Berlin, Deutschland (Weltexpress). „Hier warten Erlebnisse auf Sie, die für mehr als einen Sommer reichen“. Ein allemal verlockend klingender Prospekt-Satz. Dem auch eine Gruppe von Reisejournalisten aus Deutschland und der Schweiz auf die Spur kommen wollte.
Nicht erst in Wochen oder gar Monaten, sondern höchst komprimiert. In nur dreieinhalb Tagen – abenteuerlich! Ihr Ziel: die Gegend links und rechts der „Abenteuerstraße“ im Halling- und Hemsedal zwischen Oslo und Bergen.
Dreieinhalb Tage, in die lokale Fremdenverkehrsorganisationen natürlich alles hineinpacken, was sie zu bieten haben. Schließlich müssen sie für ihre Region werben. Da sind wir als kritische Multiplikatoren gefragt.
Meine Intention diesmal: in eigener Sache sozusagen. Will sagen: ein ungeschminktes Bild aufzuzeichnen, wie es uns dabei ergangen ist. Das heißt: volles Programm von früh bis spät. Von wegen Relaxen!
Wer über Destinationen fundiert berichten soll, der muss in erster Linie zuhören, nachhaken, schreiben, fotografieren, Fragen stellen und sich dauernd Gedanken machen, welcher Zeitung/Zeitschrift/Leserschaft er was in welcher Form anbieten soll. Das vorab gemailte Programm liefert nur grobe Anhaltspunkte. Die Realität stellt sich dann meistens ganz anders dar, positiv wie auch negativ natürlich. Da wird Reisen zur Arbeit.
Info-Tainment mit Schwächeln
Schon morgens im Bus drücken uns die Tourismus-Repräsentanten kiloschwere Tüten mit Info-Material in die Hand. Gut gemeint zwar, aber nicht oder nur selektiv zu bewältigen. Wir wühlen in Prospekten, während draußen schon die norwegische Landschaft vorbei fliegt und der local guide vorträgt. Ohne Punkt und Komma. Seine Mikrofonstimme aus den Lautsprechern über uns wirkt einschläfernd, zumal der Abend zuvor sich länger hingezogen hat. Selbst auf das Abendessen mit regionaltypischen Spezialitäten habe ich mich nicht recht konzentrieren, geschweige denn es genießen können. Gleich zwei Fremdenführer haben uns dazu in Stereo belegt. Pausenlos. Und das Personal wird vorgestellt. Alles sicher gut gemeint, aber kontraproduktiv. Auch die mehr oder weniger klugen Fragen – pure Höflichkeit.
Über Serpentinen kurvt der Bus durch die Nacht hinauf zu einer Bergalm. Eine Hütte ist unsere. Urgemütlich in Blockbauweise. Zimmerverteilung. Immer zwei zusammen, Schnarchgeräusche inklusive. Noch ein, zwei Bier, dann verkriecht sich jeder hundemüde in seinen Schlafsack.
Am nächsten Morgen Schlangestehen vor dem einzigen Bad. Geradezu futuristisch die Armaturen, für deren Benutzung man einen Einführungskurs bräuchte. Entsprechend länger dauert es, bis alle durch sind. Dann schnell die Sachen packen und ab in den Bus. Zum Frühstück hat man für uns ein Bergrestaurant ausgesucht. Die Tische biegen sich unter frischen, typisch norwegischen Köstlichkeiten. Die kurze Hüttennacht ist schon so gut wie vergessen.
Unerbittlich rollt der Bus – mit Zwischenstopp und Bummel über den kleinstädtischen Wochenmarkt von Nesbyen – unserem nächsten Info-date entgegen. Ein Mittelalterpark. Stabkirche, Wikinger-Museum und Film im Schnelldurchgang. Der stolze Besitzer möchte uns vor allem sein Hotel mit Aqua-Park vorführen. Treppauf, treppab durch alle Räumlichkeiten, hinein ins tropisch-schwüle Dampfbad mit quiekenden Kindern im Wellenbad und auf Rutschbahnen. Das Restaurant wartet mit einem üppiges Büffet auf. Aber die Zeit ist wieder mal knapp: eine Stunde alles in allem. Saturierte Müdigkeit macht sich breit. „Nur nicht schwächeln, Freunde!“, hält uns die deutsche Koordinatorin auf Trab.
