Parasit Pentagon – US-Generalstabschef Mullen bezeichnet Staatsverschuldung als größtes Sicherheitsrisiko. Militär verschlingt pro Jahr fast 1000 Milliarden Dollar

Insgesamt erreichten die Militärausgaben für das Haushaltsjahr 2008/2009 fast das Volumen von 1000 Milliarden Dollar. Dabei machte der Etat des Verteidigungsministeriums (Pentagon) etwa 650 Milliarden Dollar aus. Neben diesem regulären Haushaltsposten des Pentagon müssen noch die in einem Sonderhaushalt ausgeführten Kriegskosten für Afghanistan und Irak hinzugezählt werden, ebenso wie die in anderen Haushalten versteckten Militärausgaben (z.B. die für Atomwaffen im US-Energieministerium). Das Haushaltsdefizit der Obama-Administration belief sich für den gleichen Zeitraum auf 1500 Milliarden Dollar. Das sind etwa elf Prozent des ohnehin großzügig berechneten US-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch für das laufende Fiskaljahr 2009/2010 wird ein Defizit in dieser Größenordnung erwartet, das bei einem erneuten Abrutschen der US-Wirtschaft in die Rezession weiter auszuufern droht. Damit würden nach Einschätzung der Mehrheit der Ökonomen die Kreditwürdigkeit der USA im Ausland und der Dollar als Weltreservewährung endgültig in Frage gestellt.

Um die Löcher im Haushalt etwas zu stopfen, will Präsident Barack Obama die von seinem Vorgänger George W. Bush eingeführten und Ende dieses Jahres auslaufenden Steuervergünstigungen für Reiche nicht verlängern. Deshalb wird er sowohl von der Opposition als auch aus den eigenen Reihen heftig kritisiert. Erwartet wird auch, daß die oppositionellen Republikaner bei den Wahlen im Herbst wieder in beiden Häusern des US-Kongresses die Mehrheit erreichen werden. Damit sieht es schlecht um jedwede Steuer ­erhöhungspläne der Administration aus. Zur Korrektur des gigantischen Haushaltsdefizits blieben nur noch drastische Ausgabenkürzungen. Die großen Haushaltsposten wie Social Security, Medicare und Medicaid (Sozialversicherung) sind jedoch gesetzlich geregelt. Kürzungen sind ohne Gesetzes- oder gar Verfassungsänderungen unmöglich.

Der einzige bedeutende Posten, bei dem die Administration ohne legislative Gewaltakte und langwierige Streitereien im Kongreß Milliarden streichen könnte, sind die Militärausgaben. Allein der Anteil des reinen Pentagon-Budget am US-BIP hat sich seit dem 11. September 2001 mehr als verdoppelt. Hier gäbe es also für Obama erheblichen Spielraum für Kürzungen, die auch von der großen Mehrheit seiner Wähler und Sympathisanten sehnsüchtig erwartet werden. Das Militär ist für alle sichtbar auch äußerlich zu einem Staat im Staat geworden. Dies ist besonders evident in den US-Garnisonsstädten, wo es an nichts mangelt, während anderswo die Auswirkungen der sozialen Verwerfungen ins Auge springen. Unter Kritikern kursiert bereits das Bild vom Pentagon als einem fetten, gefräßigen Parasiten, der seinem absterbenden Opfer, der US-Wirtschaft, den letzten Tropfen Blut aussaugt.

Viel diskutiert wird derzeit in den USA die umfassende, empirische Untersuchung der beiden Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff. Diese Studien haben gezeigt, daß das Wachstum einer Volkswirtschaft in dem Maße reduziert wird, wie der Anteil der Staatsschulden am BIP steigt*. Das geht den Wissenschaftlern zufolge bis zu einem Punkt, von dem ab eine Selbstkorrektur unmöglich wird. Der liegt nach Reinhart/Rogoff bei Staatsschulden zu BIP bei einem Wert von 0,9 (1 wäre Gleichstand) und im Verhältnis Auslandsschulden zu BIP bei 0,6. Beiden Punkten nähert sich Washington in rasantem Tempo. Vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit in den USA – offiziell knapp zehn Prozent – kommt erschwerend hinzu, daß andere, wie beispielsweise von renommierten Instituten Global Insight durchgeführte Untersuchungen belegen, daß mit einer bestimmten Summe Geldes bedeutend mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, wenn die Regierung diese Mittel für zivile statt für militärische Zwecke ausgibt.

Debatten dieser Art sind es, die das Pentagon alarmiert haben und nicht zuletzt Mullen als Wortführer der Joint Chiefs of Staff (www.jcs.mil/) auf den Plan riefen. »Die Ressourcen, die unser Militär benutzt, stehen in direkter Beziehung zur Gesundheit unserer Volkswirtschaft«, warnte der Spitzenmilitär in Detroit, um sich dann darüber zu beklagen, daß allein die Zinsen auf die US-Staatsschuld (2008 waren es 5,8 Billionen Dollar, allein im Bund)im nächsten Haushaltsjahr 600 Milliarden Dollar betragen werden. »Das ist soviel wie unser Verteidigungshaushalt in einem Jahr.« Um die steigenden künftigen Militärausgaben zu finanzieren, forderte Mullen deshalb von den anwesenden Unternehmern ein starkes wirtschaftliches Wachstum.

Vielleicht stellt sich das Problem auch umgekehrt, sind die immer höheren Aufwendungen für Waffensysteme, Personal und das Aufrechterhalten einer weltweiten Logistik der Ruin der Wirtschaft? Es waren die gigantischen Militärausgaben, die die USA zu einem Imperium haben wachsen lassen. Nun scheint es, daß die immensen Kosten den Fortbestand des Imperiums gefährden.

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Carmen Reinhart/Kenneth Rogoff: Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte Finanzkrisen. FinanzBuch Verlag

Dieser Artikel von Rainer Rupp wurde am 01.09.2010 in der Tageszeitung "junge Welt" auf Seite 9 erstveröffentlicht.

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