Locker vom Hocker – „Expeditionen in die Dunkelzone“ verspricht „The Porn Identity“ der Kunsthalle wien in Wien

Stanley Kubrick, Korova Milkbar, 1971/2007, replica, designed by Liz Moore.

Auf den Hocker, den lockeren, kamen wir beim ersten Ausstellungsstück, das unsereinem beim in das Kunstwerk Hineinfühlen gar Scheidenkrämpfe verursachte. Fast. Wir ließen schnell das Nachempfinden. Vor uns baut sich nämlich die „Junggesellenmaschine“ auf. So nennt ihr Hervorbringer, Robert Müller, diese klinische Fahrrad von 1957/2007, auf dessen vorderen Sattel sich ein schwarz glänzender Stengel auftürmt, der doch, wenn man das Fahrrad tritt, genau in das vorgesehen weibliche”¦, denn wenn es für männliche rückwärtige Öffnungen gedacht sei, dann doch nicht an dieser Stelle? Nicht, daß wir nicht unsere Phantasie angestrengt hätten, ob das Ding beim schneller Durchtreten der Pedale sich vielleicht auch dreht oder noch verlängert oder oder. Liebe Leute, da kann man noch soviel Bezüge zu Marcel Duchamps und Jean Tinguelys Fahrradkonstruktionen behaupten und mit Namen wie Alfred Jarry und Franz Kafka um sich werfen, geht’s nicht eine Nummer kleiner, dafür witziger.

Na und witzig fanden wir dann „In front of the Green Door“ von Johannes Wohnseifer aus dem Jahr 1996. Nicht die Tür war witzig, sondern unsere Reaktion, die sicher der eines Normalbesuchers entspricht, der seinen Eintritt bezahlt hat und nun abklappert, wofür er bezahlt hat. Denn hinter der Türe sieht man es flunkernd flattern, wir wollen sie also öffnen, diese in häßlichem Badezimmergrün gestrichene Holztür, die ordinäre Türgriffe besitzt. Geht aber nicht. Ist ein Kunstwerk, merken wir Gott sei Dank beizeiten, ehe wir die Tür demolieren – mit den Handgriffen. Denn eingetreten hätten wir sie nie, dazu hat uns das, was man durch den Türspalt sieht, dann doch zu wenig interessiert. Spalten eben. Die von Frauen, die so aufgemotzt und dick angemalt etwas derart Unsinnliches in unseren Augen ausstrahlen. Eine moderne Werbewelt, wo Frauen blond zu sein haben, die eine darf dunkel sein, hochbeinig, mit großen Brüsten und möglichst einen schwarzen Nierenschoner anhaben, der bei Bedarf auch oben die Brüste bedeckt und unten alles freilegt oder umgekehrt, die Brüste sichtbar macht und die Scham verdeckt, aber sinnvoller bei einem Pornofilm dann doch die Nieren in der Körpermitte schont.

Dringend müssen wir noch nachtragen, daß die Türgriffe an der grünen Tür von Ludwig Wittgenstein stammen. Steht jedenfalls dort und wir bezweifeln das nicht. Wie gut, daß er Philosoph und Mathematiker geworden ist. Er hätte sich übrigens bei den Kramergriffen etwas abschauen können. Das sind wirklich handschmeichelnde, einfache und schöne Fenster- und Türgriffe, die Ferdinand Kramer aus den teueren Materialien machen ließ und die seltsamerweise in Japan bekannter und beliebter sind als bei uns. Und wir müssen auch noch nachtragen, daß dieser Werbefilm für einen Schönheitschirurgen von Andrew Blake „Possessions“, eine DVD von 1997 ist.

Sie merken schon, so richtig angetörnt haben uns die ausgestellten pornographischen Materialien nicht. Wir halten’s damit, daß wir das lieber selber tun, aber dabei privat bleiben wollen, weil der ganze Bereich Sex – wichtig: um Erotik geht’s hier überhaupt nicht. Das wird nur behauptet. Erotik setzt den Geist voraus – in unseren Augen eine intime Angelegenheit ist, die umso schöner, je intimer sie stattfinden kann. Aber jedem Tierchen sein Pläsierchen. Und so haben wir uns sozusagen als Professionelle unter den Professionellen des Gewerbes umgetan, als professionelle Schreiberin natürlich. Aber alles, was wir von Videobändern sahen und hörten, das kannten wir schon in dieser Melange aus Gedemütigt sein und Aufbegehren von Frauen, die ihre Position im gewerblichen Geschlechterdschungel suchen und behaupten.

