Berlin, Deutschland (Weltexpress). Die beiden Offiziere, die am Vormittag des 23. Juli 1849 die Festung Rastatt verließen und auf die Stellungen des preußischen Belagerungskorps zuritten, erfüllten eine schicksalsschwere Aufgabe. Oberstleutant Otto von Corvin-Wiersbitzki, Stabschef der Festungsbesatzung, im Zivilberuf Schriftsteller, und Oberst Ernst von Biedenfeld überbrachten dem Befehlshaber der preußischen Truppen, General Joseph Graf von der Gröben, die vom Festungskommandanten, Oberst Gustav Tiedemann, unterschriebene Kapitulationsurkunde.
Da die Belagerer wussten, dass sie Rastatt in nächster Zeit nicht bezwingen konnten, hatten sie Verhandlungen eingeleitet. Die zwei Offiziere der Festung konnten sich in preußischer Begleitung davon überzeugen, dass die Revolutionsarmee Baden verlassen hatte und in die Schweiz übergetreten war. Eine knappe Mehrheit sprach sich danach auf einer Offiziersversammlung in der Festung für die Kapitulation aus, um der Zivilbevölkerung weitere Opfer durch den Beschuss der Belagerungsartillerie zu ersparen. Rund 5000 Mann ergaben sich auf „Gnade und Ungnade“.
Obwohl die Revolutionstruppen gefangene preußische Soldaten und Offiziere human behandelt und noch vor der Kapitulation ohne Gegenleistungen freigelassen hatten, ließ die preußische Konterrevolution ihrerseits keine Gnade walten. Oberst Tiedemann und 27 seiner Offiziere wurden umgehend an die Wand gestellt, wie standrechtliche Erschießungen im Klartext genannt wurden. Beide Offiziere, die die Kapitulation überbracht hatten, wurden zunächst von der sofortigen standrechtlichen Erschießung der 27 Offiziere ausgenommen. Während an Biedenfeld dann am 9. August das verhängte Todesurteil vollstreckt wurde, hob das Gericht Corvins Todesstrafe auf und wandelte sie in sechs Jahre Einzelhaft um, die er in Bruchsal verbüßte.
Hunderte starben in den Kasematten der Festung ohne medizinische Hilfe am Typhus, unzählige wurden heimlich ermordet. »Sie sind in den Gräben von Rastatt gestorben wie die Helden. Kein einziger hat gebettelt, kein einziger hat gezittert«, schrieb Friedrich Engels in seiner Schrift „Die deutsche Reichsverfassungskampagne“.
Auch außerhalb Rastatts fielen dem Terror der preußischen Konterrevolution Tausende zum Opfer. Tausende wurden nach der Niederlage der Revolution als politische Verbrecher verfolgt, vor Gericht gezerrt und zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Insgesamt wurden etwa 700.000 Teilnehmer an den revolutionären Erhebungen von 1848/49 in Deutschland in die Emigration getrieben.
Im Frühjahr 1849 hatte die deutsche Revolution noch einmal eine Chance des Erfolgs gehabt. Die internationalen Bedingungen waren günstig. In Budapest hatte Lajos Kossuth den ungarischen Thron der Habsburger für beseitigt erklärt und die kaiserlichen Truppen über Waag und Leitha gejagt. In Rom war die Republik ausgerufen und der Papst vertrieben worden. Sardinien-Piemont führte Krieg gegen Österreich.
In Deutschland beschloss die in der Paulskirche tagende Frankfurter Nationalversammlung am 28. März 1849 eine Reichsverfassung. Sie verzichtete auf eine Demokratische Republik und sah eine konstitutionelle Monarchie in Form eines Bundesstaates mit erblicher Kaiserwürde vor. Es war eine sehr gemäßigte liberale Verfassung, die auf der Grundlage eines Kompromisses mit der herrschenden Feudalkaste die Interessen der Großbourgeoisie sichern sollte. Sie enthielt jedoch auch als bescheidenes Ergebnis der vorangegangenen revolutionären Kämpfe des Volkes eine Reihe fortschrittlicher Artikel, sah eine politische Zentralgewalt vor und konnte so der Bourgeoisie und ihren Produktivkräften Raum zur Entfaltung, damit aber auch der im Entstehen begriffenen Arbeiterklasse günstigere Entwicklungsbedingungen geben. [1]
Trotz des Kompromisses zugunsten der Feudalklasse stieß die Reichsverfassung auf energischen Widerspruch. 29 kleine und mittlere Staaten erkannten sie zwar an, nicht aber Preußen, Sachsen, Bayern und Hannover. Der preußische König Wilhelm IV. wies die ihm von einer Delegation der Nationalversammlung angetragene Kaiserwürde zurück, da ihr „der Ludergeruch der Revolution“ anhafte. „Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation … wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meines Gleichen, die sie vergeben werden. Und wehe dem, der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt!“. Den drohenden Worten sollten nur allzu bald blutige Taten folgen.
