RAND fordert vergeblich friedliche Koexistenz mit China

Das Hauptquartier der RAND Corporation in Santa Monica, Kalifornien, VSA. Quelle Wikimedia CC BY-SA 4.0 Foto Coolcaesar

Berlin, BRD (Weltexpress). Die Pentagon-Denkfabrik RAND setzte sich überraschend für einen Kurswechsel Washingtons und friedliche Koexistenz mit China ein; nicht, weil man bei RAND plötzlich friedfertig geworden wäre, sondern weil den USA eine erniedrigende Niederlage erspart werden soll. RAND wurde inzwischen jedoch zurückgepfiffen.

Der politisch aufschlussreiche Appell, den RAND jüngst in einem über 100 Seiten langen Bericht veröffentlicht hat, ist in sich selbst bereits eine Sensation, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es RAND war, die mit ihren wegweisenden Politikpapieren über die letzten Jahrzehnte maßgeblich die katastrophale US-Russland- und US-China-Politik geprägt hat. Unter anderem hatte RAND mit ihrem Papier „Extending Russia“ die Blaupause für den massenmörderischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine entworfen, der Russland eine strategische Niederlage zufügen sollte, was sich jedoch ins Gegenteil verkehrte.

Für diese jüngsten RAND-Aufruf in Richtung „Frieden mit China“ mussten die Autoren sicherlich über ihre eigenen Schatten springen. Offenbar scheinen die Insider des „Tiefen US-Staates“ zutiefst beunruhigt, dass die politischen und wirtschaftlichen Eskalationen zwischen Donald Trump und Xi Jinping aus dem Ruder laufen und Washington dabei den Kürzeren ziehen könnte. So stark ist die Sorge, dass die RAND-Akteure ausnahmsweise ihre sonst zur Schau getragene Arroganz runtergeschluckt haben und nun eine ruhigere, versöhnlichere Haltung gegenüber China empfehlen. Damit soll der globale Status quo im US-China-Verhältnis nicht allzu sehr erschüttert werden. Das vollständige Dokument in PDF-Format mit dem Titel „Stabilizing the U.S.-China Rivalry“ finden Sie hier.

Die zentralen Erkenntnisse des RAND-Berichts lauten, dass China und die USA einen Modus Vivendi anstreben sollten: Beide Seiten müssten die politische Legitimität der jeweils anderen anerkennen und Anstrengungen, einander zu untergraben, zumindest in einem vernünftigen Maße einschränken. Früher nannte man das „friedliche Koexistenz“. Besonders bedeutsam und aufschlussreich: RAND rät der US-Führung, Ideen eines „absoluten Sieges“ über China abzuschreiben. Stattdessen solle man mit Blick auf Taiwan die „Ein-China-Politik“ wieder als Grundlage akzeptieren und China nicht länger mit provokanten Besuchen in Taiwan reizen, die doch nur darauf abzielten, China zu verärgern und in ständiger Anspannung zu halten.

Der Bericht beginnt mit einer ausführlichen historischen Rückschau, die den Kontext liefert, wie rivalisierende Weltmächte koexistieren können – und dies in der Vergangenheit auch getan haben. Die Autoren nennen sogar Lenins UdSSR als Beispiel für eine Vision stabiler Beziehungen zum Westen, trotz des offenkundigen Strebens nach marxistischer Revolution. Das jüngste Beispiel ist die Détente zwischen den USA und der UdSSR von etwa 1968 bis 1979, in der beide Seiten erkannten hätten, dass eine unregulierte Eskalation gefährlich und untragbar war. Zitat:

„US- und sowjetische Führer in der Blütezeit der Détente umarmten die zwei Kernaspekte eines stabilen Wettbewerbs: Sie strebten Elemente eines vereinbarten Status quo an, einschließlich Rüstungskontrollregime, und etablierten persönliche Beziehungen zwischen Beamten sowie Mechanismen zur Krisenbewältigung, die halfen, die Gesamtbeziehung ins Gleichgewicht zurückzuführen.“

In einer verblüffend ausgewogenen Betrachtung verteidigen die RAND-Autoren sogar indirekt Leonid Breschnew für seine friedensstiftenden Bemühungen:

„Jene, die Breschnew als jemanden sahen, der die USA täuschen oder in eine Falle locken wollte, haben vollständig missverstanden, was er zu tun versuchte. Treu seinem ehrlichen Engagement für den Weltfrieden, verkündete Breschnew, dass sein Ziel nichts Geringeres sei als die Rettung der Zivilisation selbst – oder genauer gesagt, der europäischen Zivilisation.“

Im nächsten langen Abschnitt des Papiers gehen die Autoren sogar akribisch darauf ein, wie z. B. interne Erklärungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und „geheime Reden“ mit „nuancierteren“ Übersetzungen von westlichen Politikern und Medien absichtlich und manipulativ fehlinterpretiert worden waren, um die Absichten der Chinesen bedrohlich und kriegerisch erscheinen zu lassen. So viel Ehrlichkeit und Selbstkritik bei RAND ist geradezu umwerfend, aber es kommt noch besser.

