Propaganda bis zur Paranoia – Nato und EU im Anti-Russland-Wahn

Moskau
Blick über Dächer in Moskau. Quelle: Pixabay

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Obwohl in den vergangenen Jahren auch einige deutschsprachige Autoren etwas ganz anderes belegt haben (1), bleiben die meisten politischen Eliten in den Nato- und EU-Staaten dabei: Russland soll als bösartiger Aggressor dargestellt werden, dem die «freie Welt» entgegenzutreten habe.
Treffen diese «Eliten» auf Widerspruch wie der CDU-Politiker und EU-Parlamentarier Elmar Brok im Deutschlandfunk vom 19. März 2018, dann werden sie immer wieder grob, ausfällig und autoritär. Ihre Botschaften sind plump, und sie werden wissen, dass sie die Unwahrheit sagen, aber ihre derben Basta-Parolen sollen einschüchtern und andere Meinungen zum Schweigen bringen. Sekundiert werden sie von den meisten Leitmedien und von medienbeflissenen «Experten». Die Dauerpropaganda gegen Russland und vor allem gegen den soeben erst wiedergewählten Präsidenten Putin hat paranoide Züge angenommen. Aber diese Paranoia ist nicht ohne Zweck.

Was ist tatsächlich geschehen?

Deshalb tut es immer wieder not, an die tatsächlichen Linien der Entwicklung zu erinnern, auch wenn dies nicht mehr sein kann als ein ständiges sich wiederholen. Aber die Anstrengungen der Feinde Russlands, die Genese des Konfliktes verschweigen und vertuschen zu wollen, sind sehr groß. Geschichtliches Denken ist nicht erwünscht, emotional aufgeladene Blitzlichter sollen Verstand und Vernunft ausschalten.
Eigentlich müsste man weit ausholen – einige Autoren tun dies auch – und die britische und US-amerikanische Weltmachtstrategie der letzten 150 Jahre beleuchten. Hier soll aber nur an die Entwicklungslinien nach der Auflösung von Warschauer Pakt und Sowjetunion erinnert werden – und auch das nur mit wenigen Pinselstrichen.
Nach dem vermeintlichen Ende des Kalten Krieges keimte bei vielen Menschen die Hoffnung auf ein künftiges Zusammenleben in Frieden, Freiheit und Gleichberechtigung auf. Die im November 1990 verabschiedete Pariser Erklärung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE, heute OSZE), damals noch unter Beteiligung der Sowjetunion, brachte dies sehr gut zum Ausdruck.

Seit 1991 strebten die USA die einzige Weltmacht an

Doch schon mit dem Zweiten Golfkrieg 1991 zeigten die politische und die militärische Führung der USA, wonach sie tatsächlich strebten: nach einer «neuen Weltordnung» nach US-amerikanischen Vorstellungen und nach dem US-amerikanischen Zugriff auf die zentralen Rohstoffreserven dieser Welt. Die USA wollten nach 1991 der Hegemon sein, die einzige Weltmacht, und es ist kein Zufall, dass das 1999 in deutscher Sprache erschienene Buch des ehemaligen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzezinski genau diesen Titel trug: «Die einzige Weltmacht» – und als Untertitel hinzufügte: «Amerikas Strategie der Vorherrschaft». Dass der deutsche Titel so gewählt worden war, war kein Ausdruck von Kritik, sondern der Versuch einer treffgenauen Beschreibung im Westen akzeptierter US-amerikanischer Ambitionen. Die anderen sollten sich fügen. Dass sich dann auch noch das Projekt der US-amerikanischen Neokonservativen Ende der 90er Jahre «Project for a New American Century» nannte», passt genau in diese Linie.

Russland erlebte die schlimmste Phase seiner Geschichte

Das hat auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion betroffen, auch Russland. Die USA beanspruchten die riesigen Mengen russischer Rohstoffe, das Land wurde einer marktradikalen Schockstrategie ausgesetzt, US-amerikanische und andere westliche NGO und Medien hoben an, die öffentliche Meinung des Landes bestimmen zu wollen, gewalttätige islamistische Separatisten wurden unterstützt, und es gab sogar US-amerikanische Teilungspläne für das Land. Eines sollte auf jeden Fall verhindert werden, und dies entsprach angelsächsischen geostrategischen Hirngespinsten aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts: Es sollte mit allen Mitteln verhindert werden, dass auf dem eurasischen Kontinent (Europa und Asien) eine eigenständige Gegenmacht zu den USA (und seinen angelsächsischen Mitstreitern) entsteht, zum Beispiel in Form einer engen Zusammenarbeit anderer europäischer Staaten, allen voran Deutschlands und Frankreichs, mit Russland. Die russische Seite hatte schon unter dem sowjetischen Präsidenten Gorbatschow von einem «gemeinsamen europäischen Haus» gesprochen. Aber das sollte nun mit allen Mitteln verhindert werden.

