Nun steht der Umbau des Dresdner Kulturpalastes an, und wieder nehmen die Dresdner regen Anteil. Auszumachen sind vier Parteien: Die eine will umbauen und modernisieren, die andere ihn erhalten, wie er ist. Die stärksten Widersacher sagen, lieber ein neues Konzerthaus am anderen Elbufer, und die Extremsten sagen: abreißen. Die beiden letzteren laufen auf dasselbe hinaus – keine Zukunft für den Kulturpalast. Der aber steht unter Denkmalschutz. Natürlich spielt bei allem Geld eine Rolle. Doch eines nach dem anderen.
Worum geht es?
Dresden war schwer zerstört und wurde mit viel Begeisterung wieder aufgebaut – anders als vorher, aber die Menschen brauchten Arbeit und Wohnungen. Dresden hatte eine große Industrie, sogar ein Flugzeugwerk. Die Semperoper war zerstört, der einzig brauchbare Konzertsaal war der Steinsaal des Hygienemuseums. Dresden war die Stadt Karl Marie von Webers und Richard Wagners. Dann waren da die Dresdner Malerschule und die Kunstakademie. Die Kunstausstellungen der DDR machten die Stadt zum Wallfahrtsort zehntausender Werktätiger (Arbeiter, Angestellte, Bauern und Intelligenzler, nicht die »Arbeitnehmer« der Klassengesellschaft). Dresden hatte auch hervorragende Orchester, Sänger und Virtuosen. Dann gab es noch die »leichte Muse«, auch deren Protagonisten waren an Musik- und Theaterhochschulen exzellent ausgebildet. Ein repräsentativer Veranstaltungsort musste her, der Kulturmetropole angemessen.
1969 wurde der Kulturpalast Dresden mit 2 400 Plätzen eröffnet. Endlich erhielt die Dresdner Philharmonie, deren Tradition bis ins 15. Jahrhundert zurückreicht, einen neuen, eigenen Konzertsaal. Nicht nur Sinfoniekonzerte, sondern auch Jazzkonzerte, Veranstaltungen der leichten Muse, Lesungen von Hans-Georg Stengel, Peter Ensikat und Jochen Petersdorf waren – von Funk und Fernsehen übertragen – DDR-Highlights. Hier wirkten und wirken Dirigenten wie Kurt Masur, Heinz Bongartz, Simone Young. Michel Plasson, Kyrill Kondraschin, Arvid Jansons, Yehudi Menuhin und Rafael Frühbeck de Burgos sowie Virtuosen wie Igor Oistrach, Annerose Schmidt, Anna Sophie Mutter, Kolja Blacher, Mstislaw Rostropowitch, Peter Rösel und Frank Peter Zimmermann.
Doch der Saal des Kulturpalastes hat einen entscheidenden Mangel: die Akustik. Die Dresdner Philharmonie pflegt den typisch »sächsischen Klang«, den die Dirigenten rühmen. Er kommt zur Geltung in den besten Konzertsälen der Welt, aber zu Hause spielen sie, wie ihr Intendant Anselm Rose es nennt, quasi in einem Provisorium. Die Staatskapelle Dresden störte das so sehr, dass sie mit ihrem Generalmusikdirektor Guiseppe Sinopoli1992 den Palast auf Nimmerwiedersehen verließ. Zu allem Überfluss wurde der Palast 2007 aus Brandschutzgründen für mehrere Monate gesperrt. Es spricht für die Weisheit der Dresdner Stadtväter, dass sie den Kulturpalast nicht etwa wie den Palast der Republik in Berlin abreißen, sondern ihn weiterentwickeln und zukunftstauglich machen wollen.
Für den Kulturbürgermeister Ralf Lunau (parteilos), der als Mitglied der Singakademie selbst im Kulturpalast in Beethovens Neunter gesungen hatte, war klar: »Wir brauchen einen erstklassigen Saal für die Dresdner Philharmonie. Wie er jetzt ist, ist er ein Standortnachteil. Aber eine Musikstadt ohne erstklassigen Konzertsaal ist wie ein genialer Musiker ohne Instrument.« Der Weg: den Palast als großartiges Dokument der Dresdner Baugeschichte zu erhalten. Die Betriebsgenehmigung reicht nur bis zum 31.12.2012. Also Umbau! Lunau kennt auch den Schwachpunkt: »Stellen Sie sich Mittwochs um elf auf den Altmarkt. Der Palast ist richtig tot. Keiner geht rein oder raus.« Lunau, kein Kommunist, will einen Kulturpalast für alle. Und da auch die Städtische Zentralbibliothek und das Kabarett »Die Herkuleskeule « ein neues Domizil brauchen, sollen sie mit einziehen in den Kulturpalast. Hier können täglich 3 000 bis 5 000 Menschen ihrem Wissensdrang und ihrer Freude an der Kunst nachgehen. Was eine Zentralbibliothek an anderer Stelle kostet, kann hier abgefangen werden.
Der Stadtrat konnte so weit überzeugt werden, dass er 2008 das Projekt ausschrieb. Den Zuschlag erhielt im Dezember 2009 die Generalplanungsgesellschaft von Gerkan, Marg und Partner. Von Gerkan hatte Referenzen vom Umbau der Weimarer Stadthalle. Den wichtigsten Part erhielt die Peutz Consult Gesellschaft Mook/Niederlande. Von ihr hängt die Hauptsache ab – die Akustik.
Der Saal soll in einem vom Denkmalschutz freigegebenen »Baufenster« völlig umgebaut werden, ähnlich wie in der Berliner Philharmonie als »Weinbergterassensaal« und versehen mit einer »Eisschollendecke«. Platz für eine Orgel ist eingeplant (deren Finanzierung noch offen ist). Die Plätze werden auf 1 882 reduziert. Die Herkuleskeule erhält einen Saal mit 300 Plätzen direkt unter dem Konzertsaal.