Marx und Engels werteten die revolutionären Kämpfe während der Revolution 1848/49 aus und zogen entscheidende Schlussfolgerungen für das Proletariat und seinen Kampf für eine selbständige, von den kleinbürgerlichen Demokraten unabhängige Partei der Arbeiterklasse. Das geschah in der von Engels verfassten Schrift „Die deutsche Reichsverfassungskampagne“ [2], die nicht nur eine geschichtliche Untersuchung ist, sondern gleichzeitig „der Bericht eines Augenzeugen, das lebendige Zeugnis eines aktiven Teilnehmers an den beschrieben Ereignissen. Die tiefe Analyse der Ursachen der Bewegung und der Positionen der Klassen und Parteien ist hier mit der lebhaften Beschreibung einzelner Episoden der Kampagne und der treffenden Charakteristik ihrer verschiedenartigen Akteure verbunden“. [3] Vom großen Wiederhall der revolutionären Ereignisse in den USA zeugte eine am 25. Oktober 1851 in der „New-York Daily Tribune“ begonnene Artikelfolge über „die deutsche Revolution von 1848/49“ mit der Unterschrift von Karl Marx. Erst 1913 wurde bekannt, dass Friedrich Engels auch Verfasser dieser Serie war. In Buchform erschien sie 1896 zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch unter dem Titel „Revolution und Konterevolution in Deutschland“. [4]
Die „deutsche Reichsverfassungskampagne“
Während im Mai die liberale Bourgeoisie und auch die Mehrheit der Demokraten in der Paulskirche auf Verhandlungen mit den Landtagen und den Regierungen setzten und für den 15. Juli Wahlen ausschrieben, formierte sich außerhalb des Parlaments eine demokratische Bewegung zur Durchsetzung der Konstituente, die in die Geschichte als die „deutsche Reichsverfassungskampagne“ einging. Sie schloss zunächst auch Teile der Bourgeoisie ein, stützte sich aber vor allem auf die Volkskräfte und deren revolutionären Kern, die Volks- und Arbeitervereine. Diese forderten, die Reichsverfassung mit einer bewaffneten Erhebung durchzusetzen, wovor die Nationalversammlung jedoch zurückschreckte. Marx und Engels appellierten vergeblich an die demokratischen Abgeordneten, dass es für das Parlament nur einen Weg zur Verteidigung der Revolution und der eigenen Existenz geben konnte: die Revolutionsarmee nach Frankfurt zu rufen und an die Spitze des bewaffneten Aufstandes zu treten. Sie fanden kein Gehör. „Zum Dank wurde das ‚Frankfurter Rumpfparlament‘ auseinandergejagt, das Mobiliar des Sitzungssaales zerschlagen und die Abgeordneten mit Lanzen und Säbeln durch die Strassen gehetzt“, schrieb die Revolutionsteilnehmerin Franziska Anneke [5] in ihren „Memoiren einer Frau aus dem Badisch-Pfälzischen Feldzug“ (Newark (New Jersey) 1853).
