Berlin, Deutschland (Weltexpress). Mit „Alien“ schuf Ridley Scott vor knapp 30 Jahren einen Meilenstein des Science Fiction Films, der mit klassischen Elementen des Horrorfilms daherkommt und die Phantasie des Zuschauers fordert.
Die Retrospektive der diesjährigen Berlinale widmete sich dem Thema Science Fiction, einem Thema, zu dem mehr als genug zu sagen wäre, gebe es hierzu nicht schon Unmengen von Büchern, Artikeln, Essays, wissenschaftlichen Arbeiten und vieles andere mehr.
Dass die Thematik nicht zufällig gewählt wurde, das lag auf der Hand. Zeitgleich läuft die Ausstellung „Things to come“ im Filmmuseum am Potsdamer Platz, die sich ebenfalls mit den möglichen filmischen Zukunftsszenarien und somit auch mit unseren Hoffnungen und Ängsten diesbezüglich ausseinandersetzt. Unnötig zu erwähnen, dass auf der Retrospektive eine Vielzahl von bekannten und weniger bekannten Science-Fiction-Klassikern liefen wie „Soylent Green“, „THX 1138“, „Das fünfte Element“, „Blade Runner“ und eben „Alien“.
Ridley Scott war mit den letztgenannten Filmen gleich zweimal in der Retrospektive vertreten. Er schuf mit „Blade Runner“ und „Alien“ hintereinander zwei Meisterwerke, die immer mit seinem Namen in Verbindung stehen werden. Und da Ridley Scott gerade vom US-amerikanischen Regieverband mit dem Lifetime Achievement Award bedacht wurde, außerdem wird der Mann in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag begehen, bestehen gute Gründe, den Film „Alien“ näher zu betrachten.
„Alien“ ist was die technische Umsetzung und das Genre des Science-Fiction-Films betrifft ein Meilenstein in der Filmgeschichte und auch in Ridley Scotts breitem Oeuvre hervorstechend. Zum einen besitzt „Alien“ die klassische Science-Fiction-Thematik, die Begegnung mit der unbekannten und höheren Lebensform, allerdings in allen Alien-Filmen nicht positiv dargestellt, anders also als beispielsweise in Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“. Die unbekannte Lebensform ist in der „Alien“-Reihe ein organisch hochperfektioniertes Monster und somit ist „Alien“ gleichzeitig auch ein Horrorfilm, der in das Genre des Science-Fiction-Films gekonnt integriert wurde.
Wenn auf der diesjährigen Berlinale Agnieszka Hollands Film „Spoor“ den Bären für neue Perspektiven des Kinos zugesprochen bekam, weil sie darin einen Genremix versucht hat, ist das aller Ehren wert und richtig. Allerdings bot „Alien“ diesen Genremix schon vor 38 Jahren. Die Alien-Filme sind Science Fiction und Horror zugleich.
Was „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ (UK, USA 1979) zudem hervorhebt ist, das der Kinofilm verdichtet, also überschaubarer und somit greifbarer ist. Letztlich wird die Geschichte von sieben Leuten, die in einem fabrikgroßen Raumschiff namens Nostromo eingeschlossen sind, erzählt und zwar wie sie gegen ein ihnen unbekanntes Wesen kämpfen. Ein klassisches Horrorfilmmotiv, in dem Menschen nicht im Schloss gegen ein Monster kämpfen, sondern in ferner Zukunft, im fernen Weltraum, in einem Raumschiff und auf einem fremden Planeten und zwar statt gegen einer zombie- oder frankensteinartigen Kreatur eben gegen ein außerirdisches, saurierartiges, reptiliges Wesen.
Dass zeigt sich dem Zuschauer schrittweise, aber von Szene zu Szene mehr. Der unbeteiligte Betrachter sieht sitzend vor dem Bildschirm beim Entstehen, bei der Geburt, beim Wachsen zu. Keine phantastische Entstehung sondern eine uns bekannte, natürliche und damit auch angsteinflößendere. Auch das war vorher auf diese Weise nicht im Kino zu sehen.
