Picco
Wäre nicht nötig gewesen. Dieser Film. Denn die Wirklichkeit ist hart genug. Und diese hat das Drehbuch geschrieben zu diesem Gefängnisdrama, das dann besser nach Bayern verlegt wurde, aber in der Jugendstrafanstalt Siegburg im November 2006 passierte: ein Foltermord an einem Zellengenossen. Das wird nun minutiös nacherzählt mit all den unglaublichen Verhaltensweisen der Angeklagten, deren Hauptangeklagter im Prozeß abschließend nur zu 15 Jahren verurteilt wurde, was ihm ein Grinsen ins Gesicht trieb. Regisseur Koch hat in den 109 Minuten des Films so alle Platitüden aufgefahren, vom sozialen Elend der Jugendlichen, die in der Strafanstalt noch schlimmer werden, und den internen Machtverhältnissen, wer also über wen herrscht in diesem Gefängnisdschungel. Aber warum man die sadistische Tortur des Foltermordes rund 20 Minuten mitansehen muß, erschließt sich einem nicht. Das ist kein Film, den man braucht, sondern man braucht einen anderen gesellschaftlichen Bodensatz, aus dem solche Greueltaten erwachsen.
Poll
Der Film spielt an der baltischen Ostseeküste mit einer grandiosen Kulisse und auf einem schönen und alten Landgut 1914. Der Gutshof heißt Poll. Das ist alles wie aus einem Hollywoodfilm, was wir sehen, also schöne große Bilder, exzellent gefilmt. Regisseur Chris Kraus, der auch das Drehbuch schrieb, hat sich viel vorgenommen, bei der Verfilmung des Aufenthaltes seiner Tante bei dem hochmütigen deutsch-baltischen Landadel direkt vor Ausbruch des 1. Weltkrieges und in diesen hinein. Oda (Paula Beer), die 14jährige Tochter hat die Mutter verloren, die nun im Sarg liegt, beide reisen von Berlin in die Provinz, in der als Oberschicht deutsche Blaublütige residieren, die niedere Russen und Esten beherrschen. Dort lebt der Vater (Edgar Selge), ein vom Dienst suspendierten Professor, den das alles nicht weiter von seinen vielen merkwürdigen Tätigkeiten abbringt.
Der Film hat dann das sich Aufeinanderbeziehen von Vater und Tochter zum Inhalt, das Großwerden und die Schwärmerei für den Anarchisten Schnaps (Tambet Tuisk) der Tochter. Die eigentliche Situation der historisch virulenten Situation, nämlich in welchem Ausmaß dieser deutsche Landadel die einheimische Bevölkerung ausgebeutet hat, ist nicht Thema. Muß es auch nicht sein, denn der Film will an schönen poetischen Einzelheiten vom Erwachsenwerden erzählen, dem schmerzhaften in der Ablösung von der Kinderwelt. Die Bilder des 129 Minuten langen Film betören.
I killed my mother
Jetzt ist er schon 21 Jahre, Regisseur und Hauptdarsteller Xavier Dolan seines vor zwei Jahren gedrehten Films, in dem man nicht immer weiß, inwieweit er sich und sein Leben selber spielt. Denn auch dieser Film handelt vom Großwerden und der Ablöse des Sohnes von seiner Mutter, wobei eigentlich nichts abzulösen ist, denn der Film ist nicht nur die Geschichte einer mißlungenen Mutter-Kind-Beziehung, sondern wortwörtlich die einer verfehlten Kommunikation. Mit einem Wort, die beiden können nicht miteinander sprechen, sich nicht verstehen, nicht verständigen.
Das hat mit deutlicher Schärfe der Dialoge der damals 17jährige ins Drehbuch geschrieben, das Xavier Dolan also auch verfaßte. Ein Mutterhasser, na ja. Einen Vater gibt es nicht, an wem soll sich der Knabe abarbeiten, zumal er auch noch andere Knaben liebt. Was das Gute an dem Film ist, läuft darauf hinaus, daß er nichts auf einen Mittelweg bringen will, sondern alles aus der Sicht des Sohnes erzählt. Der haßt seine Mutter geradezu für ihren vulgären Geschmack, ihre Unfähigkeit, aus sich etwas zu machen, diese Vernachlässigung sich selbst gegenüber, ist es, die der Sohn, der jung und knackig ist, nicht erträgt. Am Schluß spricht der abwesende Vater das Machtwort, der Konflikt ist nicht gelöst, nur verlagert und zugedeckt.
Weitere Filme
Mein Glück ist ein russisch-ukrainisch-deutscher Unterwegsfilm, in dem ein Fernfahrer sich auf den Weg macht, was der Film nachstellt, in dem er anfangs schöne Einfälle zeigt, aber einem auch das Gefühl vermittelt, daß dieser Film eines Anfängers (Sergei Loznitza) nicht am Zielort ankommt. Le premier venu/Just Anybody, ein Film aus Frankreich aus dem Jahr 2008, ist ein anrührender Film, in dem eine junge Frau beschließt, ihre Liebe dem ersten Besten zu schenken. Wer das ist und was passiert, baut auf. Serengeti des Tierfilmers Reinhard Radke will wissen, was 50 Jahre nach „Serengeti darf nicht sterben“, dem Kultfilm des Frankfurter Zoodirektors Bernhard Grzimek, aus dieser in den Erdboden eingelassenen Steppe in Afrika geworden ist. So weit und groß – Die Natur des Otto Modersohn bringt die Lebensgeschichte des Malers als Dokumentation, die in uns die Sehnsucht weckte, eine neue über seine Frau Paula Modersohn-Becker zu erleben. To Die Like a Man ist die Geschichte eines Travestiestars aus Lissabon. Ask Tesadüfleri Sever handelt vom Wiedersehen zweier, die sich in diesem türkischen Drama lieben. Magic Silver dagegen spielt in Norwegen und ist eine Phantasie mit Waldwichteln und Prinzessin. My Soul to Take in 3 D ist ein heftiger Serienmörderfilm, ein echter Horrorthriller.