Und das ist auch der gemeinsame Nenner, der beide verbindet, aber so oberflächlich bleibt es nicht. Als nämlich der Verlagsleiter des Hoffmann und Campe Verlags, Günter Berg, die Eingeladenen zur Preisübergabe und dem Buchmessenempfang des Verlages in die Alte Oper begrüßte, konnte er sicher sein, daß für seine Gäste Julius Campe ein Begriff war, den später Elke Heidenreich in ihrer Dankesrede für die Anwesenden vertiefte, denn das ist auch so eine schöne Angewohnheit an einem Namenspreis, daß man sich mit dem Träger als ausgelobter Kandidat einfach beschäftigen muß und so seinen Ruhm weiterträgt.
Also, Julius Campe gründet nicht den Hoffmann und Campe Verlag in Hamburg, sondern übernahm ihn 1823, wobei seine Familie als Verlegerdynastie gilt, denn sein Onkel Joachim Heinrich Campe hatte den Namen Campe als Erzieher der Humboldtsöhne erst einmal in der Welt bekanntgemacht, zudem Campe die Zeit der Aufklärung auch für diese nutzte. Im Verlag spielte ein gewisser Hoffmann eine Rolle, der mit dem Bücherverlegen angefangen hatte, dessen Schwiegersohn Friedrich Campe, der mit seinem Bruder eine Buchhandlung in Hamburg führte, in den Verlag eintrat und so seit spätestens 1812 den Verlag Hoffmann & Campe als Institution festigte, woran sich Julius ab 1818 dann beteiligte und den Verlag entscheidend prägte.
Dabei spielt der Name Heinrich Heine eine besondere Rolle und wenn man heute weiß, daß Wolf Biermann bei Hoffmann & Campe verlegt, so glaubt man das gerne, daß es die Strahlkraft Heines ist, der bestimmte Poeten und Schriftsteller anzieht. Doch Julius Campe gab nicht nur Heine eine Verlagsheimat, sondern konnte das Publizieren auch anderen möglich machen und wurde tatsächlich das Zentrum der Kritik in der Ära Metternich, was einmal dazu führte, daß 1841 die gesamte Jahresproduktion des Verlags in Preußen verboten wurde. Aber Julius Campe wußte, daß Nachgeben schwächt und gab im selben Jahr 1841 das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben heraus, was nur möglich war, weil er sehr geschickt, ja in bestem Sinne schlitzohrig mit den Zensurbestimmungen und noch geschickter mit den Zensoren umging. Aber Julius Campe verlegte auch den heute nur noch Literaturstudenten bekannte Karl Immermann und Ernst Raupach. Auch die sehr bekannten Ludwig Börne, Friedrich Hebbel und Karl Gutzkow fanden in ihm ihren Verleger.
Schon neunmal hat es seit 2002 die nach Julius Campe benannte Preisvergabe gegeben und als der Preis 2002 mit Martin Walser anfing, hat er daraufhin mit Joachim Kaiser im Jahr 2004 den Beweis erbracht, daß die Preisträger das geschriebene Wort nur als kleinsten gemeinsamen Nenner haben müssen, wofür auch Jan Philipp Reemtsma im Jahr 2005 und Michael Naumann im Folgejahr Beispiele sind. Nun also 2010 die Schriftstellerin, Journalistin, Kritikerin, Musik- und Katzenliebhaberin Elke Heidenreich.
Dazu heißt es in der Auslobung: „Elke Heidenreich vermittelt auf unnachahmliche Weise und auf allen Kanälen die Botschaft ’Lesen macht Spaß“`. Mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Liebe zur Literatur, ihrer Natürlichkeit, Geradlinigkeit und Professionalität erreicht sie die Vielleser und Buchinteressierten auf der Suche nach neuer Leseinspiration und verführt jene, denen Bücher eher fern sind, zum Lesen. Für Autoren und Verlage sind ihr unermüdliches Engagement und ihr Beharren auf der Wirkungsmächtigkeit der Literatur nicht genug zu rühmen.“
Günter Berg vermittelte in seiner Ansprache auch den Lebensweg der Ausgezeichneten, was von ihr genau verfolgt und vertieft wurde. „Glaubwürdigkeit“ war dann ein Begriff, auf den sich beide, Verleger und Autorin gerne zur Kennzeichnung der Julius-Campe-Preisträgerin einigten. Überhaupt war das kein akademisches Gerede, sondern mitten aus dem Leben, was Elke Heidenreich mitzuteilen hatte, wobei die große Anzahl von Freunden und freundlichen Worten ihr sichtlich gut taten. Gekommen war auch Freundin Inge Feltrinelli, nein nicht mehr jung, was man als Witwe des 1972 im Linkenklassenkampf umgekommenen italienischen Verlegers und Revolutionärs Giangiacomo Feltrinelli auch nicht sein kann, aber putzmunter und sich in die Rede einmischend.
Richtig war es, sowohl bei der Preislobrede wie auch der Dankesantwort auf zwei Dinge einzugehen, die eine Ursache haben, aber unterschiedliche Adressaten. Es geht um die Ablehnung des Preises, den Marcel Reich-Ranicki im Jahr 2008 als Ehrenpreis des Deutschen Fernsehpreises bekommen sollte und die Ablehnung mit dem niedrigen Niveau des Fernsehens und dessen Literaturferne begründet hatte. In dem öffentlichen Hin und Her hatte Elke Heidenreich, die damals noch die ZDF-Sendung „Lesen“, die einflußreichste Fernseh-Literatursendung leitete, in eindeutigen Worten zu dem, was einen im Fernsehen an Mist zugemutet wird, Stellung bezogen und Reich-Ranicki lautstark unterstützt, worauf das beleidigte ZDF ihr den Sendplatz und die Sendung nahm. Schade bis heute, denn beide haben das Zutreffende gesagt, daß zum ZDF-Rausschmiß Marcel Reich-Ranicki nicht die deutlichen Worte fand, mit denen die Kollegin ihn zuvor unterstützt hatte. Ein Stachel im Fleisch, das konnte man auch bei den Dankesworten durch Elke Heidenreich heraushören und auch wir finden, daß es Sachverhalte gibt, die man nicht vergessen, verdrängen oder sonstwie abtun sollte, sondern laut und deutlich benennen.
Die Preisträgerin hat längst andere Betätigungsfelder, aber die Literatur im Fernsehen ist geschwächt. Bleibt übrig, weiterzutragen, was den Preis ausmacht. Kein Geld. Aber Flaschen, weshalb wir unsere Überschrift „Nachlese“ doppelt richtig fanden. Denn der Preis ist mit 99 Weinflaschen und dem bei Hoffmann &Campe erschienenen Faksimile der „Französischen Zustände“ Heinrichs Heines dotiert und wird grundsätzlich nur an die verliehen, die „sich auf herausragende Weise literaturkritische und literaturvermittelnde Verdienste erworben haben.“