Wie Gummifische im Fluss
Wenige Kilometer weiter die nächste Überraschung, angekündigt als „Forellensafari“. Keiner kann sich so recht was darunter vorstellen. Bis wir vor einem Sportcenter landen. Zwei drahtige junge Norweger führen uns vor, wie man sich in einen Tauchanzug fädelt. Jeder schnappt sich einen und versucht sein Glück damit. Flüche sind zu hören, aber kollegiale Hilfe ist selbstverständlich. Nach einer halben Stunde versammeln sich alle vor dem Gebäude. Verkleidet als lauter bunte Frösche mit Masken, Flossen und Schnorcheln. Ein (noch) fröhliches Gruppenfoto muss sein!
Durch ein kleines Waldstück watschelt die Truppe ungelenk zum Fluss. Der Guide gibt letzte Verhaltenshinweise. Kurze Zeit später treiben sieben Taucher mit der Strömung bäuchlings zu Tal. Eisiges Wasser dringt am Hals in den Anzug ein. Beim Schnorcheln schluckt so mancher Wasser und die Brille beschlägt. An Flachstellen schürfen wir über Kiesbänke oder prallen auch schon mal – oh Schreck! – gegen einen kantigen Granitfelsen. Die Forellen suchen vor den dicken Gummifischen schleunigst das Weite. Wir entdecken nur wenige, aber die Strömung reißt uns unerbittlich weiter.
Nach rund vier Kilometern Schwimm- und Tauchsafari ist Schluss. „Gott sei Dank“, stöhnen einige. Das Wasser im Anzug hat sie jetzt förmlich aufgeweicht. Wer möchte, kann sich – sozusagen als Krönung – von einer sechs Meter hohen Brücke in die gurgelnden Fluten stürzen.
Auf einem Parkplatz am Ufer wartet der Bus. Unter Mühen pellen wir uns aus den glitschigen Gummihäuten. Literweise fließt Wasser auf den Rasen. Nur in Badezeug geht´s zurück zur Sporthalle. Stehend, denn die Sitze sollen nicht nass werden. Jeder muss vor dem Umziehen noch seinen Anzug mit einem Wasserschlauch abspülen. Natürlich bibbernd im Freien.
Doch nicht genug der Wasserspiele! Uns steht eine „Familien-Rafting-Tour“ bevor. Na, mal sehen… Stopp vor einem Baracken-Camp. Helmut, ein deutscher Aussteiger, empfängt uns. Er managt das nächste Wasserabenteuer.
Paddeln durch Stromschnellen
In einem dunklen Schuppen hängen noch von unseren Vorgängern triefend nasse Tauchanzüge. Wir schütteln uns schon beim Anblick. Aber jetzt wissen wir wenigstens, wie man sich die Dinger überzieht. Nur brauchen wir diesmal weder Schnorchel noch Flossen oder Brille, dafür aber einen Schutzhelm und je ein Alu-Paddel. So ausgerüstet, klettern wir in einen klapprigen firmeneigenen Bus. Auf seinem Anhänger sind zwei Schlauchboote festgezurrt. Über eine staubige Piste lenkt uns Helmut durch den Wald, parallel zum Fluss, in dem wir zuvor nach Forellen Ausschau gehalten haben. Beim Anblick der schäumenden Stromschnellen wird manchem mulmig. Mit vereinten Kräften laden wir die Boote ab. Zwei dunkelhäutige Männer, Rafting-Spezialisten aus Nepal, stellen sich als unsere Führer vor. Bevor es zu Wasser geht, müssen wir erst mal Trockenübungen absolvieren. Englische Kommandos fliegen uns um die Ohren: „Left, right, down, up, all together, stopp, back!“ Eine Kollegin resigniert: „Das lern´ ich nie!“, eine andere fragt gereizt, wo denn der Spaß daran bleibe.
Kaum schwimmen die Gummiboote, brüllt unser Nepalese los. Voraus ein dicker Felsen, der uns magisch in seinen Bann zieht. Die Paddel fliegen nur so. Gerade noch mal gut gegangen! Wir rauschen vorbei – kopfüber eine Stromschnelle hinunter. Ein Wasserberg bricht über uns zusammen. Wir sind blind und paddeln wie um unser Leben. Das Boot dreht sich und schießt unbeirrt weiter. Plötzlich saust das Kollegen-Floß auf uns zu, rammt uns und torkelt scheinbar angeschlagen davon.
