In dieser Tradition steht auch die Eröffnung der diesjährigen Maifestspiele mit LULU von Alban Berg – doch schon so lange in Töne gesetzt und immer noch für jedes Opernhaus eine Tat – und diese Oper setzt gleichzeitig eine neue Tradition fort, die man mit Literaturoper der klassischen Moderne bezeichnen kann. Denn die vorjährigen Eröffnungsopern waren Alban Bergs WOZZECK, die LADY MACBETH VON MZENSK von Schostakowitsch und Richard Strauss’ SALOME. Nun also LULU, dieses berüchtigte, männermordende Wesen, so Lustziel der Männerwelt wie verabscheute Verderberin, ein Objekt für Männerwünsche und deren Phantasien, die der Frau zum Vorwurf machen, was sie in ihnen an Abgründen ans Licht bringt. Frank Wedekind hatte dies in ERDGEIST und DIE BÜCHSE DER PANDORA formuliert und Alban Berg konnte zwei Akte fertigstellen und starb während des dritten. Darüber gibt es viel Streit, wie man die LULU aufführen könnte, durchgesetzt hat sich die von Friedrich Cerha vervollständigte Orchestrierung des dritten Aktes, die auch in Wiesbaden gespielt wird.
Wiesbadens Generalmusikdirektor Marc Piollet wird dirigieren und die Regie führt Konstanze Lauterbach, was spannend sein kann, wenn eine Frau dies Superweib LULU auf die Bühne bringt. Die LULU selber wird Emma Pearson sein, eine junge australische Sopranistin, die Wiesbadener Ensemblemitglied ist. Wir freuen uns, als Dr. Schön/Jack the Ripper Claudio Otelli wiederzusehen, der in Frankfurt so viele Jahre sang und dessen viriler Don Giovanni in Erinnerung blieb. Ute Döring wird die Gräfin Geschwitz singen, die von Lulu angelockt und mißbraucht, später den Tod findet. Aber das wäre schon zu eindeutig, von Mißbrauch zu sprechen, denn der ist wechselseitig in diesem menschlichen Drama. Thema bleibt die Sucht dieser Menschen, sich im Objekt LULU zu spiegeln und als Täter und Opfer sich selbst in ihr aufzugeben.
Als Operngala wird jeweils eine durch internationale Stars besetzte Wiesbadener Aufführung bezeichnet. Diesjährig ist es DON GIOVANNI, der letzten September Premiere hatte. Wieder wird Marc Piollet dirigieren, die Inszenierung verantwortet Carlos Wagner und als Don Giovanni wird Thomas J. Mayer gastieren und als Leporello Erwin Schrott. Mayer ist ein gestandener Don Giovanni und interessant ist, wie das Alltagsgesicht von Sängern immer mehr zur Vorlage von Bühnenfiguren werden. Bleibt der Bart und die längeren Haare von Thomas J. Mayer auch Ausdruck des etwas verlebten, in die Jahre gekommenen Wüstlings und gelernten Frauenverstehers Don Giovanni? In der Tat ist dies eine Rolle, die man weit interpretieren kann. Erwin Schrott ist ein Senkrechtstarter auf der Opernbühne. Man sagt ihm nach, auch Rollen, die eigentlich gestalterisch ausgereizt sind, mit neuen Facetten versehen zu können.
Aber mit DON GIOVANNI ist noch lange nicht Schluß. Den eigentlichen Abschluß bringt am 1. Juni die MANGANIYAR- VERFÜHRUNG von Roysten Abel. Sie kennen das nicht? Das liegt daran, daß Sie die letztjährigen Maifestspiele versäumten, denn damals waren sie das gefeierte Eröffnungsensemble. Es besteht aus 42 Musikern, die als Künstlerkaste Manganiyar bezeichnet werden und aus der nordindischen Wüste Thar kommen. Ihre Kunst entspringt dem Kult, denn Kunst, Musik und Bewegung hat neben der eigenen Lust an der Vorführung und dem Augen- und Ohrenschmaus für die Besucher immer auch einen religiösen Aspekt. Der Volksstamm der Manganiyars besitzt den Glauben der Muslime, bringt aber bei ihren mystischen Gesängen und der instrumentellen Musik auch Lobpreisungen der hindusistischen Heiligen und preisen auch den chritlichen Gott des Abendlandes. Das macht sie geeignet, im Vielglaubensstaat der Inder auf Volksfeststen aufzuspielen.
