Berlin, Deutschland (Weltexpress). Weihnachtsstimmung? Kapitän Bernd Blanck blickt bei dieser Frage erstaunt von seinen Papieren auf. „Die kommt während der Arbeit gar nicht erst auf“, schüttelt er den Kopf, „weil wir auf See den ganzen Rummel nicht mitkriegen.“ Wenn man bedenkt, dass bald schon Heiligabend ist…“, sinniert Erster Steuermann Marco Heynen beim Kaffeekochen auf der Brücke des Stralsunder Küstenfrachters „Fredo“. Wie denn früher Weihnachten auf See gefeiert wurde, möchte der Jungnautiker wissen. „Je nachdem“, beginnt Blanck seine Erzählung, „das kam immer auf den Alten an, wie er feiern wollte. Mal mit, mal ohne Weihnachtsbaum, mal ein echter, mal einer aus Plaste.“ Das Wetter habe auch immer eine Rolle gespielt. „Bei schwerer See fiel Weihnachten ins Wasser“, erinnert sich der Kapitän. Heute feiern die internationalen Crews nach Feierabend das Fest jeweils auf ihre Weise: bunt, laut und vor allem fröhlich, erfährt man weiter.
Vieh muss gefüttert werden
1575 Tonnen Rapsschrot aus der Rostocker Ölmühle hat MS „Fredo“ diesmal im Laderaum. Das Bio-Abfallprodukt ist als Futtermittelzusatz sehr begehrt. „Für uns“, freut sich Blanck, „ist das braunes Gold und eine sichere Bank.“ Bei vier Reisen pro Monat macht das rund 50.000 Tonnen im Jahr. Dafür wären 2000 abgas- und CO2-intensive LKWs notwendig.
Beginn der letzten Reise des Jahres 2021. Nach drei Tagen im Seehafen schrumpft die markante Silhouette von Warnemünde im Kielwasser des bewegten Seekanals. Die Ostsee gibt sich nach dem letzten Sturm ruppig, als sich der 83-Meter-Frachter auf den Weg nach Oldenburg in Oldenburg macht, wo am Montag früh gelöscht werden soll. „Vieh muss rund um die Uhr gefüttert werden“, erklärt Bernd Blanck die Dringlichkeit. 241 Seemeilen sind zu dampfen, die im günstigsten Fall in rund 31 Stunden geschafft werden können. Das Risiko – Nord-Ostsee-Kanal, Wind, Wellen, Strom, Tide – fährt dabei immer mit.
Blick in die Weihnachtshäuser
Captains Dinner zum 4. Advent in der kleinen Messe. Don, einer der drei freundlichen philippinischen Matrosen, hat das Abendbrot vorbereitet: cold cut oder kalte Küche mit allerlei Aufschnitt. Alkohol ist, selbst am 4. Advendtsabend – aus Sicherheitsgründen – verpönt. Heiligabend gibt´s traditionell Kartoffelsalat mit Würstchen, an den Feiertagen ganz sonntagsdeutsch Rouladen mit Rotkohl und Klößen. „Das hat unser Bootsmann Willem nach Kapitänsanweisung gelernt“, grinst Blanck. Bier werde dazu genehmigt, da „Fredo“ dann nicht fährt.
Der 700-PS-Diesel grummelt schlaffördernd und sorgt für rund neun Knoten „Tempo“. Mehr geht im Fehmarnbelt wegen zwei Knoten Strom von vorn ohnehin nicht. „Fredo“ nähert sich bei Laboe, dessen Ehrenmal herübergrüßt, der schleswig-holsteinischen Küste. So lange fährt Erster Steuermann Marco Heynen den Küstenfrachter, während der Kapitän vor der langen Kanal-Nacht ruht. „´Fredo` würde wohl auch seinen Weg allein finden“, taucht er lachend ab in seine Kammer.
Die Lotsenübernahme bei Kiel Leuchtfeuer entfällt, denn die Kapitäns- und Eigner-Brüder Bernd und Willem Blanck haben sich nach vielen Nord-Ostsee-Kanal-Passagen – insgesamt über 2000 pro Kapitän – und Prüfung – frei gefahren.
Die Holtenauer Schleuse zeigt wie so oft rot. Warten auf Reede ist angesagt. Aber dann schiebt der Konvoi endlich los – rund 98 Kilometer mit Westkurs, mitten durch nachtdunkle Wälder, Felder, Wiesen und Weiden. Diese „Hochsee-Autobahn zwischen Ost- und Nordsee“ nennen Seeleute nur den „Graben“. Die deutsche Flagge am Heck wie bei „Fredo“, übrigens dem einzigen Frachter aus Meck-Pomm mit Schwarz-Rot-Gold, sieht man hier selten. Mehrfach muss in den Weichen gestoppt werden, um tief gehenden und breiteren Schiffen auf Gegenkurs Vorrang zu geben. Dabei gucken die Männer auf der Brücke schon mal ein bisschen sehnsüchtig in die weihnachtlich milde beleuchteten Häuser hinter der Kanalböschung.
