Yang: Besonders sichtbar ist die Einflusslosigkeit der deutschen Regierung bei dem NSA-Geheimdienst-Dilemma, bei dem die Frage aufgeworfen wird, wieso Deutschland technisch keine Möglichkeiten hatte und hat, sich gegen derartige "Heimsuchungen" zu schützen; das weltweit als Kernland der qualitativ hochstehenden Technik angesehene Deutschland ist offenbar schutzlos den geheimdienstlichen Manipulationen anderer Nationen – hier der USA – ausgeliefert. Industriespionage ist da inklusive. Wieso können der deutsche Geheimdienst, die Forschungseinrichtungen der Bundeswehr-Hochschulen, die vielgerühmten Institute Max-Planck, Fraunhofer, Heinrich-Hertz usw., die Forschungseinrichtungen der mehr als dreihundert deutschen Hochschulen und schließlich die Bundesministerien für Verteidigung, für Forschung und Technologie, das Innenministerium keine Gegenmaßnahmen entwickeln – und zwar vorbeugend, nicht erst, wenn alles bereits in den Brunnen gefallen ist?
Fetscher: Ist es besonders dieser Bereich, der Ihnen Sorgen macht?
Yang: Es kratzt an der demokratischen Grundordnung, wenn die vom Volk mit der Regierung beauftragte Exekutive offensichtlich in wichtigen wirtschaftlich, technisch und organisatorisch zentralen Belangen das Heft des Handelns nicht eindeutig in der Hand hält.
Fetscher: Gibt es aus Ihrer Sicht weitere signifikante Beispiele für diese von Ihnen bedauerten Mängel?
Yang: Jedermann präsent ist die Euro-Krise der letzten Jahre: die Regierung geht eine Verpflichtung zur Schuldenbegrenzung ein und hält sich dann nicht daran.
Welche für den Wähler undurchsichtigen Zwänge stehen hinter diesem Versagen?
Zusätzlich werden internationale Zusagen zur Schuldenübernahme der Defizite anderer Länder gegeben, obwohl die deutsche Legislative gerade dies in einem Beschluss untersagt hatte. Wo bleibt da die Demokratie? – In der Bautechnik gibt es "passende" Projekte, von der Planung des Stuttgarter Hauptbahnhofs über den häufig unterbrochenen und korrigierten Elb-Philharmonie-Bau zu dem Dilemma des BER-Hauptstadtflughafens: all diese Projekte sind gekennzeichnet durch Intransparenz, sowohl im inhaltlichen als auch im finanziellen und im zeitlichen Bereich, von der Frage der verantwortlichen Zuständigkeit ganz zu schweigen.
Jedes Bauprojekt hat doch – so ist der Stand der international praktizierten Technik – eine vorangehende Machbarkeits-(Feasibility-)Studie, die vor der Entscheidung zur Durchführung von den möglichen Auftragnehmern, meist kostenmäßig zu deren Lasten, vorzulegen ist. Nach der Entscheidung des Bauherrn ist mit üblichen zehn Prozent der gesamten Projektkosten vom Auftragnehmer bzw. vom Auftrag nehmenden Konsortium die Planung aller technischen, organisatorischen und wirtschaftlichen Abläufe zu erstellen. Die Einhaltung dieser verbindlichen Planung kann von den Auftraggebern – und das ist die Regierung der Region oder der Nation – eingefordert werden. Deutschland baut mit renommierten Firmen international erfolgreich: die von Hochtief gebauten und betriebenen Flughäfen in Athen und Warschau sind beispielhaft; warum funktioniert das nicht auch "zu Hause"? Liegt das daran, dass die verantwortlichen Projektmanager im Outsourcing-Verfahren bei ausländischen Projekten aus dem jeweiligen Ausland "an Bord" geholt werden? Oder entsteht das inländische Dilemma durch die Einmischung der exekutiven Politiker in fachliche Abläufe, die diese Politiker einfach überfordern? Warum übernehmen sich diese Politiker mit diesen Projekten? Ist es der Drang nach Ruhm durch Mitarbeit an einem wichtigen Projekt? Oder gibt es "andere" Vorteile durch diese Einmischung? Hier sollten parlamentarische Untersuchungsausschüsse Klarheit schaffen!
Es stellt sich auch die Frage, warum z.B. beim Flughafen BER mit dem
Allerwelts-Manager Mehdorn jemand in die Verantwortung geholt wurde, der vom Flughafenbau nicht wirklich etwas versteht. Und der als Geschäftsführer von einem ebenso "unwissenden" Aufsichtsrat geführt werden soll, der hofft, daß über die Beantragung und Bewilligung von Regiekosten alle Planungs- und Ausführungsprobleme gemanagt werden können. Das ist nicht so; sondern wird in dieser Form stets unvollkommenes Stückwerk bleiben. Der Bau des Münchner Franz-Joseph-Strauss-Flughafens hat doch – bei Einhaltung der geplanten Kosten – funktioniert. Bundesweit amüsierte man sich dabei über die problembärenhafte Stammelei des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber, der sich aber letztlich nicht in das Baugeschehen eingemischt hatte, sondern die Fachleute erfolgreich werkeln ließ. Diese "Flughafenbaumannschaft" hätte auch nach Berlin
zum BER geholt werden müssen!