RAND verteidigt sogar die Idee eines potenziell friedlichen Chinas, dessen Führung nicht auf Weltherrschaft und Imperialismus aus ist, sondern auf rechtmäßigen Einfluss in seinen regionalen Sphären. So wird im RAND-Text erklärt, dass Strategen in China ihr Land zwar als aufsteigende Weltmacht sehen, aber „konzeptionell der Idee verpflichtet bleiben, dass China eine friedliche und legitime Weltmacht bleiben wird“. In diese Kategorie gehörten laut RAND-Team auch Chinas Bemühungen, „proaktiv auf der internationalen Bühne aufzutreten und eine ‚Weltklasse‘-Armee aufzubauen, was nicht notwendigerweise offensiv gemeint ist“.

All dies macht deutlich, dass die RAND-Falken verzweifelt versuchen, die abgehobenen US-Politikmanager auf den Boden der Realität zurückzuholen und sie davon abzuhalten, aus dummer Überheblichkeit die Beziehungen zu China irreparable zu beschädigen. Es ist jedoch nicht leicht, US-Kongressabgeordnete, vor allem Senatoren zu überzeugen, ihre anachronistische und engstirnige Weltanschauung aufzugeben. Diese basiert auf der Idee des hegemonialen Exzeptionalismus der USA, die sich alles erlauben dürfen, weil sie es als einzige Supermacht auch können, während sie zugleich anderen Staaten ihre regelbasierte Ordnung aufzwingen.

Tatsächlich projizieren US-Politiker und -Medien in jeden potenziellen Herausforderer ihre eigenen kriminellen, völkerrechtswidrigen und menschenverachtenden Denk- und Vorgehensweisen, die sie selbst verkörpern und seit über mehr als einem Jahrhundert kultiviert haben. Folglich sehen die USA in jedem anderen aufsteigenden Land rund um die Welt eine Bedrohung, während China darin die Möglichkeit einer weiteren fruchtbaren Zusammenarbeit und eine Win-win-Situation sieht. Der geopolitische Blogger auf Substack mit dem Nutzernamen „Simplicius“ bezeichnet die USA deshalb „als bösartigen Nachwuchs des späten Britischen Empire, dessen raubgierigen Merkmale die US-Amerikaner geerbt“ hätten.

In einem weiteren Teil ihres Berichts versucht RAND, die politische US-Kultur des ewig feindseligen und konfrontativen Ansatzes in der Außenpolitik zu entwöhnen. Offensichtlich haben die Leute von RAND erkannt, dass eine Konfrontation mit China nicht zu einem globalen Krieg führen wird, sondern zu der ernüchternden Realität, die Washington schmerzlich klarmacht, dass es gegen China nicht mehr gewinnen kann.

Die USA sind längst nicht mehr das, was sie einmal waren. Sie besitzen längst nicht mehr die alles überwältigende industrielle Kapazität, um die aufstrebende Weltmacht China ernsthaft zu schikanieren. Die Korrelation der Kräfte ist heute eher umgekehrt verteilt, zugunsten Chinas. Daher ist dieser RAND-Aufruf zur Mäßigung gegenüber China keine echte, deeskalierende Friedensmaßnahme, sondern ein verzweifelter Versuch, die USA vor einer historisch fatalen Demütigung und geopolitischen Niederlage durch China zu bewahren.

