Und auch die Darstellerin dieser ungewöhnlichen Maria, Maria Onetto, kam nicht zur Vorstellung des Films im Wettbewerb nach Berlin, weil sie in Argentinien Theater spielen muß. Das bedauerten viele, die sie in dieser Filmrolle als Schauspielerin gesehen hatten, von der man zu gerne gewußt hätte, wieviel davon die Person Onetto ist oder wie sehr sie in der Lage ist, eine so spezielle Frau darzustellen. Diese Darstellung ist tatsächlich außerordentlich, so daß wir an diesem Berlinale Tag schon die zweite Aspirantin für den Bären für die beste Schauspielerin haben. Denn mit dieser Rolle hat die Regisseurin, die auch das Drehbuch schrieb, einen neuen Charakter geschaffen, eine Frau, die in ihrer Familie allen Bedürfnissen gerecht wird, die eine stille, aber nicht demütige, sondern gewährende Frau spielt, irgendwie geduldig, inaktiv, sehr verhalten, ja meditativ, ein ungewöhnliches Frauenbild geradezu minimalistisch dargestellt und auf keinen Fall ein Opfer. Von niemandem, höchstens vom Puzzeln. Aber auch das in Maßen, wie man noch sehen wird.
Maria brauchte nach ihrem Puzzle, das zur Büste der Nofretete vervollständigt wurde, dringend Nachschub und findet im Geschäft einen Aushang, wo ein Partner für den Puzzlewettbewerb gesucht wird. Sie meldet sich und gerät an Roberto (Arturo Goetz), einen bourgeoisen älteren Herrn, dessen Haus sie beeindruckt und der von ihrer unorthodoxen, aber erfolgreichen Spielweise beeindruckt ist. Sie trainieren hart und beide gewinnen den Wettbewerb, den sie miteinander feiern und sich, weil es dazu gehört, hat man den Eindruck, näherkommen, auch erotisch. Zeit, von der Familie zu sprechen, die davon erst einmal nichts ahnt, wenngleich der Ehemann die innere Abwesenheit seiner Frau schon daran ablesen konnte, daß sie wiederholt seinen Lieblingskäse zu kaufen vergaß. Denn in dieser Familie ist die Welt noch in Ordnung und Maria für den Alltag zuständig.
Aus diesem Alltag und dem Ambiente macht Natalia Smirnoff filmisch eine Symphonie. Oft fiel uns in amerikanischen Filmen auf, daß dort nie gegessen wird. Das macht dieser Film wett. Schon die Anfangszenen von ihrem Geburtstag zeigen eine unaufhörlich Tabletts voller Essen schleppende Maria, wie sie gekonnt und in Windeseile Hähnchen tranchiert – immer wieder in Großaufnahme die Nahrungsmittel, sei es Fleisch, oder Kuchen oder Obst – , und immer wenn die zwei Söhne auftauchen, gibt es vorher, dabei oder danach zu essen. Der Alltag ist es, den dieser Film einfängt, wozu das liebevolle Verhalten der Ehepartner gehört. Obwohl in die Jahre gekommen, schlafen sie noch miteinander. Und das ist auch gut so. Dem Ehemann Juan (Gabriel Goity) erzählt sie zwar lieber, sie besuche zweimal in der Woche eine kranke Verwandte, als von ihrem Puzzletraining, noch dazu mit einem fremden Herrn zu berichten, aber das Ganze die neue Leidenschaft der Mutter führt vielleicht zu einer kleinen Irritation innerhalb der Familie, aber zu keinen weitreichenden Spannungen.
Kunststück, sie fährt ja auch nicht mit nach Deutschland. Denn dann hätte der Regisseurin noch etwas einfallen müssen und das wäre eine andere, eine neue Geschichte geworden. In diesem Film auf jeden Fall erleben wir eine bereicherte Maria, die glücklich ist über das, was sie veränderte, die aber ihr Leben wie zuvor weiterlebt. Nun halt mit den Puzzles.
In der anschließenden Pressekonferenz ging es erst einmal um die Musik, die man im Film als eigenständig hört, gerade weil sie illustrativ die Szenen unterstützt und alle Genres zitiert, je nachdem, welche Personen gerade dominieren. Da gibt es die bodenständige Maria, die zusammen mit ihrem Mann argentinische Musik hört, der aber in ihren Träumen und Phantasien magische Musik entgegenschallt und beim Puzzeln tropfende und klickende Töne, wenn sie ein Puzzlestück in ein zugehöriges drückt. Das ist fein gemacht. Der ganze Film drückt eine Liebe zum Detail aus, die bedächtig und folgenreich inszeniert werden. Jedes Bild an der Wand, die Blumen, alles findet Beachtung in der Kamera, die Barbara Alvarez bedient.
Der Regisseurin wurden viele Fragen gestellt, deren Beantwortung wir dokumentieren: Habt Ihr auch daran gedacht und gemerkt, daß die Frau etwas Besonders ist. Ich wollte ihren besonderen Blick auf die Dinge einfangen. Warum sie nicht nach Deutschland fliegt? Das weiß ich nicht, ich vermute, Wettkämpfe machten ihr nicht Spaß, das ist mehr Robertos Ding, ich glaube, Männer verlieren sich im Wunsch, Erfolg zu haben, Maria machte einfach das Puzzeln Spaß. Zum anderen liegt ihr ihre Familie am Herzen, deshalb wollte ich als Regisseurin sie nicht in eine Situation bringen, die neu für sie ist und vielleicht Konsequenzen hat. Wieviel von der Schauspielerin im Film steckt, wieviel von der Regisseurin? Diese Schauspielerin Maria ist eine besondere Frau, die diese Rollen-Maria auch besonders spielt, aber die Figur selbst ist angereichert mit meiner Mutter, mit einer Vielzahl anderer Frauen, die mir auffielen. Gut ist, wenn die Schauspieler über die Grenzen des Drehbuches hinausgehen, wie hier geschehen.
Zum Ehemann führte Natalia Smirnoff aus: Der liebt seine Frau, wird verunsichert durch ihre Leidenschaft für Puzzeln, aber hält die eigene Unsicherheit aus und merkt ja auch, daß Maria ihn liebt. Darum gehört dazu, daß sie miteinander schlafen, aber er hat halt wie jeder Mann in Argentinien machismoartig reagiert. Die vielen Interieurs im Film und das fast ständige Innere der Aufnahmen? Ich wollte ganz nah rangehen. Darum die Vergrößerungen, die wir durch die Augen Marias sehen. Warum Ägypten zweimal vorkommt? Ägypten ist uns sehr interessant, exotisch, weit weg, orientalisch, viel weiter als von Europa aus. Geheimnisvoll ist diese Nofretete, die erste Frau, über die wir etwas wissen, die stolze und schöne Frau des Echnathon, ihre Schönheit finde ich sehr inspirierend. Welches Verhältnis ich zum Körper im Film habe? Die Kamera gleitet so schnell über die Körper hinweg? Ab und zu sieht man nackte Körper. Aber der Körper und sein Festhalten durch die Kamera hat doch immer einen Sinn. Ich fotografiere das, was ich für wichtig halte. Der Körper war das hier in diesem Film nicht. Nackte Haut erscheint nur kurz. Im Fokus stand das Puzzle und die täglichen Verrichtungen und Gegenstände und natürlich ihr Gesicht oder das der anderen.
Originaltitel: Rompecabezas
Deutscher Titel: Puzzel
Land: Argentinien/Frankreich
Regie: Natalia Smirnoff
Darsteller: Maria Onetto, Gabriel Goity, Arturo Goetz
Bewertung: * * * *