Nach Bedenkzeit zugesagt
Kapitänin der Mannschaft wurde die älteste Frankfurterin erstmals diese Saison. Frankfurts neuer Cheftrainer Colin Bell suchte nach dem Weggang von Ex-Kapitänin Nadine Angerer nach einer geeigneten Nachfolgerin für den frei gewordenen und vakanten Posten. Sein Augenmerk fiel recht schnell auf die 34-jährige Mittelfeldspielerin, die 2004 vom FFC Heike Rheine an den Main wechselte, und gerade dabei war in ihre zehnte Saison im FFC-Trikot zu gehen. Nach zwei Tagen Bedenkzeit war es dann soweit, dass Kerstin Garefrekes zusagte.
Von Woche zu Woche abrufen
Seitdem befindet sich im Mannschaftsgefüge eine erfahrene und auf Konsens bedachte Persönlichkeit. Näher am Team stehende Beobachter sprechen von einer Vorbildrolle, seitdem befindet sich der 1. FFC Frankfurt als Ganzes im Aufschwung. Garefrekes stuft die Leistungsfähigkeit des FFC-Kaders als sehr hoch ein. Sie gibt aber zu bedenken: "Wir haben zwar noch mehr als Jahre zuvor diese Saison das Potential ganz oben mitzuspielen. Entscheidend ist aber, dass man das Potential auch Woche für Woche abruft. Das Niveau der Bundesliga ist sowohl in der Breite als auch in der Spitze hoch wie nie. Das sah man schon daran, dass an den ersten beiden Spieltagen kein Team zwei Siege verbuchen konnte. Von daher muss jedes Spiel erst einmal gespielt werden."
Deutlich temporeicher
Kerstin Garefrekes Aussage kann auch als Weckruf für die meist international spielenden Mitspielerinnen interpretiert werden. Immerhin war Garefrekes in der letzten Saison beste Torschützin beim FFC und stellt darüber hinaus in der langen Bundesliga-Historie die bislang torgefährlichste Mittelfeldspielerin dar, die es je gegeben hat. Ihre Aufgabe als Torjägerin hat im aktuellen Kader mittlerweile die jüngere Nationalstürmerin und Europameisterin Célia Sasic übernommen, die mit dem neu engagierten Cheftrainer gemeinsam vom SC 07 Bad Neuenahr zum Main wechselte. Nach Auffassung von Kerstin Garefrekes, die im Jahr der WM 2011 in Deutschland in die symbolisch zu wertende FIFA-Mannschaft des Turniers gewählt und nominiert wurde, ist der Frauenfussball in den letzten vier bis fünf Jahren deutlich athletischer und temporeicher geworden.
An sich arbeiten
"Was ich vor 10 Jahren trainiert habe, würde wohl heute nicht mehr funktionieren. Trainingsinhalte und – intensität sind nicht mehr mit Stand zu vergleichen, als ich in der Bundesliga angefangen habe. Von daher ist es zwingend nötig, immer an sich zu arbeiten und sich auf neue Entwicklungen und Methoden einzulassen." Weltmeisterin, Europameisterin, Medaillengewinnerin bei Olympia, UEFA-Cup Siegerin, Deutsche Meiusterin, DFB-Pokalsiegerin – alle diese Titel manchmal doppelt oder dreifach stecken in der einmaligen Erfolgsbilanz der mit dem "Silbernen Lorbeerblatt" Orden ausgezeichneten Fußballerin. Mit allen diesen Medaillen und Auszeichnungen fühlt sich die Frankfurterin zwar geehrt, aber ihre sportlichen Ziele sind in keinster Weise davon abhängig.
Frei werdende Zeit
Sie meint dazu ziemlich nüchtern: "Von einem gewonnenen Titel kann ich mir in der folgenden Saison nichts kaufen. Es wird einem deshalb nichts geschenkt – ganz im Gegenteil. Wenn man diesen Sport also mit Leidenschaft ausübt, dann will man immer wieder Erfolg haben und gewinnen, egal was in der vergangenheit war. Und ich würde gerne, nachdem es in den letzten Jahren nicht so gut funktioniert hat, mit dem 1. FFC Frankfurt wieder neue Erfolge feiern. Kerstin Garefrekes beendete nach der misslungenen deutschen WM-Beteiligung fast zeitgleich mit ihrer ehemaligen Mannschaftskollegin Birgit Prinz ihre Länderspielkarriere als Nationalspielerin. Sie nutzte endlich frei werdende Zeit für ihre berufliche Weiterentwicklung und Karriere.
Keine Wehmut
Wer am Frankfurter Paulsplatz die Stadtverwaltung durch das Gebäude des Kassen- und Steueramtes betritt, wird sie im Alltag bei ihrem Dienst als Beamtin der Frankfurter Stadtkämmerei im Controlling für das Dezernat Umwelt antreffen können. Dank einer flexiblen 21-Stunden-Woche konnte sie Beruf und Spitzensport unter einen Hut bringen. Über ihre Zeit 10-jährige Zeit als Nationalspielerin von 2001 bis 2011 mit 130 Länderspielen und 43 Toren spricht sie in höchster Freude und Dankbarkeit. Als sie die exzellenten Highlights der Europameisterschaft in Schweden zum ersten Mal zu Hause am Fernseher verfolgte, hätte sie nichts dagegen gehabt, nochmal mit dabei zu sein. Trotz 8. Europameistertitel kommt bei der Rekordinternationalen keine Wehmut auf.