Nachdem am 19. Mai die letzte Ausgabe der „Neuen Rheinischen Zeitung“ erschienen war, brachen Marx und Engels nach Südwestdeutschland auf, um die Forderungen des radikaldemokratischen Flügels der Bewegung zu Vertreten. Durch Hessen, wo Preußen bereits ein Armeekorps zur Niederschlagung des Aufstandes zusammenzog, reisten sie weiter und führten in Mannheim, Karlsruhe und Ludwigshafen mit demselben Ziel Gespräche mit den Vertretern der kleinbürgerlichen Demokraten. Auch hier ergebnislos, denn diese befanden sich bereits im Schlepptau der liberalen Bourgeoisie, die zur Konterrevolution überlief. Während Marx nach Paris reiste, um dort die Situation zu analysieren, begab sich Engels zur Revolutionsarmee.
Die bewaffneten Erhebungen begannen am 3. Mai in Dresden. Etwa 10.000 Arbeiter und Handwerker, darunter Bergleute aus Freiberg und Chemnitzer Proletarier, kämpften tagelang in den Straßen der Innenstadt. Am Aufstand beteiligten sich zahlreiche kleinbürgerliche Demokraten, unter ihnen der berühmte Baumeister Gottfried Semper und der große Komponist Richard Wagner. Die Führung des Aufstandes lag in den Händen des kleinbürgerlichen Sicherheitsausschusses, der sich auf einen Waffenstillstand mit den sächsischen Truppen einließ. Den nutzte der König, um preußische Unterstützung herbeizurufen. Der dadurch geschaffenen Übermacht erlagen die Aufständischen am 9. Mai.
Zu den militärischen Führern gehörte der spätere Anarchistenführer Michael Bakunin. Der russische Revolutionär und ehemalige Offiziersanwärter des Zaren hatte bereits an den Kämpfen im Februar 1848 in Paris und danach an der Bewegung des „Slawenkongresses“ in Prag teilgenommen. Nach dem Aufstand in Dresden geriet er in Gefangenschaft und wurde zum Tode verurteilt, 1851 an Russland ausgeliefert. 1861 gelang ihm die Flucht aus sibirischer Verbannung. [6]
Nach dem Dresdener Aufstand kam es zur bewaffneten Erhebung in Breslau, im Rheinland und schließlich in der Pfalz und in Baden, die ebenfalls überwiegend von Arbeitern getragen wurde. Während die Erhebungen in Dresden, Breslau und im Rheinland binnen kurzer Zeit niedergeschlagen wurden, war die Volksbewegung in Baden und in der benachbarten Pfalz, die zum Königreich Bayern gehörte, zunächst erfolgreich.
Die Massenbasis der letzten Etappe
In Baden und der Pfalz entstanden provisorische Regierungen, die Erhebung hielt über zwei Monate an. Vor allem aber entstand in Baden und der Pfalz zum ersten Mal im Verlaufe der deutschen Revolution eine Revolutionsarmee. Der Aufstand bildete den Höhepunkt nicht nur der Reichsverfassungskampagne, sondern der Revolution von 1848/49 überhaupt. Die Soldatenrebellionen setzten Anfang Mai in der Pfalz ein. Nachdem der bayrische König die Reichsverfassung abgelehnt hatte, begannen Protestaktionen der Bevölkerung, denen sich Teile der bayrischen Armee, deren Soldaten aus der Pfalz stammten, anschlossen. Die Garnisonen von Kaiserslautern, Speyer, Ludwigshafen und anderen Städten gingen ebenfalls zu den Aufständischen über. Am 17. Mai bildete sich eine provisorische Regierung, die als erstes die Lostrennung der Pfalz von Bayern verkündete.
In Baden begann die Erhebung am 11. Mai in der Festung Rastatt und griff rasch auf alle anderen Landesteile über. In Offenburg, wo bereits zwei Jahre vorher die „13 Forderungen des Volkes“ verkündet worden waren, versammelte sich eine gewaltige Volksversammlung mit etwa 30.000 Menschen aus ganz Baden und verabschiedete ein radikal-demokratisches Programm, das die Beseitigung der Feudallasten sowie demokratische Rechte und Freiheiten für das Volk verlangte. Es wurde ein Landesausschuss gebildet, der die Rolle einer gesetzgebenden Versammlung übernehmen sollte. Dieser setzte ein Exekutivkomitee mit dem Rechtsanwalt Lorenz Brentano an der Spitze als provisorische Regierung ein.
