zumuten, sich auf der Bühne zu präsentieren. An ihrer Stelle übernimmt ihr Kollege Sebastian die Rolle einer der Töchter des Königs und ist außerdem er selbst, Sohn von Joachim Bark, der gemeinsam mit den beiden anderen Vätern König Lear vorstellt.
Lea Sovso hat die PerformerInnen mit ärmellosen schwarzen Oberteilen und weißen Halskrausen ausgestattet. Das sieht hübsch aus und gibt ein bisschen historisches Kolorit. Im Übrigen wird Shakespeares Drama nicht gespielt, sondern im Hinblick auf die Erbschafts- und Betreuungsangelegenheiten durchforstet. Die betreffenden Textstellen werden gelesen und anschließend diskutiert und auf Aktualität geprüft.
Im Unterschied zu Lear haben die realen Väter ihr Vermögen noch nicht aus der Hand gegeben und sind auch noch nicht bei ihren Töchtern eingezogen. Hier geht es also darum, zu überlegen, was alles zu bedenken und zu erwarten ist.
So zählt eine der Töchter die Maßnahmen auf, die sie für ihren Vater, falls er ein hilfloser Pflegefall geworden sein würde, zu ergreifen hätte, wobei sie nicht die Möglichkeit erwägt, eine professionelle Pflegekraft hinzuzuziehen. Es geht ja auch darum, einen möglichst großen Gewinn zu machen und nicht allzu viel vom Ererbten zum Vater zurückfließen zu lassen.
Selbstverständlich haben die Väter, wenn sie bei ihren Töchtern wohnen wollen, sich an gewisse Regeln zu halten, und überzogene Forderungen dürfen auch nicht gestellt werden. Die Rundumversorgung von noch gesunden Vätern lehnen die Töchter ab. Eine Performerin vergleicht die hundert Ritter in Lears Gefolge, die Lears Tochter nicht beherbergen will, mit der riesigen Bibliothek ihres Vaters, die sie in ihrer Wohnung nicht unterbringen kann.
Deutlich wird die Distanz zwischen den PerformerInnen und ihren Vätern. Eigentlich sind sie einander fremd, und die Möglichkeit des Zusammenwohnens wird lediglich aufgrund einer möglichen Notwendigkeit und nicht aus dem Bedürfnis nach räumlicher Nähe erwogen.
Obwohl in dieser Performance Privates öffentlich gemacht wird, wird nicht aus dem Nähkästchen geplaudert, und die Auseinandersetzungen zwischen den Generationen sind niemals niveaulos.
Wie die Töchter den Vätern, so haben auch die Väter den Töchtern einiges vorzuwerfen, und als die Väter sich mehr und mehr als Objekte behandelt sehen, fordern sie Respekt ein und einer von ihnen droht, aus der Produktion auszusteigen.
Mehrfach setzen die Mitwirkenden Kopfhörer auf und rekapitulieren Szenen aus dem Probenprozess.
Als Lear-Darsteller müssen die Väter sich bis auf die Unterhosen ausziehen lassen, während die Töchter sich mit der väterlichen Garderobe verkleiden. Privat legt einer der Väter sich in einen Sarg aus Pappe, aus dem heraus er, wie ein Automat, noch auf töchterliche Fragen antwortet.
Es gibt gegenseitiges Verzeihen, das eigentlich ein Aufwärmen von Vorwürfen ist, und bei Schlagermusik mit Harry Belafonte und Peter Krauss kommt es zu nostalgischem Aneinanderkuscheln.
Das Ende ist, wie bei Shakespeare, ein Leichenhaufen, auf dem Erblasser und Erbinnen beieinander liegen.
„Testament –verspätete Vorbereitungen zum Generationswechsel nach Lear“ von She She Pop und ihren Vätern ist eine Koproduktion von Hebbel am Ufer, Berlin; Kampnagel, Hamburg und FFT, Düsseldorf.
Die unterhaltsame Performance, bei der es viel zu lachen gibt und die zum Gespräch zwischen den Generationen anregt, wurde von der Jury des Theatertreffens 2011 als bemerkenswerte Inszenierung zum tt eingeladen und war vor begeistertem Publikum im HAU 2 zu erleben.