Auch für seine Inszenierung von Heinrich von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ am Deutschen Theater Berlin hat Andreas Kriegenburg eine sehenswerte Szenerie kreiert: Der gesamte Bühnenraum ist flammend rot, nur auf der gewölbten Rückwand glänzt golden der preußische Adler. Der Fußboden ist von Wasser bedeckt.
Die Menschen, die dort umgehen, sind gleichermaßen rot gekleidet. Kostümbildnerin Andrea Schraad hat wunderschöne historische Fantasiekostüme geschaffen: rote Soldatenmäntel, darunter rote Hosen und Hemden und hohe rote Stiefel für die Männer, die Kurfürstin erscheint sehr elegant in einem roten, schulterfreien langen Kleid, und die junge Natalie ist tief dekolletiert und trägt einen schwingenden kurzen Rock.
Die Gesichter der AkteurInnen sind weiß geschminkt, und ihre Haare, wellig gestylt und weiß gefärbt, wirken wie gepuderte Perücken.
Es ist eine Schar von Geistern, die, in der Hölle gefangen, verdammt ist, die tragische Geschichte vom Prinzen von Homburg wieder und wieder zu gestalten.
Andreas Kriegenburg hat das Gespentische in Kleists Schauspiel fein herausgearbeitet und bringt, ohne das Stück gewaltsam zu aktualisieren, die widersprüchliche Botschaft des Dichters, der am soldatischen Drill verzweifelte und doch unübersehbar den Krieg verherrlichte, zum Ausdruck und dokumentiert den Irrsinn von Krieg und bedingungslosem Gehorsam.
Zu erleben ist eine kunstvoll in Szene gesetzte Spukgeschichte, wie sie zur Warnung der Nachgeborenen erzählt werden muss.
Lediglich sechs Personen, zwei Frauen und vier Männer, sind auf der Bühne zu sehen. Das Personal ist beschränkt auf die unmittelbar von der Geschichte Betroffenen und verantwortlich in ihr Handelnden. Die Texte, von Andreas Kriegenburg und Dramaturgin Juliane Koepp behutsam eingestrichen, sind auf diese sechs Agierenden verteilt.
So erscheint die Kurfürstin selbst als Augenzeugin des vermeintlichen Todes ihres Mannes in der Schlacht. Judith Hofmann liefert mit wunderschöner, klangvoller Stimme einen atemberaubend spannenden Kriegsbericht, dem später der von Bernd Stempel als Obrist Kottwitz ebenso packend und ergreifend vorgetragene Rapport über das glückliche Überleben des Kurfürsten folgt.
Das Ensemble agiert mit grandioser Konzentration und sehr dichtem, elektrisierendem Zusammenspiel. Neben dem unmittelbaren Erleben und Mitleiden kommt das lähmende Wissen um diese Geschichte, die längst erlebt wurde und unverändert bestehen bleiben muss, zum Ausdruck.
Manchmal versuchen die Figuren auszubrechen, tauchen ins Wasser ein oder fliehen an den Rand der Bühne mit kleinen hektischen Bewegungen, bevor sie wieder zurückkehren und formvollendet wie Puppen ihre vorgegebenen Rollen weiter spielen.
Jörg Pose als Kurfürst von Brandenburg ist ein Zerrissener, der gequält seinen Pflichten gehorcht. Er wirkt erleichtert, als er Natalie seinen Mantel umhängt und damit ihr die Verantwortung überträgt, die er doch wieder zurücknehmen muss und weiter tragen bis zum Ende, wenn er die Gnade walten lässt, durch die der Prinz nicht befreit, sondern zum endgültig Gefangenen werden soll.
Kottwitz, der alte Haudegen, zeigt menschliche Wärme in Bernd Stempels Gestaltung und offenbart seine Zweifel am Kriegshandwerk, wenn er einen Zettel aus der Tasche zieht und ein Briefzitat des am Leben verzweifelnden Heinrich von Kleist verliest.
Nicht raue Krieger sind in dieser Inszenierung zu sehen, sondern, trotz ihrer zwanghaften Pflichttreue, schwärmerische idealistische Männer.
