Aber als eine der verheerenden Folgen des Nationalsozialismus muß man auch unseren gesamtgesellschaftlichen Umgang mit dem Wörtchen „Reinigen“ einordnen. Das gilt nicht für Putzmittel, die dürfen, ja sollen sogar reinigen. Aber eine gereinigte Sprache, eine bereinigte Sprache? Das, was für andere Länder selbstverständlich ist, daß nämlich eine angesehene Institution sich um die Landessprache kümmert, damit diese blühe und nicht verkümmere, so etwas wie die Academie Francais in Frankreich, der anzugehören eine Ehre ist, das fehlt bei uns. Und leider, leider hat auch die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, die den wichtigsten Literaturpreis, den Büchnerpreis und weitere renommierte Preise vergibt, diese Funktion nicht übernommen. Hinzu kommt, daß auch staatliche deutsche Stellen sich hüten, irgendwie erkennbar in den Prozeß des Sprechens der Deutschen hineinzureden, wie sie meinen, was wir ja sofort andersherum als Schutz der Sprache vor ihrem Mißbrauch fordern. Es ist also nicht einfach, das Deutsche den Deutschen als schön und schützenswert ans Herz zu legen.
Genau das aber tun die vier Autoren, die zudem nicht im allgemeinen Sprachgebrauch der Bevölkerung den Übeltäter sehen, dies eher als Nachgeplapper kommentieren, sondern den Finger auf die Leute richten, die aus angeblich modischen genauso wie aus finanziellen Gründen glauben, Amerikanismen ins Deutsche übertragen zu sollen oder mit Denglisch eine ordinäre Mischform vorlegen. Eine besondere Kategorie bilden diejenigen, deren Sprachschludereien aus beruflichen Gründen erfolgen, sei es im Studium der Wirtschaftswissenschaften oder der Werbeagentur, die sich besonders auf Englisch und Denglisch kaprizieren. Warum das schlimm ist? Erstens sind diese Worte wie ’Shareholder Value’ oder ’Public Viewing’ – in Amerika der Spezialausdruck für das Aufbahren eines Toten – einfach hässlich, zweitens verstehen sie nicht mal die Hälfte der Bevölkerung, drittens aber – und das ist das Allerallerwichtigste – verlernen wir alle miteinander, unsere eigene Sprache lebendig zu halten und auf die Erfindung neuer Gegenstände und Verhältnisse mit der Erfindung neuer deutscher Begriffe auf diese zu reagieren. Das also, was unsere Voreltern selbstverständlich leisteten, indem sie die Sprache den herrschenden Verhältnissen anpassten, das verlernen wir gegenwärtig. Oder wann haben Sie das letzte Mal ein Wort erfunden, für eine Situation, ein Gefühl, eine Farbe, einen Geschmack oder einen Gegenstand.
Und weil wir das für das Allerwichtigste halten, sind wir schon von den ersten Seiten dieses Gemeinschaftswerkes begeistert, die aufzeigen, wie sprachschnell und sprachgenau noch unsere Eltern, Groß- und Urgroßeltern reagierten. Wohl so etwa bis in die Sechziger Jahre. Denn noch 1947 wurde der neue amerikanische Begriff ’Cold War’ im Deutschen zum ’Kalten Krieg’, der ’Airlift’ wurde zur ’Luftbrücke’- ist das nicht ein wunderbares Wort für den damaligen politischen Vorgang der Einschnürung von Berlin und seiner Gegenwehr – , der ’Self Service’ zur ’Selbstbedienung’. Spüren Sie bitte diesen beiden letzten Begriffen nach. Im deutschen ’Selbstbedienen’ schwingt sehr viel mehr eigenes Tun mit als im ’Self Service’, der deutsche Begriff ist also genauer. Das Deutsche galt ja auch lange als Wissenschaftssprache, vor allem die Sprache der Philosophie, weil sie in Sprachfärbung und Klangmöglichkeiten mit der Sprache in besonderer Weise auch emotionale Differenzierungen vermitteln kann, wie gerade ’Abwrackprämie’ zeigte, früher eher Begriffe wie ’Weltschmerz’ oder ’Heimweh’, auch ’feinfühlig’ und ’mutterseelenallein’ (Seite 65).
Gerade am ’Brain’, am ’Hirn’ also, zeigen sich die Unterschiede von heute zu damals. Das infolge des Koreakrieges in den USA kreierte ’Brain-washing’ – total spannend, daß die Autoren auf den chinesischen Ursprung ’hs-nao’ zu sprechen kommen, was ’Waschen des Gehirns’ bedeutet (Seite 7) – wurde in den Fünfzigern noch als ’Gehirnwäsche’ sinnvoll und prägnant verdeutscht. Das seit den Siebzigern in Pädagogik. Wissenschaft und Wirtschaft übliche ’Brain-storming’, hat bis heute noch keine sinnvolle deutsche Begrifflichkeit. Dabei haben es hier die Autoren so richtig versucht. In einem Feldversuch – vier Jahre hat die dpa jeweils am ersten Sonntag des Monats ein Publikumssuchwort unter die Leute, sprich Zeitungen gebracht – kam auch dieses sprachliche Ungetüm dran. „Zum Suchwort Brainstorming haben uns 4 436 deutsche Muttersprachler aus allen Kontinenten 10 380 Eindeutschungen vorgeschlagen.“ (Seite 12). Und darin lag und liegt das Problem: Gripstreffen, Grübelplausch, Denkgewitter, Gedankenquirl, Rumspinnen, Tüftelrunde, Hirnhatz, auch plattdeutsch ’Klugschietermarkt’, gar ’Alzheimer-Prophylaxe’ oder ’Synapsen-Tango’, sind ja ganz witzig und sinnig, aber je mehr Vorschläge, desto weniger wahrscheinlich, daß es gerade dieses eine Wort ist, daß das englische ersetzen kann. Das heißt nicht, daß man es nicht dauernd versuchen sollte und deshalb ist dies Buch geschrieben worden.
Fortsetzung folgt.
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Wolf Schneider, Cornelius Sommer, Josef Kraus, Walter Krämer, Deutsch lebt! Ein Appell zum Aufwachen, IFB Verlag Deutsche Sprache 2010