Der Gipfel des gruseligen Genusses ist zugleich eine der bekanntesten Szenen dieses Alien-Erstlings, als namlich das Alien-Empryo beim gemeinschaftlichen Essen aus Kanes Brust springt. Eine spaßig-spritzige Angelegenheit und eine Rolle, die mit dem inzwischen verstorbenen Schauspieler John Hurt für immer verbunden sein wird. Der wissenschaftliche Offizier Ash (Ian Holm) bringt es dann auch auf den Punkt und nennt das Alien „Kanes Sohn“.
Das nächste Erscheinen des Aliens wird nur in Nahaufnahmen und Closeups angedeutet, beispielsweise als es sich an dem Crewmitglied Brett (Harry Dean Stanton) vergreift. Wir sehen nicht wie das Alien Brett frisst. Stattdessen ein Schnitt auf den Bordkater Jones, in dessen Augen das Geschehen schemenhaft wiederflackert.
Zum Schluss, wenn es zum Showdown in der Rettungskapsel zwischen Ripley und dem Alien kommt, wird der Duellant erstmalig in ganzer Größe, in vollem Umfang, in seiner protzigen Präsenz gezeigt.
Dabei offenbart sich eine Referenz zu einem anderen Klassiker der 1970er Jahre. „Alien“ Eins schließt unzweifelhaft an Spielbergs „Der weiße Hai“ an. Beide haben die gleichen Grundlagen des klasischen Kampfes zwischen Mensch und Monster, das eine im All, im Raumschiff, das andere im Wasser, am Badeort. Beiden wohnt das gleiche Grundelement inne. Auch bei Spielberg wird der Hai nicht zu Beginn gezeigt, sondern nur angedeutet und erst im letzten Drittel des Films entbrennt wie bei Alien der wirkliche und direkte Kampf Mensch gegen Monster.
Spielberg und Scott. Beide großen Regisseure spielen mit den Ängsten, dem Unbekannten, dem Nicht-wissen-was-kommt und einer Bedrohung, die im Film immer klar spürbar ist. Wir ahnen etwas, wir wissen, Schlimmes wird passiert, aber wir wissen nicht, was, nichts genaues. Das sind klassische Suspense-Elemente. Beim ersten „Alien“-Film wie auch beim Weißen Hais scheint das eher aus der Not heraus geboren zu sein, denn die technische Umsetzung und Realisierung des Hais beziehungsweise des Aliens ließ zu Beginn der Dreharbeiten zu wünschen übrig. Das sah den Machern nicht realistisch genug aus, so dass deswegen stets nur angedeutet wurde. Nur die Momente fanden Eingang in den fertigen Film, die realistisch genug aussahen und wenn es nur wenige Sekunden waren.
Not machte in diesen Fällen nicht nur erfinderisch, sondern wurde zur Tugend und letztendlich zum Klassiker. Das nicht Sichtbare und nur Angedeutete regt unbewusst die Phantasie des Zuschauers an, beansprucht diese und fordert sie Betrachter. Beide Filme sind dadurch in der Inszenierung einfalls- und erfindungsreicher und die Geschichten kommen realistischer und spannungsvoller rüber. Heute ist das anders. Mittlerweile werden alle Filme digital aufgepeppt und daher alles im wahrsten Sinne des Wortes entblößt.
Mit dem ersten „Alien“-Hit etablierte Scott Hauptdarstellerin Sigourney Weaver als erste weibliche Actionheldin des Kinos, noch bevor in den 1980er Jahren das männerdominierende Actionkino à la Schwarzenegger und Stallone zur vollen Entfaltung kam.
Sigourney Weavers Figur Ripley ist in „Alien“ eines von sieben Besatzungsmitgliedern, die gleichberechtigt nebeneinander stehen. Erst gegen Ende entpuppt sie sich als das widerstandsfähigste, stärkste und klügste Mitglied der Crew, das das Alien besiegen kann und will. Und es besiegt. Beinahe jedenfalls, denn aus dem einen Film ist längst eine Quadrilogy geworden.
Ripley wird nicht als Über-Heldin dargestellt, sondern als mutige Frau in einer Männerwelt, die mit ihren Ängsten, ihren Zweifeln und ihrer Hartnäckigkeit gegen jede neue Herausforderung bestehen muss. Und immer „ihren Mann steht“. Ähnliches war später bei der Figur der Clarence Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ zu sehen. Auch Jodie Fosters Figur eine Heldin zeigt Mut und Angst zugleich. Und das im Genre des Psychothrillers und damit für uns Erdlinge greifbarer als im Genre des Science-Fiction-Films. In Nachfolgefilm „Alien – Die Rückkehr“ reift Ripley schließlich vollends zur Action-Heldin und zum Nemesis der Aliens, gipfelnd im finalen Höhepunkt, dem Duell zwischen Ripley und der Alien-Königin.