RAND geht dabei sogar so weit, die politische Führung Taiwans für die Provokation Chinas und die angespannte Lage zwischen China und den USA verantwortlich zu machen. RAND schlägt vor, dass Washington die ihm zu Verfügung stehenden Hebel gegen Taiwan einsetzt, um den provokanten kleinen „Polit-Kläffer“ auf seine wahre „Größe“ zu trimmen. Deshalb müsse Washington Taiwans politische Führer daran erinnern, dass sie bloße Bauern auf dem globalen Schachbrett der Großmächte sind und deshalb ihre Rolle zur Beibehaltung des Status quo nicht eigenmächtig überschreiten sollten. Hier ein diesbezügliches Zitat aus dem RAND-Papier:

„Taiwans Präsident Lai Ching-te hat beispielsweise zahlreiche Aussagen gemacht, die harte Rhetorik und erhöhte militärische Aktivitäten Chinas provoziert haben. Solche Aktivitäten umfassen die Behauptung, dass Taiwan eine ’souveräne, unabhängige Nation‘ sei, sowie die Ankündigung von Maßnahmen gegen Einfluss und Spionage von China, das sie als ‚fremde feindliche Kraft‘ charakterisieren. Obwohl die USA nicht verantwortlich sind und die Aktivitäten Taiwans nicht vollständig kontrollieren können, stehen sie mit militärischer Unterstützung und de facto erweiterter Abschreckung hinter der Führung Taiwans. Deshalb – so heißt es im RAND-Bericht – verfüge Washington über potenzielle Hebel, um provokative Aktivitäten Taiwans einzuschränken, die aus Sicht Washingtons den von den USA vertretenen Status quo stören.“

Derweil ist Peking an einem Punkt angekommen, an dem es sich von Washington nichts mehr gefallen lässt. Deshalb müssten sich die USA der Realität der chinesischen ökonomischen, politischen und militärischen Macht anpassen. Im Fall der Seltenen Erden habe China z. B. unbestritten das As in der Hand, das dem chinesischen Präsidenten Xi erlaube, von den USA substanzielle Konzessionen zu fordern.

Diese neu gewonnene Kühnheit Pekings ist zweifellos in vielerlei Hinsicht die ansteckende Wirkung der Selbstbehauptung Russlands gegenüber den hegemonialen US/NATO/EU-Ambitionen in der Ukraine. Russland ist der Katalysator, der die US-geführte sogenannte „regelbasierte Ordnung“ umgekrempelt und demaskiert hat. Das hatte eine aufklärerische Wirkung auf die Länder des Globalen Südens, aber vor allem auch auf China. Denn Russland hat den Westen gezwungen, all seine heiligen Karten und „letzten Auswege“ an wirtschaftlichen und geopolitischen Waffen gegen Russland einzusetzen – und China hat zugesehen, wie sie alle nicht funktionierten.

Russlands Rolle in diesem großen Bild ist entscheidend und verdient besondere Hervorhebung. Ohne die russische Entschlossenheit, die US-geführte Hegemonie in Europa herauszufordern, hätte China möglicherweise nicht so schnell die Lektion gelernt, dass der Westen blufft. Die Sanktionen gegen Russland, die als tödlich gedacht waren, haben stattdessen die Schwächen des Dollarsystems enthüllt und alternative Handelsrouten wie die BRICS gestärkt.

Russland hat bewiesen, dass man der US-Hegemonie widerstehen kann, ohne unterzugehen – eine Lektion, die China nun aufgreift. Die US-Dominanz, die seit dem Ende des Kalten Krieges als unumstößlich galt, zerbricht an der Achse Moskau-Peking. Der RAND-Bericht ist eine implizite Anerkennung dieser neuen Realität, die die unilaterale US-Weltordnung ablehnt und eine multipolare Ordnung aufbaut, in der keine Macht diktiert.

Zum Schluss noch ein vielsagender Hinweis: Als ich überprüfen wollte, ob der Internet-Link zum RAND-Dokument noch aktiv ist, musste ich feststellen, dass RAND seinen Bericht „Stabilizing the U.S.-China Rivalry“ zurückgezogen hat, siehe Screenshot unten bzw. im Anhang. Der Druck der Kriegstreiber im US-Kongress war offensichtlich zu groß, was nach aufkeimender Hoffnung nach Lektüre dieses Textes nichts Gutes für die Zukunft der US-China-Beziehungen verheißt.

Anhang:

Quelle: RAND.
Bildschirmfoto Berlin 7.12.2025, 14:29:49 Uhr

Anmerkungen:

Der Report „Stabilizing the U.S.-China Rivalry“ von Stabilizing the U.S.-China Rivalry Michael J. Mazarr, Amanda Kerrigan, Benjamin Lenain liegt der WELTEXPRESS-Redaktion vor.

Vorstehender Beitrag von Rainer Rupp wurde unter dem Titel „RAND fordert vergeblich friedliche Koexistenz mit China“ am 6.12.2025 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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