Das Bezirksamt sollte ersucht werden, sich mit der EWG in diesem Sinne auseinanderzusetzen. Diese Aufgabe fiel dem Bezirksstadtrat für Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung, Dr. Michail Nelken, zu und schien damit in guten Händen. Im Ausschuss für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung der BVV schlossen sich die SPD und die Grünen dem Antrag an. Die Mieter in der Masurenstraße waren hoffnungsfroh.
Die Genossen im Bezirksparlament hatten jedoch die Rechnung ohne ihre Genossen »an der Basis« gemacht: die Basisorganisation Tiroler Viertel der LINKEN stellte – ganz im Stile einer Betriebsparteiorganisation früherer Zeiten – empört fest, dass die Vorwürfe nicht wahr seien. Sie kennten nur zufriedene Mieter der Genossenschaft.
Da interessierte sie auch nicht, dass der Modernisierungszuschlag in der EWG seit der Modernisierung in der Tiroler Straße im Jahre 2004 um zwei Drittel gestiegen ist – was durchaus die Überlegung nahe legte, innerhalb der Genossenschaft einen solidarischen Ausgleich zu schaffen und Härtefallregelungen wie in den städtischen Wohnungsgesellschaften zu treffen.
Doch die Basisgenossen beantragten beim Bezirksvorstand ihrer Partei, den Antrag an die BVV zurückzuziehen. Und, geübt im Gebrauch der Moralkeule in der SED – »unsere Werktätigen wollen das nicht!« – drohten sie mit dem Verlust von Wählerstimmen! Das steht für sich, das muss man nicht begründen.
Tieferschrocken zog der Fraktionsvorstand der LINKEN seinen Antrag zurück – sehr zur Freude der Bezirksverordneten von CDU und FDP, die der Konkurrenz jede Schlappe gönnten.
Geübt in Strategie und Taktik spielte die BO ihren Antrag an den Bezirksvorstand zeitgleich dem Vorstand der Genossenschaft zu, der in der Vertreterversammlung am 15. Juni einem vermeintlichen »Verräter in den eigenen Reihen« mit dem Ausschluss aus der Genossenschaft drohte. Und den unbotmäßigen Mietern in der Masurenstraße wurde zur Strafe jeder Wunsch auf Härtefallregelung oder auf eine Kappung des Modernisierungszuschlags abgelehnt. Soweit der Verlauf nach den Regeln der politischen Kunst.
Nun war die Probe aufs Exempel zu machen. Nachdem der BVV-Antrag zurückgezogen war, hatten ja die »empörten« Wähler des Tiroler Viertels keinen Grund mehr, mit der LINKEN unzufrieden zu sein. Die enttäuschten Wähler in der Masurenstraße – nicht mehr als 80 Erwachsene – konnten ihr die Stimme entziehen, aber das war, soweit sie Wähler der LINKEN waren, ein verschwindend kleiner Teil bei insgesamt 4 700 Wählern im Einzugsbereich der BO Tiroler Viertel.
Dennoch kam es anders. In den drei Stimmbezirken, in denen etwa 1 300 Mieter der EWG wohnen, brach die LINKE ein, im Stimmbezirk 501 von 32,5 auf 28,1 Prozent, im Stimmbezirk 502 von 25,0 auf 21,4 Prozent, und im Stimmbezirk 503 stürzte sie gar von 27,1 auf 19,7 Prozent ab. Von 596 Stimmen im Jahre 2006 gingen ihr 84 verloren – 14 Prozent. Die Wahlverluste hier waren größer als im Berliner Durchschnitt (alles nach bereinigten Strukturdaten der Landeswahlleiterin für die Wahlen 2006 und 2011). Lag das an dem vergeigten Versuch der Fraktion in der BVV, das Wahlprogramm ernst zu nehmen? Es gab wohl weit gewichtigere Gründe, der Partei das Vertrauen zu entziehen. Aber sicherlich gehört dazu, dass die LINKE nichts Ernstzunehmendes unternahm, die Mieter vor der Mietpreistreiberei zu schützen. Und wo sie schon mal den Versuch machte – siehe oben. Die Posse war perfekt. Den Mietern der EWG war nicht geholfen, aber der LINKEN auch nicht. Sie hatte sich nur dem Gespött preisgegeben.
Die Parteivorsitzende der LINKEN, Gesine Lötzsch, hat jüngst in einer Klausur der Parteiführung in Elgersburg die Parole ausgegeben, Genossenschaften zu gründen, in denen die Genossen über die Miete selbst entscheiden. »Ein Mandat in einer Genossenschaft kann für unsere Partei genau so wichtig sein wie ein Mandat im Bundestag«, so Gesine Lötzsch. Die Initiative »Genossenschaft von unten«, eine 2008 gegründete Initiative von Mitgliedern Berliner Wohnungsgenossenschaften, pflichtet dem bei. Das ist die erste Politikerin oder die erste Partei, die den Kern der Sache ansatzweise trifft, meint man dort. Wo die Genossen selbst entscheiden, wäre das echte genossenschaftliche Demokratie.
Dazu müssen aber Voraussetzungen geschaffen werden. Solange der Paragraph 27 des Genossenschaftsgesetzes bestimmt, dass der Vorstand die Genossenschaft in eigener Verantwortung leitet, wird es keine genossenschaftliche Demokratie geben. Die Mitglieder haben da nichts zu entscheiden. Die Initiative »Genossenschaft von unten« fordert deshalb eine Reform des Genossenschaftsgesetzes, deren wichtigster Punkt die Wiederherstellung der 1973 aus dem Gesetz gestrichenen Regel ist, wonach der Vorstand der Genossenschaft an Weisungen der General- oder Vertreterversammlung gebunden ist. Es müsse alles geändert werden, was die Genossen an Entscheidungen in eigener Sache hindert, einschließlich aller Klauseln zur Gängelung und zur Disziplinierung der Mitglieder. Das betrifft auch die Mustersatzung des Gesamtverbands der Wohnungswirtschaft für Wohnungsgenossenschaften. Dann wären auch aus der Posse in Pankow die richtigen Schlüsse gezogen.