In vielerlei Hinsicht stellt der erste Film der Alien-Saga, drei Sequels und zwei Prequels folgen über die Jahre, den besten Film der Reihe dar. Warum? Weil sich in „Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt“ das Unbekannte als Bedrohung durch den ganzen Film zieht und mit den Ängsten der Zuschauer spielt. Zugleich werden jede Menge überraschender Wendungen geboten. Im Gegensatz zu den nachfolgenden Filmen „Alien – Die Rückkehr“, „Alien 3“, „Alien – Die Wiedergeburt“, „Prometheus – Dunkle Zeichen und „Alien: Covenant“, die Elemente des ersten Films aufgreifen, szenisch erweitern, mit dem Erstlingswerk ebenfalls spielen und schließlich als bestimmende Klischees die Alien-Reihe durchziehen wie ein Kaugummi, ist der Startfilm, der als solcher nie gedacht war, „psychologischer“ als alle seine Nachfolger.
James Cameron, der als Tyrann auf dem Regiestuhl bekannt ist, trieb das sieben Jahr später mit „Alien – Die Rückkehr“ meisterlich, wenn auch martialisch so sehr auf die Spitze, dass alle späteren „Alien“-Filme, so ideenreich und ambitioniert sie auch waren, es schwer hatten, mitzuhalten. Immerhin war Cameron klug genug, von der Handlung her nichts Ähnliches oder Vergleichbares zu wagen, sondern an den Vorgängerfilm anzuschließen, ihn aber auf eine komplett neue Ebene zu heben. Im zweiten Teil musste kein einzelnes Alien besiegen werden sondern gleich ein ganzes Heer von außerirdischen Riesenreptilien. Während im ersten Film der Zuschauer sich mit Ripley die ganze Zeit fragt, wie überhaupt dieser hochperfektionierte Alien-Organismus zu besiegen sei, ist dies im Nachfolgefilm schon gar nicht mehr relevant. Das Töten eines Aliens stellt kein Problem mehr dar. Das Problem ist Masse, die Übermacht und wie dagegen zu bestehen ist.
Selbst das von Scotts inszenierte Alien Prequel „Prometheus – Dunkle Zeichen“ (2012) reicht, obwohl technisch gekonnt inszeniert, an das Schlachtfest nicht heran. Der vierte Teil ist eine Nummer zu groß, zu umfassend. Scott will offensichtlich zu viel erzählen, zu viele Themen abhandeln, zu viele Fragen beantworten. In der Gegenwart kämpfen und die Geschichte des Alien-Universum klären, das gelingt nicht ganz, obwohl die Herangehensweise an die vielen Fäden dieses Erzählstranges nicht unklug ist. Ähnlich schwillt die Bedrohung mit, die Ur-Entstehung der Aliens ist spürbar und auch mit bekannten Elementen wird gespielt und unser aller „Alien“ mit all seinen bekannten Elementen tritt erst ganz zum Schluss in Erscheinung.
Trotzdem schließt Scott nicht an die Spannungsdichte und Originalität seines ersten Alien-Films an. Das Alien-Universum ist inzwischen zu sehr gewachsen, man kann die Alien-Suppe nicht mehr neu erfinden, sondern nur noch aufwärmen und umwürzen.
Meisterwerke, obwohl die handwerkliche Meisterschaft unabdingbar dazu gehört, kann man nicht erzwingen. Meilensteine entstehen eher zufällig. Scott ist ein Meiste der Regie, das steht außer Frage. Der mit einem Oscar gekrönte Drehbuchautor William Goldmann schrieb in seinem Buch „Adventures in Screenwriting“ einmal, das bei Hollywood-Produzenten immer eine Liste mit den Top-Regisseuren herumging. Und von Jahr zu Jahr stand stets der Regisseur David Lean („Lawrence von Arabien“, „Doktor Schiwago“) auf der Liste. Heute dürfte der Name, der ständig auf der Liste steht, der von Ridley Scott sein. Und das liegt vor allem an „Alien“, dem Meilenstein des Science-Fiction-Films.