Wendepunkt mit der ersten Präsidentschaft Wladimir Putins

Russland selbst musste einen sehr hohen Preis zahlen, die 90er-Jahre zählen zu den schlimmsten in der Geschichte des Landes. Dies änderte sich erst mit der Politik des neuen Präsidenten Wladimir Putin zu Beginn des neuen Jahrtausends. Dies wurde auch sehr schnell von US-amerikanischer Seite wahrgenommen. Schon zu Beginn des neuen Jahrhunderts wetterte Brzezinski in Artikeln und Interviews gegen den neuen russischen Präsidenten und dessen Politik, «erinnerte» Russland an die ihm zugedachte Rolle und warnte vor dem russischen Anspruch, als gleichberechtigte Macht akzeptiert werden zu wollen. In den baltischen Staaten traten neokonservative Politiker der Regierung Bush Junior auf und machten Stimmung gegen Russland. Schon zuvor waren die baltischen neben den anderen ehemaligen Staaten des Warschauer Paktes für Nato und EU verplant worden und wurden nun Schritt für Schritt «integriert». Die Nato-Grenze näherte sich Russland, und selbst in ehemaligen europäischen und asiatischen Teilrepubliken der Sowjetunion sollten von den USA geförderte «farbige Revolutionen» antirussischen Regimen an die Macht verhelfen.

Putins Münchner Rede 2007

Den unübersehbaren öffentlichen Wendepunkt in den Ost-West-Beziehungen nach 1990 markierte die Rede des russischen Präsidenten Putin vor der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007. Putin machte in aller Klarheit deutlich, dass Russland eine Gleichberechtigung in der Staatenwelt anstrebt, die Einhaltung von Uno-Charta und Völkerrecht fordert und nicht länger bereit ist, die sich um keinerlei Rechtsgrundsätze kümmernde Politik von USA und Nato zu akzeptieren. Pro Memoria: Die Nato hatte nach einem Jugoslawien zersetzenden Jahrzehnt 1999 völkerrechtswidrig gegen die verbliebene und mit Russland verbundene Bundesrepublik Jugoslawien Krieg geführt, und die USA haben im Kosovo einen riesigen Militärstützpunkt aufgebaut, der sich gegen Russland richtet: Camp Bondsteel. Nach Beginn des Nato-Krieges gegen Afghanistan im Jahr 2001, in dem Russland zuerst sogar seine Unterstützung angeboten hatte, wurde Russland mit afghanischem Rauschgift geflutet, im selben Jahr kündigten die USA den ABM-Vertrag, weil sie ihr Raketenabwehrsystem, das sich von Beginn an gegen russische Raketen richtete, im Osten Europas aufbauen wollten. Im selben Jahr verkündete die US-Regierung auch ihren Endloskrieg «gegen den Terrorismus» und gegen eine vermeintliche «Achse des Bösen». 2003 hatte eine «Koalition der Willigen» unter Führung der USA einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak begonnen, schon 2004 gab es einen ersten Putschversuch in der Ukraine («Orangene Revolution») … und so weiter und so fort.

Auch das Chaos im Nahen Osten ist Teil des Aufmarschplanes

Auch die Entwicklung im Nahen Osten hat etwas mit dem Verhältnis des Westens zu Russland zu tun. Aktham Suliman, dessen Buch «Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht» sehr lesenswert ist, geht in seinem Schlusskapitel auf die Frage nach dem Zweck des von den USA und ihren Verbündete angestifteten Chaos ein und schreibt interessanterweise, all dies habe vor allem einen Zweck: wichtiger Bestandteil eines «Dritten Weltkrieges» zu sein – gegen Russland.
USA, Nato und EU haben die Warnung des russischen Präsidenten aus dem Jahr 2007 nicht ernstgenommen. Im Gegenteil: USA, Nato und im Schlepptau die EU hielten an ihrem Ziel der Schwächung Russlands fest – trotz aller guten Geschäfte, die man selbstverständlich gerne machte. Aber auch das ist ja nichts Neues in der Weltgeschichte. Es folgten weitere Brandherde und weitere verbrannte Erde: Georgien, Libyen, Syrien, Ukraine … Kaum etwas stimmt von dem, was unsere politischen «Eliten» öffentlich zu diesen Ländern sagen. Immer geht es um etwas ganz anderes, und noch zeichnet sich keine Umkehr ab, im Gegenteil.

Wäre es nicht besser, die eigenen Probleme lösen, anstatt mit dem Feuer zu spielen?

Hochinteressant an der Entwicklung der vergangenen 25 Jahre ist, dass die Feinde Russlands aus einer Position zwar militärischer Stärke, aber auch wirtschaftlicher und sozialer Probleme und eines gesellschaftlich-kulturellen Zerfalls handeln. Die Liste, die aufzuzählen wäre, ist lang. Wäre es da nicht viel besser, alles dafür zu tun, dass es den eigenen Ländern endlich wieder besser geht – solide, ehrlich und nicht auf Kosten anderer –, anstatt mit dem Feuer zu spielen?

Anmerkungen:

(1) Zum Beispiel: Mathias Bröckers, Paul Schreyer. Wir sind die Guten. Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren, 2014; Ronald Thoden, Sabine Schiffer (Hg.). Ukraine im Visier. Russlands Nachbar als Zielscheibe geostrategischer Interessen, 2014; Gabriele Krone-Schmalz. Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens, 2015; Hannes Hofbauer. Feindbild Russland, Geschichte einer Dämonisierung, 2016; Willy Wimmer. Die Akte Moskau, 2016; Gabriele Krone-Schmalz. Eiszeit. Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist, 2017; und ganz neu im März erschienen: Jörg Kronauer. Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Russland, der Westen und der zweite Kalte Krieg, 2018.

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Karl-Jürgen Müller
Karl-Jürgen Müller ist Lehrer in Deutschland. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde. Er lebt in der Schweizerischen Eidgenossenschaft und schätzt die direkte Demokratie und politische Kultur in der Schweiz sehr.