In Wiesbaden bringen sie das religionsübergreifende Stück ALPHABET DER LIEBE. Der es inszeniert, Roysten Abel, ist als Shakespearespezialist bekannt. Der allerdings hatte auf Sänger, Sitarspieler, Flötisten und Trommler verzichtet, die hier diese Vorführung aus Klängen und Licht auf die Bühne bringen. Die einzelnen Mitwirkenden sitzen in mit rotem Samt ausgeschlagenen Kabinen, die vierfach übereinander als Bühnenbild fungieren. Zu Beginn wird eine einzige angestrahlt, die anderen liegen im Dunkeln. Der beleuchtete Sänger fängt an zu singen und wenn andere einfallen, leuchten auch deren Zellen auf. Daß schon der optische Eindruck eine Sogwirkung entfaltet, kann man sich sehr gut vorstellen.
Zwischen Eröffnung und Schluß der Maifestspiele gibt es am 9. und 10. Mai im Kulturzentrum Schlachthof eine besondere Oper. Zwar ist die ZAUBERFLÖTE die weltweit am häufigsten gespielte Oper und von daher erst einmal nichts Besonderes. Aber die Gruppe, die sie aufführt schon. Aus Australien kommt die Outback-Oper „Co Opera“ erstmalig nach Europa. Das ist eine mobile Operngruppe, die – wie im Mittelalter und Früher Neuzeit bei uns – über Stock und Stein in die abgelegenen Dörfer Australiens kommt und dort klassische Opern aufführt. Ein Lastwagen transportiert die Kulissen und Requisiten und die Solisten und den Chor, die Musiker und den Dirigenten jährlich so 30 000 km, damit die Vorstellungen in rund 200 Orten pro Jahr stattfinden können. Sicher wir die Zauberflöte so nicht feierlich getragen, sondern leicht schräg daherkommen. Schaden wird ihr das nicht, sondern im Gegenteil mit dazu beitragen, daß DIE ZAUBERFLÖTE einem weiteren Publikum als das Spiel von den Wünschen und der Wirklichkeit, die Philosophie voraussetzt wichtig wird. Von der Musik einmal ganz abgesehen, auf deren Qualität und Spezialität wir besonders gespannt sind. Übrigens wird das am 9. Mai unter Umständen ein langer Abend. Der Einführungsvortrag zur ZAUBERFLÖTE beginnt um 16.30 und nach der Opernaufführung findet ab 22 Uhr die Australische Opern-at.Night-Party statt.
Von NABUCCO, Verdis lyrisches Drama, das das Teatro Regio di Parma am 19. und 20. Mai nach Wiesbaden bringt, haben wir nur Fotos gesehen. Denen nach werden wir eine sehr statuarische Aufführung sehen, die ja in dieser Geschichte, die vom Befreiungskampf der Hebräer gegen ihre Besatzer, die Babylonier handelt, nicht falsch ist. In den Wunschkonzerten ist seit jeher der „Gefangenenchor“ ein fester Bestandteil. Die Oper selber hat so viele musikalische Höhepunkte, daß man sich auf ein Stimmenfest freuen kann. Die Aufführung wurde letztes Jahr beim „Festival Verdi 2008“ in Parma ausgezeichnet, insbesondere der Dirigent Michele Mariotti machte Eindruck. Das kann man nun in Wiesbaden überprüfen.
Absolut ungerecht, daß wir über die fünf Tanzaufführungen, die sechs Schauspiele, die Konzerte und Shows nichts mehr bringen und auch der Hinweis auf die „Junge Woche“ nicht erfolgt, in der auch die ZAUBERFLÖTE angeboten wird, nicht erfolgt. Bitte nachlesen, noch besser: kommen.
Die festliche Eröffnung der Maifestspiele findet am Freitag, 1. Mai um 18 Uhr in den Kolonnaden statt. FLIEG, GEDANKE”¦heißt das Motto, das sich in den ausgesprochen aparten Emblemen, auf Plakaten und in den Schriften als Schmetterling oder Flügel niederläßt, in orangerot, grün oder auch gesprenkelt, eine schöne gestalterische feine Idee. Die Musik allerdings ist solider Verdi, mit schmetterndem Trompetenklang wird das Ensemble MALJO-TRIO ein italienisches Opernpotpourri blasen und damit dem Festival Dampf machen.