45 Minuten – uns kommt die Zeit wie Stunden vor – und wir dürfen wieder ans Ufer steuern. Durchnässt und abgekämpft steigen wir mit wackligen Beinen an Land. Unter vereinten „Hau ruck!“-Rufen wuchten wir die Gefährte über eine steile Böschung auf den Anhänger. Geschafft – auch wir! Dieser Abend im Hotel währt daher nicht lange. Einer versucht noch einen Beitrag in seinen Laptop zu drücken und ihn an die Redaktion zu mailen. Bald gibt er übermüdet auf.
Tour der Leiden und Ausgleich
Immer höher schraubt sich unser Bus am frühen nächsten Morgen in die norwegischen Berge. Bis sich der Blick weitet auf eine karge Fjelllandschaft, gesprenkelt von blauen Seen und weißen Schneeflecken. Eine Herde Ziegen blockiert plötzlich die Piste. Alle stürmen raus: Fotohalt. Eisige Windböen fegen über die Hochfläche. Das Busthermometer zeigt knapp über Null Grad an.
Bevor wir wieder Norwegen-aktiv werden sollen, stärken wir uns auf einer Alm. Die Bäuerin in Tracht empfängt uns mit Schifferklavier-Klängen und Gesang aus ihrer Heimat. Anheimelnd brennen Kamin und Kerzen. In der Luft liegen würzige Düfte. Die Frau präsentiert ihre leckeren selbstgemachten Öko-Produkte aus Milch, Fleisch, Getreide und Kräutern. So gestärkt geht es weiter bis zu einem Berg-Hotel. Auf dem Hof stehen Fahrräder bereit. Vor uns eine 20-Kilometer-Strecke. „Sind wir richtig ausgerüstet?“, fragen wir uns, als die Hände langsam klamm werden und anfangen zu schmerzen. Auf winterliche Temperaturen mit Handschuhen ist niemand eingestellt.
Hügelauf, hügelab zieht sich die Sandpiste. Schier endlos. Der Wind bläst uns unbarmherzig bremsend ins Gesicht. Auch wenn die Landschaft ist traumhaft ist, kaum jemand hat noch einen Blick dafür. Bloß nicht schlapp machen! Es fängt zu allem Überfluss auch noch an zu regnen. Die Kolonne zieht sich weit auseinander. Immer häufiger müssen wir bergauf schieben, trotz 16er-Gangschaltung. Bei einigen springt die Kette ab. Frustrierter Gruppenrat. Wollen wir durchhalten? Die Mehrheit ist nach halber Radelstrecke für Abbruch. Unsere Begleiter versichern uns, dass es kein Problem sei, die Räder per LKW zurückzuholen. Im Bus ist es wohlig warm und wir tauen langsam wieder auf.
Schon warten die nächsten „Prüfungen“ auf uns: eine Kanu-Kajak-Tour. Nur zwei kennen sich mit deren Handhabung aus. Der Rest stochert wild drauflos. Unsere kleine Flottille gleitet über den spiegelglatten See mit dramatischer Bergkulisse. Sogar ein FKK-Bad ist drin. Andere sammeln Pilze und Beeren auf einer idyllischen, unbewohnten Insel. Das klingt ganz nach Robinsonade. Aber eben nur für zwei romantische Stunden. Bis wir unser Gepäck in einem Luxus-Resort abladen können. Wieder wird zum Aufbruch geblasen. Eine Fjell-Wanderung bis auf 1000 Meter Höhe steht auf dem Programm. In Einerreihe stiefeln wir bergan. Schweißtreibend der Ausflug mit dem Gefühl von Einsamkeit und Weite. Glücksgefühle stimmen fast euphorisch, auch als wir den Pfad verfehlen und in einem Sumpf landen. Trotz durchnässter Stiefel stimmt der Sonnenuntergang milde. Erst recht die anschließende Sauna und der Hotel-Pool mit Blick über das Tal. Die Strapazen rücken allmählich in den Hintergrund.
„Eigentlich doch ganz schön, unser Job“, zieht ein Kollege nicht ohne Stolz auf die physischen Leistungen der vergangenen Tage das Fazit der abenteuerlichen Pressereise, „nur manchmal auch ein bisschen anstrengend“. Wer will ihm da noch widersprechen?!