Mummy Cool – In „Figlia Mia“ nähert sich ein Mädchen seiner unkonventionellen Mutter an

"Figlia mia | Daughter of Mine" vonLaura Bispuri.
Sara Casu, Alba Rohrwacher und Valeria Golino in dem Film "Figlia mia | Daughter of Mine" vonLaura Bispuri. © Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films / Valerio Bispuri

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Da bist Du ja, meine kleine Nutte, komm mal her. Derart schroff, aber zugleich auch recht liebevoll lockt Angelica (Alba Rohrwacher) ihren Hund zu sich. Hat es wohl gerade wieder mit einem Streuner getrieben, flucht das Frauchen. Dieses Mistvieh, wie zufrieden es nun aus der Wäsche schaut. Dabei ist Angelica auch nicht gerade eine Heilige, wenn sie mal wieder in der Dorfspelunke für einen billigen Drink den Kerlen mehr als nur schöne Augen macht. Und zu so jemand fühlt sich die kleine Vittoria (Sara Casu) hingezogen?

"Figlia mia | Daughter of Mine" vonLaura Bispuri.
Valeria Golino und Sara Casu in dem Film „Figlia mia | Daughter of Mine“ vonLaura Bispuri. © Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films

In „Figlia Mia“ (Daughter of Mine) kämpfen auf Sardinien zwei Frauen um ein Mädchen, es sind Frauen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Heilige gegen Schlampe. Bei Tina (Valeria Golino) wächst Vittoria auf. Sie ist fürsorglich, fleißig, sie bietet Halt und feste Familienstrukturen. Doch eines Tages, bei einem Rodeo, begegnet die Zehnjährige der unkonventionellen Angelica, die eine eigenartige Faszination auf sie ausübt. Mehr und mehr sucht sie ihre Nähe, die Nähe zu der eigentlichen, der biologischen Mutter, der sie schon äußerlich stark ähnelt. Angelica hatte die Tochter kurz nach der Geburt weggegeben.

Laura Bispuri gelang ein eher kleiner, aber sehr intensiver Film, gut fotografiert und mit einer hervorragenden Hauptdarstellerin. Alba Rohrwacher, längst eine der herausragenden Darstellerin ihrer Generation, dabei gänzlich unglamourös, fast eine Art Anti-Diva, lotet gekonnt sämtliche Facetten ihrer Figur aus, sie lässt sie stark und zugleich labil erscheinen, spontan, unbekümmert, aber auch chaotisch und verantwortungslos. Angelica lebt auf einen heruntergekommenen Hof in den Tag hinein. Sie weiß, dass ihre Tage dort gezählt sind, dass sie sich von ihren Tieren trennen muss, sie ist überschuldet, will auf dem Festland einen Neuanfang wagen.

"Figlia mia | Daughter of Mine" vonLaura Bispuri.
Valeria Golino und Alba Rohrwacher in „“Figlia mia | Daughter of Mine“. © Vivo film / Colorado Film / Match Factory Productions / Bord Cadre Films

Sara missfällt der Umgang, ihre Sorgen scheinen berechtigt. Sobald sich Vittoria sich in die Nähe der leiblichen Mutter begibt, wirkt das Mädchen bei allen Erlebnissen immer etwas schutzlos, allen möglichen Gefahren ausgeliefert. Doch zunächst bleibt Mummy, dieser Abenteuerspielplatz aus Fleisch und Blut, ziemlich cool, etwa wenn sie zum Frühstück der erstaunten Tochter mangels Masse schon mal Brausepulver serviert. Zu ihren Gläubigern ist sie weniger freundlich. „Arschloch“ ruft Angelica ihnen entgegen, die Tochter ist dabei. Es ist eine Mischung aus Stolz, und Verzweiflung, so scheint es. Vittoria legt sie nahe, dieses Wort tunlichst nicht zu verwenden, da zeigt sich eine ungeahnte Spur von Etikette. Taugt sie doch zum Vorbild? Bald macht der Ausflug in die Kneipe alles wieder zunichte. Schau, eine Hure, eine Trinkerin, führt man dem kleinen Mädchen drastisch vor Augen. Und bald offenbart Angelica noch verstörendere Seiten. Sie stößt Vittoria ins Wasser, taucht sie unter, will sie später in eine Höhle schicken, um einen vermeintlichen Schatz zu bergen. Durch das enge Loch passt eben nur ein Kind. Wird die leibliche Mutter zu einer tödlichen Gefahr für die Tochter? Die Bilder unterstreichen solch bedrohliche Momente. Sardinien, das Touristen-Paradies mit dem karibikblauen Meer, gerät hier abseits der Feriendomizile zu einem Unort, der seinen Bewohnern nichts schenkt. Heiß, vielleicht etwas zu heiß für das rothaarige Mädchen, auf dessen porzellanhelle Haut die sengende Sonne hinab knallt, staubig, karg. Und laut, man scheint mitunter mit den empfindlichen Ohren des Kindes zu hören. Beim Rodeo kommen die donnernden Hufen der Pferde einem Erdbeben gleich, später jaulen Motoren auf, Motocross-Fahrer rasen im offenen Gelände auf das Kind zu, weichen im letzten Moment aus.

Zum Schluss nimmt das Geschehen eine unerwartete Wendung. Das Mädchen ergreift die Initiative, zeigt Stärke, gegenüber beiden Frauen, scheint gar die Führung zu übernehmen. Bloß nicht unterkriegen lassen.

Filmografische Angaben

Originaltitel: Figlia mia
Englischer Titel: Daughter of Mine
Land: Deutschland, Schweiz, Italien
Jahr: 2018
Regie: Laura Bispuri
Buch: Francesca Manieri und Laura Bispuri
Kamera: Vladan Radovic
Montage: Carlotta Cristiani
Musik: Nando Di Cosimo
Maske: Frédérique Fogli
Kostüm: Antonella Cannarozzi
Schauspieler: Valeria Golino (Tina), Alba Rohrwacher (Angelica), Sara Casu (Vittoria), Udo Kier (Bruno), Michele Carboni (Umberto)
Produzenten: Marta Donzelli, Gregorio Paonessa, Maurizio Totti, Alessandro Usai, Michael Weber, Viola Fügen, Dan Wechsler
Dauer: 100 Minuten, Farbe

Vorheriger ArtikelOlympische Winterspiele in Pyeongchang: Zweimal Gold auf Bobschlitten aus Berlin oder olympischer Material-Wettstreit
Nächster ArtikelMilitante Humanisten protestieren gegen Abschiebeflug