In Baden hatten die Soldaten der großherzoglichen Armee überall wesentlichen Anteil am Aufstand und stellten den Kern der Revolutionsarmee. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte ging hier eine reguläre Truppe, wenn auch nur eines kleinen Fürstenstaates, mit etwa 20.000 Mann geschlossen auf die Seite des Volkes über. Zu ihnen kamen in etwa gleicher Stärke unter anderem badische und pfälzische Volkswehren, zwei Arbeiterbataillone, ein rheinhessisches Freikorps, eine deutsch-ungarische, eine deutsch-polnische und eine Flüchtlingslegion sowie das legendäre Freikorps von Oberst August Willich, das an allen Brennpunkten in der vordersten Linie eingesetzt wurde. Die Revolutionsarmee stand zeitweilig unter dem Kommando des polnischen Revolutionärs Ludwik Mieroslawski.
Adjudant der Revolution
Im Freikorps von Willich kämpfte kein Geringerer als Friedrich Engels. Er hatte einen Posten in der provisorischen Regierung ebenso wie im Oberkommando der Revolutionsarmee abgelehnt und den Vorschlag von Oberst Willich angenommen, die Aufgaben des Adjudanten und Stabschefs in seinem Korps zu übernehmen. Die militärischen Kenntnisse, die Engels sich vorausschauend als Einjährig-Freiwilliger in der preußischen Garnison in Berlin angeeignet hatte, kamen nun der revolutionären Sache zugute. Er hatte sich für die Artillerie entschieden, die als technische Waffengattung einen bürgerlichen Zuschnitt besaß und von den Offizieren vielseitige mathematische und naturwissenschaftliche Kenntnisse verlangte. Engels hatte bereits im Bund der Kommunisten u. a. die militärischen Aufgaben wahrgenommen und sein Wissen im Aufstand in Elberfeld nutzbringend angewandt. So sorgte er dafür, dass beim Bau von Barrikaden berücksichtigt wurde, dass diese bei einem Angriff des Gegners einem Artilleriebeschuss ausgesetzt würden. Auf seinen Vorschlag hin, setzte die Militärkommission den ehemaligen preußischen Artillerieoffizier Otto von Mirbach, der sich der Revolution angeschlossen hatte, zum Oberkommandanten der Stadt ein, dessen Adjutant er dann auch hier bereits wurde.
Als Stabschef von Willich übernahm Engels die Korrespondenz mit dem Oberkommando und der provisorischen Regierung, die Planung der Gefechtspositionen sowie die Beschaffung des Nachschubs an Munition, Waffen und Nahrungsmitteln. Daneben kümmerte er sich um die Gefechtsausbildung. In Karlsruhe führte er eine Sturmübung durch, mit der auch den konterrevolutionären Ambitionen der schwankenden Kleinbürger ein Dämpfer versetzt wurde. „Zum Militär war er übrigens wie geschaffen: Helles Auge; rascher Überblick, rasches wägen auch der kleinsten Umstände, rascher Entschluss und unerschütterliche Kaltblütigkeit.“ So Wilhelm Liebknecht über Engels, der im Freikorps von August Willich, diese Eigenschaften glänzend bewies. [7]
In mehreren Gefechten und in der Schlacht bei Rastatt stand Engels immer in vorderster Linie und führte auch selbst Einheiten im Gefecht. Bei Rinntal habe Engels als Kommandeur eines Seitendetachements mehrere Stunden zeitweise im dichtesten Feuer gestanden. „Sein Eifer und sein Mut wurden von seinen Kampfgenossen ungemein lobend hervorgehoben“, schrieb Franziska Anneke.
Zusammen mit Engels kämpften in der Revolutionsarmee weitere Mitglieder des Bundes der Kommunisten, unter ihnen Wilhelm Liebknecht, der Chef der badischen Volkswehr, Johann Philipp Becker, Joseph Moll, der als Kanonier der Besanconer Arbeiterkompanie in der Schlacht an der Murg fiel, Fritz Anneke sowie die Setzer und Arbeiter der verbotenen „Neuen Rheinischen Zeitung“. „Die entschiedensten Kommunisten waren die couragiertesten Soldaten“, vermerkte Engels.
