Der namenlose Ich-Erzähler des dreihundert Seiten dicken Romans „Affentanz!“ möchte ein Prophet sein. Ein Künder der neuen Zeit, ein Künstler, der Ausgehen mit Aussage verschmilzt. Dieser Wunsch spricht aus jeder Seite des heiß ersehnten Prosaversuchs zu Berlins berühmtestem Club – dem Berghain. André Bergelt, Jahrgang 1970, Drehbuchautor, Regisseur und Film-Fahrer, Dozent, Art-Escort-Begleiter durchs Berliner Nachtleben und Türsteher daselbst – hat sich an die Verschriftlichung des Unsagbaren gewagt. „Wieso kann ich mich nicht an letzte Nacht erinnern?“ lautet der erste Satz auf dem Buchrücken. Ist es dem Autor dennoch gelungen, sich an Club-Nächte zu erinnern – und vor allem, ist ein relevantes Werk daraus entstanden?
Ja! Versuch geglückt! Knackig und rasant führt uns der Autor durch einige Monate des verstrahlten Lebens seines Protagonisten. Und wir möchten keinen Moment davon missen. Anfangs klappt es mit dem Sex und der Kunst nicht sonderlich, hier wird eine Zange benötigt, dort ein wenig Technik. Für den großen Auftritt als DJ im Zoo. Eine Handvoll Freunde kreisen um das Universum des Ichs, werden angepumpt, helfen, stören oder feiern sich gemeinsam ins Nirwana. Was am besten im Zoo alias Berghain gelingt. Wo viel Zeit auf diversen Toiletten verbracht wird.
„Meine Arme sind mit den Wänden der Toilette verwachsen… Der Boden unter meinen Füßen beginnt hin- und herzuschwanken. Die Fliesen lösen sich von den Wänden. Sie kreisen in elliptischen Bahnen um uns herum wie Satelliten um ihre Sonnen. Die Sonnen dehnen sich weiter und weiter aus. Sie rasen aufeinander zu. Grelle Blitze und Stoßwellen en masse. Milliardenfache Eruptionen…“
Tagsüber hangelt sich der Held durch etliche Engpässe und träumt vom großen Gig. Versucht sich am normalen Leben, arbeitet an Klang- und Bildinstallationen, besucht seine Eltern in Thüringen. Rechnet seinem semi-kriminellen Freund die Steuer aus oder gibt den Guide in Potsdams Schlössern.
Kursive Texteinschübe geben, Regieanweisungen gleich, Hinweise auf Zeit und Ort des Geschehens. Friedrichshain, Ring-Center 2. Ich bin an einen mobilen Gasgrill angeschlossen und versuche, dem Berliner Thüringer Bratwürste zu verkaufen, um so die Miete für die bei Micha ausgeliehende Technik zusammenzubekommen.“
Eine alte Frau ersteht Würste ohne Brötchen und überreicht ihm eine Kette mit Anhänger – welcher einen um sich selbst tanzenden Affe darstellt. Auf diese Weise beginnt der surreale Part des Romans. Der Affe kann anscheinend Ratschläge geben und Gestalt annehmen, doch das lasse man sich vom Autor selbst erzählen.
Stilistisch erweist sich André Bergelt als überraschend konventionell, seine vielen Dialoge entbehren beinah jeglichen Slangs und tauchen gern in philosophische Tiefen. Selbst auf der Couch vor den oberen Toiletten:
„Die Couch unter mir – ein überdimensional großer, beheizter Raumschiff-Sessel. Um mich herum sitzen und stehen Leute. Einige von ihnen scheinen sich über etwas Grundlegendes auseinanderzusetzen. „Kunst ist niemals nur Form“. „Das habe ich so nicht gesagt. Aber letztlich kommt es immer nur auf den Inhalt an, auf das, was du sagen willst.“ „Aber gab es das nicht schon alles? Ist nicht die Form die einzige Innovation und somit automatisch nicht nur Hülle, sondern auch Idee?“
Befremdet anfangs dieser rationale Tonfall, gerät er im Laufe der Lektüre doch allmählich zum Kontinuum in einer abdriftenden Handlung. Unser Held schlingert auf seinen Auftritt zu und verspricht sich um Kopf und Kragen – bis der Affe wieder tanzen will. Er versaut es sich mit Muse und Mäzen, feiert, was die Drogen hergeben und geht allen gehörig auf die Nerven. Filmriss und Exzess inklusive. Wenn er es allzu bunt treibt, wird unser Lieblingsverlierer vor versammeltem Partyvolk aus dem Zoo geworfen, natürlich von einem furchterregenden Wikinger. Aberwitzig und intensiv erzählt André Bergelt von Räuschen, die keine Angst kennen, von Nächten, die bevölkert werden von seltsamsten Gestalten. Als wäre sie den Fotografien seines Club-und Verlags-Kollegen Sven Marquardt entsprungen, beschreibt Bergelt die Märchenwelt des Zoo, wie sie uns aus dem Schwarz der Nacht herüberschillert.
Der Roman hält die Spannung mit einer ausgewogenen Mischung aus hochdeutsch-ernsthaften Dialogen, dramatischen Abstürzen und deftigen Sex-Einschüben bis zu seinem versöhnlichen Ende. Hochkomische und bitter traurige Szenen bilden emotionale Ausschläge und unterlaufen den mitunter alltäglichen Erzählton. Wir sind gespannt, wie André Bergelt sich fortschreiben wird aus den Clubcouchs des Zoo, geballtes Potential ist vorhanden!
Der experimentierfreudige Mitteldeutsche Verlag hat es gewagt, diesen Club-Roman in griffigem Taschbuchformat mit adäquater Covergestaltung und angenehmem Endpreis herauszubringen. Abseits der vielen verkauf-sicheren Romane, die große Verlage schubkarrenweise auf die Wühltische werfen, labt sich der Leser gerne an Mutigem.
Also, ran den Affentanz! Lassen wir dem Autor das letzte Wort, etwa siebzig Seiten vor dem Ende und nach einer ziemlich entfesselten Nacht im Club: „Die Menschen, die mich für alle Zeit bedingungslos lieben sollten, sie lachen mich aus… Ein junges Mädchen drängt sich nach vorn. Sie schiebt sich an mir vorbei, dreht den Knauf nach rechts um und drückt die Tür nach außen auf. Das gleißend helle Tageslicht ballert mir ins Gesicht. Halb blind taumle ich rückwärts. Die riesigen Hände des Wikingers fassen mich an den Schultern. Der Mann mit den geflochtenen Zöpfen schiebt mich wie einen Müllsack durch die offenstehende Tür nach draußen. Als mich die Strahlen der Sonne mit voller Wucht treffen, zerfließe ich wie ein Butterstück auf der Herdplatte.“
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André Bergelt, Affentanz! Sternstunden eines schlechten Verlieres, Roman, 300 Seiten, Mitteldeutscher Verlag Halle, Juli 2015, ISBN: 978-3954624874, Preis: 12,95 €