Realitätssinn
"Ich hatte eine sensationelle Zeit mit der Nationalmannschaft und genieße nun die Vorteile, die man hat, wenn man nicht jedes Wochenende unterwegs ist. Jetzt habe ich hin und wieder freie Wochenenden und die Sommerpausen richten sich nicht alle zwei Jahre nach den großen Turnieren." Sie bezeichnet den Fußball als ihr intensives Hobby, nicht als ihren Beruf. "Ich bin gut abgesichert, ich brauche nicht noch zusätzliche Werbeverträge: Mein Lebensziel ist es nicht, möglichst viel Geld zu verdienen. Ich will einfach nur gut Fußball spielen,"erklärte sie anläßlich des überzogenen Trubels vor der Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland. Versuchen der starken persönlichen Vermarktung durch den Promotor Dietrich, dem Manager des 1. FFC Frankfurt, stand sie offensichtlich mit höflicher Zurückhaltung gegenüber. Zu stark verankert ist ihr Realitätssinn für das Machbare und die nähere berufliche Zukunft.
Vorbild für Viele
Sie schloss ihr Public-Management-Studium mit einer Diplomarbeit über "Strategisches Management im Vereinsfrauenfußball" ab. Ihre Beamtenlaufbahn wird sie wohl nicht aufgeben wollen, aber grundsätzlich würde sie einer zusätzlichen Tätigkeit im Fußball für den Fußball nicht abgeneigt sein. Das Umfeld in der Stadtgesellschaft in Frankfurt mit dem wirtschaftlich prosperienden Hinterland des polyzentrisch gefügten Rhein/Main/Gebietes hat es ihr mittlerweile sehr angetan – privat, beruflich und sportlich. Sie hat das getan, was ein junger Mensch tun sollte: sie hat ihre Chancen genutzt und ist immer weiter fortgeschritten. Das macht sie zum Vorbild für viele Frauen im Frauenfußball.
Landei aus Westfalen
Engagiert wurde sie noch unter der Ägide von Monika Staab, der heutigen FIFA Entwicklungsberaterin für den Frauenfußball in Katar, die bis zum Jahresende 2006 die Präsidentschaft des 1. FFC Frankfurt inne hatte und nach einem Zerwürfnis mit dem heutigen Manager Dietrich Hals über Kopf in die internationalen Dienste der FIFA überwechselte. Für Kerstin Garefrekes hingegen wurde in Frankfurt und Hessen heimisch und sesshaft. Im Rückblick äußert sie sich ziemlich ironisch: " Als ich als Landei aus Westfalen damals hierhin gekommen bin, war es eher Liebe auf den zweiten Blick – ich brauche eine gewisse Zeit, um mich wirklich heimisch zu fühlen. Mittlerweile betrachte ich Frankfurt als meine zweite Heimat, in der ich mich absolut wohl fühle. Das hätte ich damals nicht für möglich gehalten.
Von Spiel zu Spiel denken
In der Frauen-Bundesliga absolvierte die torgefährliche Mittelfeldspielerin vor kurzem ihr 300. Spiel. „Mir macht es weiterhin Spaß, Fußball zu spielen und auch nach vielen Jahren in Nationalmannschaft und Frauen-Bundesliga fühle ich mich motiviert, die kommenden Herausforderungen mit meinen Mannschaftskolleginnen und dem Team um Trainer Colin Bell anzugehen. Ich habe mich nicht nur wegen des momentanen Erfolgs, sondern vor allem auf Grund der Art und Weise, wie unsere Mannschaft in den letzten Wochen und Monaten zusammengewachsen ist, für eine frühzeitige Vertragsverlängerung entschieden. Im weiteren Saisonverlauf wollen wir den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und dabei auch zukünftig von Spiel zu Spiel denken.“
Gesellschaftliche Anerkennung
Die Vertragsverlängerung mit einer großen Persönlichkeit des Frauenfußballs, die den erfolgreichen Weg des 1. FFC Frankfurt in den letzten zehn Jahren maßgeblich mitgeprägt hat, ist für das Umfeld der Sponsoren und Investoren in Frankfurt ein wichtiges und positives Signal. Der fußballerische und berufliche Werdegang von Kerstin Garefrekes reifte in Frankfurt. Ob Garefrekes einmal in die Fußstapfen einer Monika Staab als weibliche Präsidentin eines Frauenfußballvereins nach der Zeit der Präsidentschaft von Bodo Adler treten wird oder als ehrenamtliche sportpolitische Nachfolgerin von DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg klingt vielleicht noch etwas utopisch, aber zuzutrauen wäre es der Neu-Frankfurterin aus Westfalen. Die Erfahrung, die Bildung und die gesellschaftliche Anerkennung liegen bereits vor.