Sehr genau erinnere ich mich an meine erste Rahmung: Mit einem alten Rahmen in der Hand betrat ich die Türschwelle der Kunsthandlung Julius Giessen in Frankfurt am Main, Rahmenhändler und Vergolder in vierter Generation seit 1873. Der Geruch von Schellack und Poliment schlug mir entgegen, einer dieser faszinierenden Gerüche, die einem gleich sympathisch sind. So stand ich dort mit meinem bescheidenen Kupferstich in der einen und dem alten Rahmen in der anderen Hand also in der Türschwelle. Jens Giessen, Geschäftsführer der Rahmenhandlung Julius Giessen, besah sich die Stücke genauer und nachdem er die Kombination Bild und Rahmen für „in Ordnung“ befunden hatte, machte er sich ans Werk. Nicht ganz selbstverständlich, denn eine Rahmung, von der Herr Giessen nichts hält, führt er auch nicht aus. „Am Ende ist mit einer wenig passenden Rahmung weder man selbst, noch der Kunde wirklich glücklich – und dem Kunstwerk tut man damit auch nichts Gutes“, so der gelernte Vergolder.
Die Rahmung ist also ein denkbar entscheidender Schritt, um ein Bild ins rechte Licht zu setzen. Während man ein Gemälde in den meisten Fällen zwar auch ohne einen Rahmen an die Wand hängen könnte, wird dies bei Papierarbeiten ungleich schwieriger. Hier braucht es viel Erfahrung, Augenmaß und Gespür, um die richtige Rahmengröße und Stilart zu finden. Gerade Graphiken vertragen gut auch alte Leisten oder gute Replikate.
Das Verständnis gerade für historische Rahmen war nicht immer so stark wie heute. Noch vor wenigen Jahren veräußerten Museen alte und ungenutzte Rahmen um „Platz zu schaffen“ in Ihren Depots. Darunter wertvolle Originalrahmen des 15. – 18. Jahrhunderts. In Auktionshäusern wurden Bilder jahrzehntelang ihrer Rahmen entledigt, im besten Fall bedienten sich noch sammelfreudige Passanten dann an den, auf der Straße für den Sperrmüll bereitstehenden Objekten.
Im späten 19. Jahrhundert, als Antiquitäten zum ersten Mal auf breiter Ebene salonfähig wurden und nach Epochen gestaltete Themenräume in Mode kamen, trat auch zum ersten Mal ein Interesse an alten Rahmen auf. Hatte man nun z.B. ein Renaissance- oder ein Barockzimmer mit passenden Gemälden eingerichtet, sollten die Rahmen ja nun auch diesem Stil entsprechen. Wilhelm von Bode (1845 – 1929), erster Direktor des Bode Museums in Berlin, hatte ja gerade versucht, Themenräume als einheitliches Portrait von Raumkunst und Kunstwerken derart zu gestalten. Wenn wir heute durch die wiederhergestellten Räume des Bode Museums schreiten, sind wir der Idee des Namenspatrons wieder ganz nah: Nicht als singuläres Werk sehen wir hier einzelne Exponate, sondern im Kontext der zeitlichen Umgebung – und dazu gehört für Bilder gesprochen auf jeden Fall eine historische Rahmung.
Eine ganz besondere Ausstellung zeigt gerade die alte Pinakothek in München: Die Schau konzentriert eben nicht aufs Bild, sondern um die Leiste darum. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen besitzen nicht nur einen riesigen Bestand an gerahmten Bildern, sondern auch eine große Rahmensammlung. Für die Ausstellung sind Rahmen aus der Zeit von 1600 bis 1850 erforscht und in einer Auswahl dem Publikum präsentiert worden.
Entwürfe von verschiedenen Künstlern, die nachweislich für die Kurfürsten von Bayern und Pfalz und für verschiedene bayerische Kirchenfürsten gearbeitet und Rahmen entworfen haben, werden in der Ausstellung gezeigt und mit den erhaltenen Rahmen konfrontiert.
Die erste Gruppe der gezeigten Rahmen umfasst die sogenannten Galerierahmen, aus der Kammergalerie, aus der Grünen Galerie, aus den Schlössern und Residenzen wie Schleißheim, Nymphenburg, Passau, Würzburg und aus den Düsseldorfer, Mannheimer und Zweibrücker Sammlungen, die sich zahlreich erhalten haben. Für die Entwicklung in München im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert stehen dann die Rahmen für die Hofgartengalerie von Carl Albrecht von Lespillez sowie für die Alte Pinakothek von Leo von Klenze im Mittelpunkt. In der zweiten Gruppe werden herausragende Rahmen, die entweder stilistisch oder historisch eine Sonderstellung einnehmen, gezeigt.
