Berlin, Deutschland (Weltexpress). Inzwischen weiß man ziemlich genau, was man erwarten kann, wenn ein Lebensbereich unter „grüne“ Kontrolle gerät. Es ist schon fast ein Wunder, dass es noch keine amtlichen Formulare für intime Kontakte gibt. Der Entwurf für ein neues Bundeswaldgesetz (BWaldG) ist da keine Ausnahme.

Wald, das war in Deutschland immer eine romantische Vorstellung oder der Ort von Kindheitserinnerungen beim Pilze suchen oder Beeren pflücken. Und natürlich auch, über Jahrhunderte hinweg, ein Objekt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, von adligen Jagdprivilegien, bäuerlicher Wilderei und Holzsammelverboten. Obwohl es in Deutschland kaum noch eine Waldfläche gibt, die tatsächlich aus niemals anderweitig genutztem Boden besteht, wird Wald weitverbreitet mit unberührter Natur verbunden.

Das ist natürlich eine Illusion. Dazu muss man sich nur die alten Standorte von Eisen- und Glasproduktion betrachten, beide Gewerke benötigten Holzkohle, für deren Herstellung die oft als unheimlich angesehenen Köhler zuständig waren. Wald war dafür eine der ersten industriell genutzten Ressourcen. Und schon davor gab es allerlei Nutzungen, die Folgen hatten: Die einst weitverbreiteten Eibenwälder verschwanden, weil Eibenholz unter anderem für die – eine Zeit lang – militärisch wichtigen Langbogen geeignet war. Und das war nichts Neues, denn die griechischen Wälder fielen schon in der Antike dem Bau der attischen Flotte zum Opfer.

Diese illusorische Sichtweise von „der unberührten Natur“ schlägt sich nun aber in einem weiteren bürokratischen deutschen Monstrum nieder, dem Entwurf für ein neues Waldgesetz, das schon allein den Umfang des alten BWaldG locker verdreifacht. Und es schafft zudem, im Grunde alle Interessenten am Wald gleichermaßen zu frustrieren, vermutlich als Kompensation für die ansonsten vorgesehene Nutzung zum Aufstellen von Windrädern.

In der alten Bundesrepublik waren Privatwälder eher die Ausnahme. Da gab es alte Großeigentümer, ansonsten waren Wälder zu einem guten Teil Staatsforsten oder kommunale Stiftungswälder und Kleineigentum von Bauern. Aber doch gab es die grundsätzlich Vorstellung, dass der Wald für alle begehbar und auch in einem gewissen Maße nutzbar sein müsse. Die Deutschen und ihr Wald – nicht umsonst war das Waldsterben das erste Thema, mit dem es gelang, die Öko-Panik in den Köpfen zu verankern. Und nach den damals abgegebenen Prognosen dürfte es heute gar keinen Wald mehr geben.

Aber seitdem ist viel passiert. Ganze Bundesländer haben ihre Wälder verkauft, und es gibt Regionen in Deutschland, in denen man Wälder gerade noch betreten, aber nicht mehr nach Pilzen suchen darf. Und ich rede hier nicht von Naturschutzgebieten, sondern vom Privatbesitz. Passend zum immer weiter vorangetriebenen Verbot von Holzheizungen wird auch das Sammeln von Bruchholz immer weiter eingeschränkt.

Dass der Zutritt aller Bewohner zu den Wäldern einmal eine zentrale politische Forderung war, dass die Auseinandersetzungen um das Sammeln von Bruchholz einmal so bedeutend waren, dass sie unter anderem einen jungen rheinischen Rechtsanwalt und Journalisten namens Karl Marx dazu brachten, den Rest seines Lebens mit politischen Fragen zu verbringen, ist heute längst vergessen.

Der neue Gesetzentwurf kehrt natürlich nicht zurück zu der Idee von Wäldern, die dem Volk gehören. Interessanterweise gehören sie aber auch nicht mehr wirklich den privaten Eigentümern. Die sind nämlich im Grunde nur noch die Erfüllungsgehilfen einer staatlichen Bürokratie, die ihnen vorschreibt, was sie wie im Wald zu pflanzen haben, was und wie sie das entnehmen dürfen. Diese Eigentümer werden mit den gleichen unzähligen Berichts- und Überwachungsvorschriften versehen wie ihre Kollegen in der Landwirtschaft, die Bauern, und all das im Dienste einer Fantasie über den Wald, die allen anderen Aspekten übergeordnet wird.