So Johannes Schäfer als Graf Hohenzollern, der den Prinzen immer wieder dem Verderben zu entreißen versucht, und der sich schließlich mit entblößter Brust vor dem Kurfürsten präsentiert, um das Leben des Freundes zu retten.
Die Kurfürstin (Judith Hofmann) ist ganz große Dame mit mütterlichem Herzen und doch stark und diszipliniert genug, um auf ihren wohlgeformten Schultern die Last schwerer Verantwortung zu tragen.
Barbara Heynen als Prinzessin Natalie von Oranien entwickelt sich vom schüchternen, stotternden Mädchen zur selbstbewusst agierenden Frau, die mit hineingezogen wird in die verhängnisvollen Freiheitsschwärmereien des Prinzen.
Ole Lagerpusch ist ein hinreißender Prinz von Homburg, ein Träumer und zugleich ein brillanter Entertainer, der manchmal an Michael Jackson denken lässt.
Dieser Prinz ist ein ewig Verliebter. Er ist verliebt in den Krieg, in dem er sich strahlenden Ruhm zu erkämpfen hofft, und seine Verliebtheit in Natalie steigert seine Tollkühnheit unermesslich.
Den Tod auf dem Schlachtfeld fürchtet der Prinz nicht, weil er an die Möglichkeit, im Krieg zu sterben, gar nicht denkt.
Als er wegen seiner Befehlsmissachtung hingerichtet werden soll, muss sich der Prinz jedoch mit seinem Tod auseinandersetzen. Wie ein Schwerkranker kämpft er gegen sein Schicksal, leugnet es ab, und als das nichts nützt, bricht er zusammen.
Aber auch als hemmungslos schluchzende, winselnde Kreatur inszeniert der Prinz noch sich selbst. Er präsentiert sich in seiner ganzen Erbärmlichkeit, um sein Leben zu erhalten. Erst als er, um seine Freiheit zu erlangen, das über ihn verhängte Urteil ungerecht nennen soll, hört der Prinz auf zu spielen, konzentriert sich ganz auf sich, ohne die Reaktionen der Anderen auch nur wahrzunehmen. Nachdem er ganz ruhig sein Todesurteil akzeptiert hat, bricht dann aber wieder die Schwärmerei aus ihm heraus. Der Prinz von Homburg verliebt sich in den Tod.
Alle Mitwirkenden in dieser Inszenierung sprechen die schwierigen, verschlungenen Texte von Heinrich von Kleist mit großer Gewandtheit und Klugheit.
Für den Titelhelden hat Kleist die schönsten Verse erschaffen, und Ole Lagerpusch weiß sie mit wundervoller poetischer Innigkeit zu gestalten.
Der Schlussmonolog des Prinzen von Homburg „Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein! (…)“ klingt so jubelnd und melancholisch zugleich, ganz echt empfunden ohne Sentimentalität, und ist eine wahrhaft zu Herzen gehende Leistung von Ole Lagerpusch.
Nach diesem erneuten schwärmerischen Höhenflug kann der Prinz nicht mehr zum Rädchen in der Kriegsmaschinerie werden. Die Binde wird ihm von den Augen genommen, in die Realität findet er jedoch nicht mehr zurück.
Am Schluss haben der Prinz und Natalie sich die Schminke aus Gesichtern und Haaren gewaschen und stehen als Menschen neben den Marionetten des Staates.
Der Kriegsruf „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ ertönt nicht als vielstimmiger Männerchor, sondern der Prinz allein skandiert den Schlachtruf verzweifelt und verständnislos.
Der Hölle entfliehen kann der Prinz von Homburg nur, indem er den Verstand verliert.
Das Premierenpublikum, eineinhalb Stunden mitgefangen , dankte mit großem Applaus und vielen Bravorufen.
„Prinz Friedrich von Homburg“ von Heinrich von Kleist hatte am 25.09. Premiere am Deutschen Theater Berlin. Weitere Vorstellungen: 01., 02., 08., 21. und 27.10.2009.