Nach dem hoch gelobten Kriegstagebuch (WKI.) folgen nun Jüngers Feldpostbriefe an die Familie. Das Bedeutsamste gleich am Anfang: sie sind unvollständig. Wichtige Passagen, Gedichte und Auslassungen scheinen im Nachgang der Schere zum Opfer gefallen. Wahrscheinlich hat Jünger selbst Hand angelegt, bei der Lektüre wird auch schnell klar warum. In den Briefen schlummert nicht der tiefe Genius, der Ernst Jünger auszeichnet. Die Sätze sind banal, selbst den Briefen an den Bruder fehlt höherer Betrachtung, vom Weltgeist keine Spur. Den Vater gilt es zu beeindrucken, der Vater riet letztlich zur Führung eines Tagebuchs und hat an Jüngers Dichterwerdung einen Riesenanteil. Die Briefe sind halbheroische Mitteilungen eines kriegsversessenen Jünglings, immer auf Linie mit dem Kaiser und der deutschen Kriegspropaganda. Das zieht sich leider bis zum Kriegsende, da ist wenig Nachdenklichkeit, Reflektion oder Verzweiflung. Der Kaiser hat immer recht, ansonsten ist Krieg Krieg und Schnaps Schnaps. In den Briefen des jüngeren Bruder sind durchaus Ansätze von Poesie und Tiefe zu finden. Ernst Jünger konzentriert sich auf die persönliche Befindlichkeit und spielt den starken Mann. Vielleicht eine Strategie um die Schrecken zu verarbeiten? Im Gegensatz zu anderen Intelektuellen gibt es in Jüngers Briefen kaum Sympathie für den „Gegner“, der bei ihm nur zur Mehrung des eigenen Ruhmes (in den Kopf geschossen), bzw. zu Erweiterung der Devotionaliensammlung (Beutemachen) reicht. Der Samen höherer Erkenntnis scheint sich erst nach 1918 um Jünger eingenistet zu haben. Eine aufschlussreiche Sammlung.
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Ernst Jünger, Feldpostbriefe an die Familie 1915-1918, herausgegeben von Heimo Schwilk, 144 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 8 Seiten Bildteil, Zeittafel, Klett-Cotta, 1. Auflage Stuttgart 2014, ISBN: 978-3-608-93950-7, 19,95 Euro (D)