Wahrscheinlich sollen sich die Waldbesitzer dann dadurch entschädigt fühlen, dass die Fortbewegung des gemeinen Volks durch den Wald ebenfalls eingeschränkt wird. So wird jetzt per Bundesgesetz vorgeschrieben, dass man nur noch auf offiziellen Wegen mit dem Fahrrad durch den Wald fahren dürfe. Aber das, was im Volksmund ein „Waldweg“ genannt wird, fällt in der Regel nicht darunter. Das wird vor allem die Nutzer von Geländefahrrädern freuen, die sicher begeistert sind, sich an planierte Wege halten zu müssen. Wobei sich in manchen deutschen Gegenden unter derartigen „inoffiziellen“ Wegen gelegentlich eine Römerstraße verbergen kann, die weit älter ist als der Wald, der sie umgibt.

Wege durch einen Wald sollen auch nicht mehr einfach ausgewiesen und geteilt werden dürfen. Das Bundesministerium des unter anderem für Landwirtschaft zuständigen Cem Özdemir hat sich in einem sogenannten Referentenentwurf schon Gedanken gemacht, was das Ganze wohl kosten könnte:

„§ 33 Absatz 2 und 3 BWaldG (erstmalige Ausweisung und Markierung von Wander-, Reit- oder Radwegen, von Sport- und Lehrpfaden auf bestehenden Wegen außerhalb bereits ausgewiesener Wanderwege (Absatz 2) sowie das erstmalige digitale Anzeigen/Ausweisen derartiger Pfade, Trails etc. (Absatz 3)): Eine Einschätzung des hier für die Länder entstehenden Erfüllungsaufwands ist kaum möglich, da bundesseitig keine Angaben zur Zahl möglicher Anträge vorliegen und keine Erfahrungswerte dazu, welche Bearbeitungsintensität sich hier im Durchschnitt ergeben kann.

Für eine Annäherung wird angenommen, dass bundesweit jährlich [mit] etwa 10.000 Anträgen zu rechnen ist, die behördenseitig einen Bearbeitungs- bzw. Genehmigungsaufwand von im Mittel etwa zwei Arbeitsstunden auslösen, die je hälftig auf einen Mitarbeitenden des gehobenen Dienstes (Stundensatz: 43,90 Euro) und des höheren Dienstes (Stundensatz: 65,20 Euro) entfallen. Somit ergibt sich hier ein bundesweiter Erfüllungsaufwand für die Länder in Höhe von durchschnittlich rund 109 Euro pro Fall bzw. insgesamt jährlich rund 1,1 Millionen Euro.“

Klar, wenn man festlegen will, auf welchen Wegen gefahren werden darf, muss man sie auch kennzeichnen. Aber immerhin, das schafft fünf neue Stellen im gehobenen und fünf neue Stellen im mittleren Dienst, sollten die vorsichtigen Abschätzungen zutreffen. Das ist schließlich auch etwas.

Hübsch ist allerdings die Vorbedingung – und das ist gleichzeitig sowohl ein Trostpflästerchen für die Waldbesitzer, damit diese wenigstens bei belanglosen Dingen etwas zu sagen haben, als auch eine nette kleine Schikane für die übrigen Nutzer: Wenn jemand einen Pfad durch einen Wald auf irgendeiner Plattform teilen will, muss er dafür zuerst die Genehmigung des Waldeigentümers einholen.

Ich war im Verlauf meines Lebens in Deutschland in vielen Wäldern. Von den wenigsten wusste ich, wem sie gehören. Wo sollte das auch stehen? Das geht bei den großen Stadtwäldern, da weiß man noch ungefähr, wo sie anfangen und wo sie aufhören; aber in vielen Gegenden müsste man schon erst eine Auskunft beim Grundbuchamt einholen, wem ein bestimmtes Waldstück gehört, um überhaupt eine derartige Genehmigung einholen zu können.

