Derzeit schmückt es sich mit interessanten Namen und Veröffentlichungen der deutschsprachigen Literaturszene. Das garantiert selten volle Häuser, aber auf jeden Fall Entdeckerglück. In diesem Jahr trägt das Weimarer Bücherfest, das vom 23. April bis 10. Mai dauert, den programmatischen Titel MUT.
Die Eröffnungsveranstaltung am 23. April im Weimarer Jugend- und Kulturzentrum mon ami war Wolf Biermann vorbehalten. Das nicht mehr ganz junge Publikum strömte recht artig und füllte den Saal zu drei Vierteln. Bücher gabs zuhauf zum Welttag des Buches, eine Lesung nicht. Die Veranstaltung war als Konzert angekündigt. Doch zu Beginn rührte der Weimarer Oberbürgermeister Stefan Wolf an den Schlaf der Welt gegen die Schweinerei in Syrien und verlas einen Appell der syrischen Autorin Samar Yazbek. Eine Schweigeminute schloss sich an.
Biermann erzählte viel und sang ein wenig. Dieses Verhältnis ging völlig in Ordnung, denn das machte die Sache kurzweilig. Biermann, der politische Entertainer. Er bleibt der Narr, der den Spiegel vorhält, der Gesellschaft, jedem Einzelnen und mit inzwischen 75 Jahren vor allem sich selbst. Er schreibt auch in seine Bücher Widmungen noch immer konsequent in Spiegelschrift hinein. Das Publikum dankt ihm alles ergeben, obwohl es sich im Verlauf des Abends seines jüdischen Witzes nicht immer gewachsen zeigt.
Biermann, der unermüdliche Streiter. Biermann, der Geradlinigkeit über alles schätzt, auch wenn Fehler dabei passieren. Er wittert sowieso jede Schweinerei, hadert mit der Hoffnung, verabscheut Menschen, die KZs zu touristischen must-haves stilisieren, findet Wagner scheiße, hält sogar Hotels für unbetretbar, wenn ein Schurke darin Gast war. Er würde mit Worten und Fäusten auf mich losgehen, bezeichnete ich ihn heute als Wutbürger.
Nach drei Stunden Rück- und Nabelschau beschloss Biermann, sein Publikum und sich selbst aus dem Abend zu entlassen. Die Zeit verging wie im Fluge, nur der Tank war leer, auf beiden Seiten des Bühnenrands. In diesem Moment steht ein alter Mann in beigem Ostblouson von seinem Platz auf, die weißen Haare streng zurück gekämmt, die Hände an der Hosennaht: „Herr Biermann, wir danken Ihnen für dieses Konzert.“ Sekunden knistern. Biermann starrt den Mann an, dann das Publikum und sagt: „Es ist doch immer etwas anderes, im Osten zu spielen.“ Das Publikum weiß wieder nicht, ob es lachen darf. Der Mann sagt: „Ich denke, ich spreche im Namen aller.“
Weitere Infos zum Bücherfest Lesarten Weimar: http://www.lesarten-weimar.de