Nachdem die konterrevolutionäre Bourgeoisie eine Offensive der Revolutionstruppen verhindert hatte, wurde die Regierung von den revolutionären Militärs gezwungen, Kampfhandlungen zur Verteidigung gegen die anrückenden preußischen Interventionstruppen zuzustimmen, die von der Revolutionsarmee dann, so lange die Kräfte reichten, offensiv geführt wurden. In mehreren Gefechten wurden die Verbände der drei gegen sie aufgebotenen preußischen Armeekorps mit über 60.000 Mann und mehr als 100 Geschützen zurückgeworfen, wobei die Revolutionsarmee wiederholt zu Gegenangriffen überging. Nach schweren Verlusten zogen sich die Hauptkräfte vor der erdrückenden Übermacht am Neckar entlang nach Süden an die Murglinie unterhalb Rastatt zurück. Den Rückzug deckte Becker mit seiner Volkswehrdivision. Willichs Korps bildete die Nachhut der gesamten Revolutionsarmee bis Rastatt und während des Rückzugs nach Süden. Als militärischer Führer bewies Engels hier auch die Fähigkeit, in schwierigen Situationen nicht die Übersicht zu verlieren, von Panik ergriffene Soldaten aufzuhalten, zu ordnen und wieder ins Gefecht zu führen. An der Murg stellten sich am 28./29. Juni unterhalb der Festung Rastatt noch 13.000 Mann der Revolutionsarmee 40.000 Preußen zur letzten erbitterten Schlacht. Gestützt auf die weitreichende Festungsartillerie konnten sie diese lange Zeit trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit für sich entscheiden. Als es bei Bischweiler zum ersten Gefecht kam, begab sich Engels dorthin. „Unsere Tirailleure wurden von einem heftigen Feuer empfangen. Es waren preußische Schützen, die ihnen gegenüberstanden, und unsere Arbeiter hatten den Spitzkugelbüchsen (Vorderladern) nur Musketen gegenüberzustellen. Sie gingen aber, unterstützt von dem rechten Flügel unserer Schützen, der zu ihnen stieß, so entschlossen vor, dass die kurze Entfernung sehr bald, namentlich auf dem rechten Flügel, die schlechte Qualität der Waffe ausglich und die Preußen geworfen wurden“. Nach der Niederlage kommandierte Engels die Nachhut des Freikorps Willich, die den Übertritt der noch 7.000 Mann zählenden Revolutionsarmee am 12. Juli bei Lottstetten in die Schweiz deckte.
Brentanos Konterrevolution
In Baden bestand eine Reihe weiterer günstiger Bedingungen, über die die bürgerlichen Erhebungen vorher in anderen deutschen Staaten nicht verfügt hatten. Mit der Proklamation der „13 Forderungen des Volkes“ durch die Vertreter des radikalen bürgerlichen Flügels mit Friedrich Hecker und Gustav Struve im September 1847 in Offenburg nahm die deutsche Revolution hier ihren eigentlichen Ausgangspunkt. Das herausragende in dem Offenburger Programm war, dass bürgerliche Demokraten den Weitblick und den Mut hatten, die soziale Frage der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft beim Namen zu nennen und reformerisch einen „Ausgleich des Missverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital“ zu fordern.
Nachdem im Februar 1848 eine Volksversammlung in Mannheim eine konstitutionelle Verfassung, das Ende der Zensur und die Aufhebung der adligen Vorrechte geltend gemacht hatte, brach zur Durchsetzung dieser Forderungen im April 1848 unter der Führung von Hecker bereits der erste badische Aufstand aus. Er erlitt zwar eine Niederlage, vermittelte aber Erfahrungen, stärkte den Einfluss der kleinbürgerlichen Schichten auf Staat und Gesellschaft, brachte verfassungsmäßige Zustände und damit parlamentarischen Einfluss hervor. Während man in der Paulskirche nur den Vorschlag einer deutschen Monarchie mit einem preußischen Kaiser an der Spitze kreierte, wurde in Baden vorher immerhin über eine „Republik mit dem Großherzog an der Spitze“ debattiert.