„The Porn Identity konfrontiert den Wildwuchs der Pornografie mit Laufbildern, Skulpturen und Installationen, die das sexuelle Begehren reflektieren.“ sagt der Ausstellungstext und fährt fort: „Der Transfer der schamlosen Bilder in den kunstinstitutionellen Raum durchbricht nicht nur den pornotypischen Zusammenhang von marktorientierter Veröffentlichung und reprivatisiertem Konsum, sondern stellt durch die einhergehende Verkomplizierung der pornographischen Identität auch die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Kunst und der visuellen Kultur der Simulation. So verzweigt sich der Ausstellungsparcours in einem Bildermischwald, der verschiedenste unterirdische Verbindungen aufweist.“

So lesen Sie, was sich die Leute dabei gedacht haben, wo Sie einfach so ungerührt durch den Sexparcour schlendern. Viele kommen alleine, aber zumindest eine Dreiergruppe hat sich angelegentlich über die Ausstellungsstücke unterhalten, hat aber eingeschritten, als wir das aufschreiben wollten. Dabei war die inhaltliche und sprachliche Differenz zwischen dem einen Mann und den zwei Begleiterinnen offensichtlich. Das ist dann wieder das Interessante an solchen Ausstellungen, daß einen die Reaktionen der Besucher auf die als Provokation gemeinten und als Kunstwerk stilisierten Gegenstände mehr interessiert als ihr Anlaß, die Kunst genannten Pornos aus Gips, Holz, Metall und Fotopapier.

Wahrscheinlich gibt’s nichts, was es dort nicht gibt, Saldo-Maso einschließlich. Aber welch einfaches Gemüt wir haben und wir sind, das konnten wir selber wieder einmal an einem uns bekannten Gegenstand erkennen. Während uns das Schlecken und Schlachten, das Betatschen und gegenseitige oder Selbstbefriedigen allein, zu zweit, zu dritt”¦kalt ließ, konnten wir herzhaft lachen über einen alten Kalauer: „The Bronze Pinball Machine with Woman Affixel Also“, von Edward Kienholz und Nancy Reddin Kienholz 1980 kreiert. Das ist ein 190 x 100 x 200 cm großer Spielautomat, auf dessen Mattscheibe Playboy steht und Häschen in Form von Frauen und Männern zur Verfügung stehen. Das eigentliche aber ist, daß der Roulettetisch auf dem Körper einer Frau steht, denn unten als Fortsetzung des Tisches ragen die geöffnete Scham, sowie die abgespreizten Schenkel heraus, damit sich die Teilchen richtig schön öffnen und natürlich muß der nackte Unterleib Stöckelschuhe tragen, sonst wäre das Bild nicht vollendet. Das findet alles im Bronzeton statt, schön glänzend und der Realität völlig angemessen, da die Frauen die Erde tragen und dafür noch immer nicht die Hälfte des Himmels besitzen..

Das Ding hätten wir gerne, denn immerhin gibt’s davon drei Exemplare. Wir würden es in die Redaktion stellen oder in das häusliche Entre und sicher wäre, daß jeder Eintretende in den weiblichen Schlitz einen Obolus entrichten müßte. Einfach so und ohne Gegenleistung. Aber leider, leider, ist ja Kunst, gehört ins Museum und da wollen wir diese Pornos und andere pornographischen Gegenstände auch gerne belassen und lieber selber Liebe machen.

P.S. Wir müssen noch nachtragen, daß wir Courbets „Ursprung der Welt“, auf das sich Arbeiten in der Ausstellung immer wieder beziehen, ganz und gar lieben und für ein wahres Kunstwerk halten und daran nichts Pornografisches entdecken können. Einen weiblichen Unterleib eben, der den Pinsel und der Farben wert ist. Und der dennoch im Museum für viele Besucher einen Schock darstellt. Stellen Sie sich mal eine Stunde in die Ecke diesen Raumes in Musée d’Orsay, in dem in der Mitte dieser Courbet hängt und beobachten Sie die Besucher. Wie mancher Mann hilflos nach der Hand seiner Frau greift und manche Frauen ihre Männer vorbeiziehen, wie die einen sich erst einmal umgucken, wer Ihnen zuguckt beim Gucken und wer sich selbstverständlich traut und direkt davor stehen bleibt. Sehr wenige. Da lernt man was über die „Dunkelzone“ und muß noch nicht mal Expeditionen durchstehen.

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Ausstellung:

in der Kunsthalle wien noch bis zum 1. Juni 2009.

Katalog:

Begleitend zur Ausstellung: The Porn Identity. Expeditionen in die Dunkelzone, Verlag für moderne Kunst Nürnberg mit werkbezogenen und weiterführenden Texten verschiedener Autoren, 216 Seiten, 2009

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

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