Das signalisiert eher dem erholungssuchenden Städter: „Du gehörst nicht hierher!“ Selbst die Zeiten, in denen man in der nahegelegenen Dorfwirtschaft hätte nachfragen können, wem ein bestimmtes Stück Wald gehört, sind vorüber. Das liegt am Verschwinden der Dorfwirtschaften. Soll also künftig an jedem Weg, der in einen Wald hineinführt, angeschlagen werden, wer ihn besitzt, am besten mit Adresse und Telefonnummer (weil es für Mobilfunknetze bekanntlich keine Telefonbücher mehr gibt) und den Geodaten der Grundstücksgrenzen, damit das mit der Genehmigung auch klappt?

Im Grunde muss man sich nur ansehen, in welcher Reihenfolge nun die „Schutzgüter des Waldes“ stehen sollen. Nach sechs Punkten, beginnend beim Waldbestand über das Waldinnenklima und die „Stille des Waldes“ finden sich erst unter Unterpunkt 3 von Punkt 7 „die heimische Erzeugung des nachwachsenden Rohstoffs Holz“, also die wirtschaftliche Nutzung, und erst unter 7.4 „die Erholung der Bevölkerung“. „Landschaftsbild und Agrarstruktur“ findet man sogar erst unter Punkt 7.9.

Es ist die Entfernung des Menschen aus einem Wald, den es in weiten Teilen ohne den Menschen gar nicht gäbe, da die norddeutsche Tiefebene der Ausläufer der asiatischen Steppe ist, in der im Urzustand Herden verschiedener Großtierarten dafür sorgen würden, dass es Grasland bleibt.

Man kann bestimmt einigen Menschen das Ganze als endlich erreichten Schutz des Waldes verkaufen, auch wenn weder die bäuerliche noch die bürgerliche Nutzung des Waldes einen Stellenwert erhalten und am Ende nur eine weitere Bürokratisierung und Verrechtlichung stattfindet, die nur dem Eigeninteresse der Bürokratie selbst dient.

Aber vielleicht steckt dahinter – hinter all dem Verordnungseifer und der vergötterten Ökologie – schlicht der Wunsch, einen weiteren Bezug der Menschen zu ihrer Heimat zu untergraben. Als wäre die unmittelbare sinnliche Erfahrung – alles, was mit Geruch, Klang, körperlicher Wahrnehmung zu tun hat – von Übel, weil der Mensch, in dessen Denken der Begriff einer Natur überhaupt erst entstanden ist, aus eben dieser Natur entfernt werden soll.

Die ersten Ansätze eines derartigen Denkens entsprangen dem Blick von Kolonialherren, denen die Gelegenheiten zur Großwildjagd wichtiger waren als die Entwicklungschancen der dort lebenden Menschen. Mehr noch: Es war schließlich immer klar, dass eben diese Entwicklung die Stellung des besagten Kolonialherrn gefährdet. Wie weit das, was als Natur begriffen wurde, Ergebnis historischer Abläufe ist, ist nie Teil dieser Sicht.

Dass beispielsweise im Amazonasgebiet nachgewiesenermaßen Hochkulturen existierten, ändert nichts an der Sicht auf diesen Wald als „ursprüngliche Natur“ und damit auch an der Vorstellung, den heute dort lebenden Menschen wäre am besten gedient, wenn sie in jenem vermeintlichen Naturzustand blieben, in den sie – vermutlich die aus Europa eingeschleppten – Infektionskatastrophen erst versetzt haben.

Nun, irgendwann schlägt eine solche Sichtweise auf die Länder zurück, von denen sie einst ihren Ausgang nahm. Das bürokratische Monstrum, das „die Klima- und Biodiversitätskrise … adressieren“ soll, macht nun aus beiden – den Waldbesitzern wie den Waldbesuchern gleichermaßen – Eingeborene, die sich gefälligst dem höheren Gut unterzuordnen haben. Wenn man die Entwicklung in anderen Bereichen der Landwirtschaft als Muster nimmt, endet das Ganze in einer massiven Besitzkonzentration, nämlich am Ende in den Händen von Investmentgesellschaften, verglichen mit denen selbst die Thurn und Taxis nur noch kleine Krauter sind. Man sollte schleunigst durch den Wald spazieren gehen, solange man es noch darf.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 25.2.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

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