Zu den bereits bestehenden günstigen Bedingungen kam nach der erfolgreichen Mai-Erhebung hinzu, dass der vom Volk getragene Aufstand nun über einen Staat mit all seinen Ressourcen einschließlich einer Armee, deren Soldaten mehrheitlich zur Revolution standen, verfügte. Neben Geld waren das Waffen und anderes Kriegsmaterial, darunter zahlreiche Geschütze.
Zusammen mit Willich, Becker u. a. forderte Engels das Oberkommando auf, nach Frankfurt zu marschieren und das Parlament notfalls mit Gewalt dazu zu bringen, sich an die Spitze der Revolution, zu stellen. Brentano wies die Forderung zurück. Er versuchte, die Revolution in „gesetzliche“ Bahnen zu lenken, eine friedliche Verständigung mit den ehemals Regierenden zu erreichen und wollte dementsprechend jede bewaffnete Auseinandersetzung mit dem geflüchteten Großherzog und der von ihm zu Hilfe gerufenen preußischen Konterrevolution vermeiden. Sie setzten den Verrat der deutschen Bourgeoisie an ihrer eigenen Revolution fort und arbeiteten der Konterrevolution in die Hände.
Mit einem Staatsstreich – der Auflösung des legislativen Landesausschusses, der Absetzung des revolutionär-demokratischen Oberkommandierenden Franz Sigel und der Dekretierung diktatorischer Vollmachten für sich als Regierungschef – fiel Brentano der Revolution in den Rücken und verhinderte die erforderliche Unterstützung der Revolutionsarmee, die auf sich allein gestellt blieb. Obwohl an der Errichtung einer Herrschaft gegenüber der Feudalklasse interessiert, verzichtete er darauf in der Erkenntnis, nach dem Sieg den an der Revolution entscheidend beteiligten Arbeitern und radikalen kleinbürgerlichen Demokraten politische Rechte gewähren zu müssen.
Die kleinbürgerlichen Demokraten ihrerseits, obwohl ihre radikalsten Vertreter aktiv an der badisch-pfälzischen Revolution teilnahmen, waren insgesamt nicht mehr in der Lage, sich gegen die Bourgeoisie durchzusetzen oder gar die Führung zu übernehmen. Hatten sich die entschiedensten Demokraten in der Auseinandersetzung mit Brentano in Karlsruhe in einem „Klub des entschiedenen Fortschritts“ zusammengeschlossen, um die provisorische Regierung zu entschiedenen revolutionären Maßnahmen zu zwingen, so resignierten sie, als der Regierungschef den Klub im Rahmen seines konterrevolutionären Staatsstreichs verbot. Seine Mitglieder traten den verschiedenen Freischaren oder den Volkswehrbataillonen bei und gingen an die Front.
Nach der Niederlage an der Murg erklärte Struve im Exekutivkomitee zwar, jede Verhandlung mit der preußischen Konterrevolution sei als Verrat zu betrachten, aber da war das Schicksal der letzten Erhebung in Deutschland bereits entschieden. Brentano und seine Anhänger, der Möglichkeit beraubt, sich der Konterrevolution offen in die Arme werfen zu können, flohen in die Schweiz.
Anmerkungen:
[1] In der Frankfurter Paulskirche entschied sich das Schicksal der deutschen Revolution von 1848/49. Beitrag des Autors im „Weltexpress“ vom 29. Mai 2024
[2] In Marx Engels Werke, Dietzverlag Berlin/DDR 1960, Bd.7, S. 109-197.
[3] Ebd., Vorwort, S. X f.
[4] Enthalten ebd., Bd.8, S. 3 bis 103.
[5] Sie war in zweiter Ehe mit dem ehemaligen preußischen Leutnant Fritz Anneke, der die pfälzische Artillerie kommandierte, verheiratet, selbst Meldereiterin im Freikorps von Oberst Willich. Sie emigrierten nach der Niederlage in die USA, wo Franziska eine bekannte Vorkämpferin der Demokratie- und Frauenbewegung wurde. Siehe die Biographie von Karin Hockamp: Von vielem Geist und großer Herzensgüte“, Bochum 2012.
[6] „Michail Bakunin – der Revolutionär und Anarchist verstarb am 1. Juli 1876“
[7] In: Mohr und General. Erinnerungen an Marx und Engels. Berlin (DDR) 1964, S. 425.
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