Gerade die frühen Stücke zeigen eine überraschende Detailliertheit: Auflagen aus Jaspisachat oder Schildpatt sind hier kostbar eingesetzt und verarbeitet. Ein Paul Egell zugeschriebener, braun lasierter Birnbaumholzrahmen beeindruckt durch seine expressive Vanitasthematik: Ein halbseitig verwester Schädel, von kriechendem Gewürm durchsetzt weist, dekorativ in eine Muschelkartusche eingesetzt, auf die Vergänglichkeit hin. „ And though worms destroy this body, yet in my flesh shall I see God“ – so heißt es in Händels Messiahs. Der um 1720 entstandene Rahmen ist Ausdruck dieses historischen Paradigmas. Trotz des makabren Zentralmotivs ist der Rahmen jedoch, dank Rosenranken, von Gittern durchbrochenen Rocaillen und Rollwerkkartuschen ein herrliches Stück. Aber auch wertvolle geschnitzte Galerierahmen des Barock und Rokoko geben den Bildern einen grandiosen Schwung. Mit dem Klassizismus, hier vorrangig mit Arbeiten Leo von Klenzes repräsentiert, kehrt die Strenge zurück in die Rahmenkultur.
Wenn man heute ein schönes altes Exemplar erwerben möchte, so muss man leider tief in den Geldbeutel langen: Die Preise für gute historische Rahmenleisten sind in Deutschland über die letzten Jahre sprunghaft in enorme Höhen gestiegen. Dies liegt nicht zuletzt an der Person des Sammlers Heinz Berggruen in Berlin. Berggruen hatte ein enormes Faible für historische Rahmen, mit denen er seine Picassos, Mirós und andere Expressionisten und Moderne versehen ließ. Von dem grandiosen Ergebnis angesteckt, ließen immer mehr Sammler, aber auch Museen ihre Werke ebenfalls neu mit alten Rahmen versehen. Da der Markt an alten Originalen natürlich nicht wächst, sind dementsprechend die Preise gewachsen. Die von Berggruen favorisierte Rahmenhandlung Olaf Lemke in Berlin ruft Preise bis weit über 60.000€ für einzelne Rahmen aus. Lemke teilt in drei Preisgruppen ein: A) bis 7.000€, B) 7.000 – 15.000€ und C) über 15.000€. Unter Berliner Galeristen ist man sich über das Maß der Bedeutung dieser aufwändigen Rahmungen uneins. Dass mag zum Teil mit einem kleinen Neidfaktor zusammenhängen. Die Tatsache jedoch, dass nach dem Tod Berggruens eine der beiden Lemke Filialen schließen musste, deutet so mancher Kunsthändler aber auch dahingehend, dass hier Preise künstlich hochgehalten wurden.
Von diesem Streit unbeeindruckt muss man Lemke aber eines unbedingt konstatieren: er hat mit seinen erstklassigen Rahmungen und seinem grandiosen Fundus maßgeblich dazu beigetragen, dass Rahmen nicht weiterhin ein Schattendasein fristen. Mittlerweile gibt es eine ganze Literaturliste, die sich nur um das Thema Rahmung dreht. Wer einmal bewusst darauf achtet, wird in Museen ganz neu auf Entdeckungstour gehen können.
Mich jedenfalls hat das einmal entfachte Feuer nicht mehr verlassen. Fast alle geerbten Rahmen habe ich mittlerweile zur Restauration gegeben und mit neuen „Inhalten“ kombiniert. Gerade der Kontrast eines modernen Kunstwerks mit einem klassischen Rahmen, an die die Zeit ihre Spuren hinterlassen hat, kann einen ganz besonders hinreißenden Charme entfalten. In der Sammlung Berggruen am Charlottenburger Schloss in Berlin kann man sich davon selbst überzeugen.
Ausstellung: „Rahmenkunst – Auf Spurensuche in der Alten Pinakothek“ bis zum 18. April 2010
Katalog: Rahmenkunst. Auf Spurensuche in der Alten Pinakothek, hrsg. von Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Text von Helge Siefert, Verena Friedrich, Gestaltung von Büro Sieveking 2010, 264 Seiten, 158 Abb., davon 152 farbig,ISBN 978-3-7757-2606-1
Internet: www.pinakothek.de