Netzeband, Berlin, Deutschland (Kulturexpresso). Den Machern des Theatersommers Netzeband ist es eine liebe Gewohnheit, für ihr Repertoire alte Schinken aus der Mottenkiste zu holen – «Peer Gynt« von Henrik Ibsen oder «Frühlings Erwachen« von Frank Wedekind zum Beispiel. Theaterstücke aus der DDR sucht man vergebens, mal abgesehen von «Der gute Mensch von Sezuan« von Bertolt Brecht, uraufgeführt 1943 in Zürich, also nicht in der DDR-Epoche, aber dort gespielt.
Statt «Frühlings Erwachen« hätten sich zum Beispiel mehr «Die neuen Leiden des jungen W.« von Ulrich Plenzdorf angeboten. Da könnten die Zuschauer vieles aus dem Leben in der alten DDR wiedererkennen, aber vielleicht gebieten Rücksichten auf Sponsoren und Autoritäten »Vorsicht mit die Porzellankiste«. Dann also lieber die «Entdeckung« von »Metropolis« nach dem Roman von Thea von Harbou (1888 – 1954), wobei sich für das Theater unweigerlich die bildliche Gestaltung im Film von Fritz Lang (1890 – 1976) aus dem Jahre 1927 aufdrängt. Man weiß aus den Vorlagen, dass »Metropolis«, der Stadtstaat, aus Oberklasse und Unterklasse besteht, getrennt nach Existenzen in der glänzenden Oberstadt und nach denen unter der Erde, und dies noch viel ausgeprägter als in der Realität. Also endlich mal die Welt als Klassengesellschaft mit Klassen, Klassenkampf und Umsturz.
Hans Machowiak hat eine Bühnenfassung für Netzeband verfasst, die alle topografischen, akustischen und technischen Möglichkeiten im Park unter dem Temnitzkirche (gewissermaßen der grüne Hügel von Bayreuth) und vor allem die für Netzeband klassische Form des Synchrontheaters nutzt. Berufs- und Laienschauspieler spielen mit Masken und bewegen sich zu den über Lautsprecher eingespielten Stimmen. Masken, Bühnenbild und Kostüme von Johanna Maria Burkhart sind integraler Bestandteil der Inszenierung.
Metropolis, die futuristische Stadt aus Stahl und Stein, wird beherrscht von dem Oligarchen Joh Fredersen (Guido Schmitt, Stimme Gerd Silberbauer), der die Unterklasse gnadenlos ausbeutet und sein «Unternehmen« nach den modernsten Methoden und auf der Höhe der Gesetze des Marktes leitet. Bei ihm sind die Gasspeicher zu 89 Prozent gefüllt. Eine Kombination von einfachen mechanischen Prozessen und künstlicher Intelligenz bestimmen die Technologie des Systems.
Dank der hohen Rendite lebt die Oberklasse ein luxuriöses Leben, die Unterklasse steht in robotergleicher Disziplin «zur Verfügung«. Dennoch regt sich Widerstand. Bei einem tödlich verunglückten Arbeiter werden Umsturzpläne gefunden, was Fredersen zu erhöhtem politischem Druck veranlasst. Widersprüche im System nimmt auch Fredersens Sohn Freder (Annika Baumgarten, Stimme Daniel Pietzuch) wahr. Der verliebt sich in die Arbeiterin Maria und lernt von ihr, dass die Menschen der Unterstadt seine Brüder sind. Sein Versuch, seinen Vater von humanerem Verhalten zu überzeugen, führt zu verschärfter Überwachung. Zwecks schärferer Kontrolle lässt sich Fredersen vom Erfinder Rotwang den Maschinen-Menschen «Maria« freigeben. Die verselbständigt sich und ruft die Arbeiter zur Rebellion auf. Die erheben sich und zerstören die ausbeuterische Maschinerie der Stadt. Der Stromausfall legt die Belüftung und die Pumpen lahm. Durch Wassereinbruch ertrinken die Arbeiter. Einige Kinder werden gerettet, die die Botschaft von der Befreiung der Arbeiterklasse weitertragen. Die Botschaft jedoch ist reichlich nebulös. Ein leninistisch geschulter Autor hätte verkündet, dass nur eine führende Kraft, die Partei der Arbeiterklasse, die Revolution zum Erfolg führen kann, aber das wäre nicht opportun. So bleibt nur die «Lehre«: Wo die Arbeiterklasse die Macht ergreift, macht sie alles kaputt und die Gesellschaft geht unter. Harbou hatte als «Moral von der Geschicht« den «Sinnspruch« erdichtet: «Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein.«
Habt euch alle lieb und alles wird gut.
Wie kommt man auf die Wahl dieser Story? Der Stummfilm von Fritz Lang faszinierte das Publikum mit seiner futuristischen Ausstattung und hervorragender Filmtechnik. Die meistgebrauchten Worte der Kritiker waren Kitsch, Gefühlsphrasen und Sentimentalität. Einzig Siegfried Krakauer hatte eine Vorausahnung der Nazigesellschaft, der «Volksgemeinschaft«, eine Art somnambule Skizze der kommenden Schreckensherrschaft. Thea von Harbou war überzeugte Nazisse, auch nach 1945. Bekannt ist, dass Fritz Lang nicht mehr mit Harbous Drehbuch einverstanden war – wegen des Herzens als Mittler. Er wollte den Film ganz anders enden lassen, wie die Kritikerin Lotte H. Eisner überlieferte. Wie Lang es sich vorstellte, ist nicht bekannt. Wenn die Regie in Netzeband all dies wusste, war aus dem Stoff nichts anderes zu machen als die klassenversöhnlerische Soße. Harbous «Sinnspruch« war Machowiak zu kitschig. Er hängte den Satz an, Mittler zwischen den Menschen dürfe nur der Mensch sein – was den Quatsch noch quätscher macht. Er wolle die Phantasie der Zuschauer anregen, sagt er im Programmheft. Ein Stück umzuschreiben, ist legitim und wird oft geübt. Dann wäre es dennoch schwierig, eine in vielen Details gekrampfte Geschichte glaubwürdig zu machen. Es wäre dann besser, gleich «Die Tage der Kommune« von Brecht zu spielen. Das böte mehr Komödiantisches für die Schauspieler. Warum tut man sich in Netzeband damit so schwer?
Machowiak hat schöne Regieeinfälle. Zum Beispiel betritt die Arbeiterklasse zu Beginn sehr überzeugend als einige Masse die Szene. Was im Stück zu kurz kommt, sind die gewohnten mitreißenden Klänge und Tänze, die gerade den jungen Schauspielern viel Spaß machen. Ein Stück im Stück bietet Uschi Schneider (wer sonst?) als Ingenieurin des Zentralrechners, mit der Stimme von Carmen Maria Antoni. Gerade die Figur, die den Erhalt des Systems sichern soll und will, führt für Minuten großes Theater vor, als könnte sie dem Stück eine Wendung geben. Ein Bruch im Stil der Inszenierung, der den komödiantischen Schwung von Netzeband ahnen lässt.
Nächste Vorstellungen: 6., 12., 13., 19., 20., 26. und 27. August 2022, jeweils 20.30 Uhr