Die Rentenregelungsmisere ist ein weiteres Beispiel für "Kontrollverluste der Demokratie". Nur fünf Prozent der Steuerzahler tragen mit ihrem Superverdienst neunzig Prozent der Einkommenssteuerlast (natürlich sind hier die von allen Einwohnern gleichmäßig zu tragenden Verbrauchssteuern außen vor). Eine höhere Steuerlast zur Finanzierung von zusätzlichen Rentenlasten träfe also nur einen kleinen Teil, noch dazu den vermögenden, der Bevölkerung, der außerdem durchaus bereit ist, diese Last ggf. zu übernehmen – hatte er doch auch schon zu Kohls Zeiten wesentlich höhere Steuerlasten zahlen müssen, die dann paradoxerweise von den sozialdemokratischen Bundesregierungen zurückgefahren worden waren. Versteh einer z.B. den Schröder, der auch heute noch stolz ist – er könnte ja auch Korrekturen anmahnen – auf die für die breiten Arbeitnehmerschichten katastrophalen Agenda-2010-Beschlüsse.
Die Gesundheitspolitik der Regierung ist ebenfalls Dokument der demokratischen Mangel- bzw. Kontrollverlust-Situation: Einführung der Praxisgebühr, Abschaffung der Praxisgebühr, Kontrolle über Chipkarten, Erhöhung der Krankenkassenbeiträge usw.; die Gesundheitsministerin Fischer hat vor allem erreicht, daß die Vorstände aller Krankenkassen höhere Einkommen erzielten: ist das erfolgreiche Gesundheitspolitik? Noch nie gab es bei Krankenhausaufenthalten so viele auf ärztliches Verschulden zurückgeführte Todesfälle wie heute: ca. 40.000 pro Jahr!
Im Straßenverkehr sterben heute ca. fünftausend Personen pro Jahr. Der "Krieg im Krankenhaus" wird auf multiresistente Krankenhauskeime geschoben: Schuld ist aber das Hygiene-System, das diese Misere ermöglicht! Mit stetiger Steigerung, Jahr für Jahr! In holländischen Krankenhäusern gibt es dieses Problem nicht; dort werden deutsche Patienten mit Quarantäne belegt, um deren Keimbrut "draußen" zu lassen. – Der deutsche "Gesundheits"-Etat liegt in der Größenordnung des gesamten Bundeshaushalts – ob da noch von Effektivität bzw. von Kontrollfähigkeit gesprochen werden kann?
Bildung und Ausbildung sind ein weiteres Thema: viele handwerklichen und ingenieurbezogenen Tätigkeiten werden heute aus Manpower-Kostengründen ins Ausland verlagert. Ganze Industrie-Areale stehen leer: Summieren Sie einmal die von der GSG in Berlin verwalteten ehemaligen Fabrikgebäudeflächen: dieser Leerstand ist eine reine Anklage gegen die Unfähigkeit der Politik, diese Flächen mit gewerbetreibendem Leben zu erfüllen! Wie kann in Berlin "gefeiert" werden – wofür der Regierende Bürgermeister ja buchstäblich bekannt ist – wenn sich gleichzeitig katastrophale Szenarien in seit vielen Jahren, teilweise Jahrzehnten, leerstehenden und verfallenden Gebäuden abspielen? Diese Gebäude mit industriellen oder handwerklichen Mehrwertschaffern zu füllen, ist Aufgabe der Politik! Oder Nutzung der Gebäude durch Etablierung hochwertiger Ausbildungsstätten.
China beispielsweise hat heute eine gleich- oder höherwertige
Ingenieurausbildung als wir in Deutschland. Das liegt an den staatlichen
Investitionen im Hochschulbereich, der hervorragenden Bezahlung der
Professorenschaft, den von den Studierenden mitzutragenden hohen
Ausbildungsgebühren, der gründlichen Planung und Strukturierung von
Ausbildungsinhalten; hier ist Deutschland zurückgefallen, Wissensmanagement beschränkt sich bei uns vor allem auf die Institute der Blauen Liste, die bei Forschungsprojekten systematisch den Förderzuschlag der Regierung erhalten, ja, die sogar selbst an den Ausschreibungsformulierungen der Regierung beteiligt sind. Die breite Forschungslandschaft geht da leer aus. – Auch das Einkommen der Professorenschaft ist zurückgefallen: per Gerichtsurteil wurde vor drei Jahren festgestellt, daß das durchschnittliche Einkommen der Professorinnen und Professoren nicht den berufsentsprechenden Ansprüchen gerecht wird. Dieses in Hessen erstrittene Urteil hat Geltung für ganz Deutschland: ist die Professorenschaft schlecht bezahlt, kann das zu schwerwiegenden Folgen führen; fähige Köpfe haben eben auch andere Möglichkeiten. Deutschland ist schon längst nicht mehr das Land der Nobelpreisträger (die übrigens fast alle aus der Professorenschaft kamen).
Fetscher: Was schlagen Sie vor, wie dieser von Ihnen bemängelte Zustand bekämpft werden sollte?
Yang: Zuerst einmal brauchen wir erkennbare Leitlinien der politischen Parteien, aus denen die unterschiedlichen Zielsetzungen der durch diese Parteien repräsentierten gesellschaftlichen Kräfte erkennbar werden. Das muß sich auf zukunftsorientierte Zielsetzungen, aber auch auf die in den aktuellen Niederungen konkurrierenden und für viele essentiellen Problemstellungen beziehen, auf alle angehende Projekte, auf die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, auf ausreichende Einkommen im Erwerbsleben, auch vorher und danach, auf Bildung und Ausbildung, auf die Gesundheitspolitik und ihre Kosten; und schließlich auf ausreichende Transparenz aller Geschehnisse, damit der interessierte einzelne Bürgerinformiert ist und kompetent mit entscheiden kann – z. B. auch bei den demokratischen Wahlen.
Fetscher: Danke für das Gespräch.