Dem Dresdner Stadtparlament liegt nun der Entwurf einer Entscheidung vor: Baubeginn im Januar 2013, Fertigstellung im Juni 2015. Die Kosten sollen 70.5 Millionen Euro betragen (gegenüber 65,0 Millionen aus der Planung von 2007). Dresden gibt 43 Millionen und der Freistaat aus einem Europafonds den Rest, maximal 35 Millionen. Die Schließung des Kulturpalastes wäre abgewendet.
Doch es gibt entschiedene Gegner mit der Sächsischen Staatskapelle als Mittelpunkt. Im November 2009 veröffentlichte eine Initiative Konzerthaus Dresden einen Aufruf zum Bau eines neuen Konzerthauses, der von 28 international bedeutenden Dirigenten unterzeichnet war, darunter von Daniel Barenboim, Pierre Boulez, Nikolaus Harnoncourt, Mariss Jansons, Zubin Mehta und Kent Nagano. Was diese Projekt kosten könnte, weiß niemand genau, geschätzt wird es auf mindestens 150 Millionen Euro. Ein solcher Bau wäre perfekt ausgestattet mit Konzertsaal, Kammermusiksaal, Probensälen und Depots. Die Landesärztekammer würde aus ihrem Pensionsfonds einen grossen Kredit zinsgünstig gewähren.
Andrè Schollbach, Vorsitzender der Linksfraktion im Stadtrat, empfände ein Konzerthaus für eine europäische Kulturstadt als Achtungszeichen. Er weiß aber auch, dass es in Dresdens Schulen einen Sanierungsstau von 800 Millionen Euro gibt. Einen Konzerthausneubau hielte er nicht vor 2020 für möglich. »Konzerthaus ja, aber nicht für morgen oder übermorgen. Für uns steht im Zentrum die Erhaltung des Kulturpalastes als Mehrzweckhaus.« Schollbach zweifelt allerdings an der Zuverlässigkeit der Finanzierungszusage der Sächsischen Regierung. Es gibt also viele Fragezeichen, mit denen sich der Stadtrat auseinanderzusetzen haben wird.
Anselm Rose hingegen glaubt, die Dresdner sind happy, dass dieses Haus bleibt. Sein Standort im Herzen der Stadt sei phänomenal. Ein Ausweichquartier für die Zeit des Umbaus ist noch nicht festgemacht. Das Orchester wird Erschwernisse tragen müssen. »Aber das wird keine Zeit von Krise, Depression und Agonie, sondern der Aufbruch in eine neue Zeit,« sagt Rose. Die Musiker freuen sich, endlich Arbeitsbedingungen zu erhalten, die andere längst haben. In die gesamte Planung war das Orchester einbezogen. Seine Vorschläge wurden von den Architekten eins zu eins übernommen.
Und wie steht die Staatskapelle zum Umbau? Orchesterdirektor Jan Nast meint, der Kulturpalast sei in seiner Zeit revolutionär gewesen. Jedoch habe das Konzept einer Stadthalle seine Grenzen. Er hat jedoch Zweifel, dass man mit diesem Geld einen erstklassigen Konzertsaal bauen kann. Es fehle an Probenräumen und Bühnentechnik.
Wird die Staatskapelle im erneuerten Kulturpalast spielen? Lunau erklärt, die Staatskapelle sei selbstverständlich dazu eingeladen. Nast aber behagt der Gaststatus nicht. Er vermißt ein Angebot zur gemeinsamen Nutzung. Des Eindrucks von Kindern in der Schmollecke kann sich der Beobachter nicht ganz erwehren. Dabei hätten Konzerte der »Kapelle« im Kulturpalast ökonomische Vorteile, wie der Pressesprecher Matthias Claudi erkennt. Die Semperoper hat 1240 Plätze. Um etwa 4 000 Abonnenten und andere Besucher bedienen zu können, wird jedes Konzert dreimal gegeben. Im Kulturpalast könnte man mit zwei Konzerten dieselbe Zahl erreichen und die Gagen für Dirigenten und Solisten für ein drittes sparen, oder man erzielte mehr Einnahmen. Aber, aber, aber…
Der Komponist Siegfried Matthus, beiden Häusern in jahrzehntelangen freundschaftlichen Arbeitsbeziehungen verbunden, hat in Zeiten knapper finanzieller Mittel kein Verständnis für die kontroversen Diskussionen. Für ihn steht fest: Dresden braucht einen erstklassigen Konzertsaal, das Projekt für den Kulturpalast hat ihn überzeugt und der neue Saal »gäbe beiden Orchestern die Möglichkeit, ihre weltberühmten klanglichen Besonderheiten weiter zu entfalten.«
Dass noch offene Fragen bleiben, liegt in der Natur der Sache, zum Beispiel die Verlagerung sehr grosser Unterhaltungsprogramme in eine Messehalle. Die Dresdner Musikfreunde quält zudem die Befürchtung, dass die Eintrittspreise nach dem Umbau nicht mehr bezahlbar wären. Die Politiker nehmen das noch nicht ernst, wie auch die Stadtratsvorlage beweist. Aber Dresden ist nicht Hamburg und rentabel wird nicht, was keiner kaufen kann.
Alles in allem erscheint der Umbau des Kulturpalastes nach dem Von-Gerkanschen Entwurf als die einzig reale Variante. Es könnte ja sein, der neue Konzertsaal würde schöner als die Berliner Philharmonie. Dann hätte Dresden ein bißchen Weltkulturerbe zurückgewonnen.
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Erstveröffentlichung in jungeWelt