Nach rund neun Stunden machen die drei Matrosen in der Schleuse Brunsbüttel fest. „Die Tide ist mit uns“, freut sich Bernd. Wenig später dreht „Fredo“ in die Elbe und schießt mit 13,6 Knoten geradezu pfeilschnell dahin. Marco Heynen sitzt wieder am Ruder und ist begeistert vom Tempo, während Bernd Blanck seine verdiente Ruhepause bei Tiefschlaf genießt.
Gemütlicher Morgenschnack
Die Kugelbake, das schwarze hölzerne Wahrzeichen Cuxhavens, bleibt an Backbord zurück. Bei einem Pott Kaffee gibt´s einen gemütlichen Morgenschnack – mit Weihnachtsgebäck aus dem Backofen von Blancks Frau – auf der Brücke, dem Kommunikationszentrum des Schiffes. „Fredo“ biegt nach zwei Stunden vor Elbe I nach Backbord in die Abkürzung Alte Weser ein. Der Nordsee-Schwell des Starkwindes vom Vortag klingt hier ganz ab. Bis nach Helgoland reicht die 20-Seemeilen-Sicht, voraus wabern unfreundliche Nebelbänke. Querab vom Containerterminal Bremerhaven fühlt man sich mit „Fredo“ neben den hoch aufragenden 400-Meter-Containerschiffs-Riesen ganz klein. Irgendwann taucht die Kirchturmspitze von Elsfleth an Steuerbord auf. FREDO dreht jetzt von der Weser in die kleine Hunte ein. Zwei Zollbeamte kommen zum Einklarieren der Ladung an Bord.
Weihnachtsbaum im Visier
Die Eisenbahn- und Straßenbrücken signalisieren über Funk freie Fahrt. „Dann schaffen wir´s ja heute noch“, freuen sich die beiden Nautiker – mit unweihnachtlichem Güllegeruch in der Nase. Düngende Bauern auf den Weiden links und rechts sorgten dafür. „Das ist wie Seefahrt durch den Bauernhof“, lacht Bernd, „aber die da drüben sind ja irgendwie auch unsere Futter-Kunden“.Ein knappes Drehmanöver im Dunkeln auf dem Teller bei maximal null Meter Uferabstand und „Fredo“ macht nach 31 Stunden vor dem Oldenburger Agravis-Großsilo fest. „Wenn du das hier jede Woche machst“, meint Bernd gelassen, „ist´s ein Kinderspiel“. Rückwärts geht es an den Stau, „nicht i n den Stau“, schiebt er nach, „so heißt nämlich die Straße am Kai. Das macht uns kein Auto nach“.
Bernd Blanck hat sich mit seinem Kollegen vom Binnenfrachter „Oldenburg“, der hinter „Fredo“ liegt, verabredet. Steak essen mit 2 G – der Weihnachtsmarkt fällt coronabedingt aus – steht auf ihrem Programm. „Vielleicht find ich auch einen schöne Fichte für unsere Messe“, ist der stets gut aufgelegte Kapitän optimistisch, „das ist bei uns so Tradition.“
Infos:
MS FREDO: Bauwerft: Schiffswerft Hugo Peters, Wewelsfleth/Stör; Baujahr: 2/1985; Bau-Nr.: 607; Flagge: Deutschland; Taufname: „Premiere“ (bis 2002), danach „Montis , ab 1. Mai 2010 FREDO (Zusammensetzung aus den Heimatorten der Eigner Willem (Freiburg/Unterelbe) und Bernd Blanck (Dornbusch/Unterelbe); Tel.: 0171 2111839 (W. Blanck); E-Mail: fredo@gmx.info.
Abmessungen: Länge: 82,45 m, Breite: 11,33 m, Tiefgang (max.): 3,43 (Typ Saima/Vänern-max, da der Frachter früher jahrelang zu den finnischen Seen unterwegs war); 1 Luke (3105 Kubikm. Schüttgut); eingerichtet für Container-Transport: 46 TEU, verstärkt für Schwergutladung; BRZ: 1649, Tragfähigkeit: 1829 tdw, Ladetonnen: 1700 Tonnen; Displacement (Ladetonnen und 865 t Schiffsgewicht): 2694 t; Maschine: MWM, Typ TBD 440-6K, 441 kW (700 PS), Geschwindigkeit (max.): 10,6 kn; GL-Klasse: GL+100 A4 MEG; Crew (max.): 7; Passagiere: 1 Einzelkammer ( Bad/WC/Dusche gemeins. mit 1. Offizier), breite Koje, Schrank, Sitzecke, Tisch, Stuhl, Schubfächer, Sat.-TV, Waschmaschine/Trockner können problemlos benutzt werden, Preis (inkl. Vollpension): 60 Euro/Tag (Info/Buchung: fredo@gmx.info; Kapitäne Bernd + Willem Blanck: 01712111839); Brücke und Maschinenraum stehen dem Gast jederzeit offen.
Tipp: FREDO bietet sehr reizvolle Reisen zwischen großen, kleinen und kleinsten Nord-Ostsee-Häfen, -Flüssen, -Kanälen und -Seen.