Zu all dem in Beziehung gesetzt ist das Paar Peter und Petra. Beide sind Mitte 40, berufstätig mit zufriedenstellendem Einkommen. Sie wollen ihr Singledasein beenden und miteinander ein neues Leben beginnen. Damit verhalten sie sich entsprechend der Norm, nach der Eheschließungen und Familiengründungen in der Mittelklassegesellschaft erst dann erfolgen, wenn Mann und Frau beruflich Fuß gefasst haben und wirtschaftlich abgesichert sind.
Daneben gibt es jedoch auch die Norm, nach der Paare unbedingt jung sein müssen und alle Älteren sich dezent an den Rand der Gesellschaft zurückzuziehen haben.
Peter und Petra sind allerdings schon seit ihrer Kindheit und Jugend unauffällig. Petra wurde nicht einmal von ihren Eltern bemerkt, und Peter hatte schon früh das Nachsehen, wenn die Mädchen auf den Fahrrädern, die er für sie repariert hatte, mit anderen Jungen in die Natur fuhren.
So ganz durchschnittlich ist dieses Paar nicht. Beide sind mit außerordentlich gut entwickelten Minderwertigkeitskomplexen ausgestattet und haben die Überzeugung verinnerlicht, dass ihnen kein Glück zusteht. Aber nun sind sie einander begegnet, und auf einmal ist alles ganz anders. Sie lieben einander und könnten unbeschwert aufbrechen in ein neues Leben ohne Einsamkeit, wenn ihre Ängste nicht wären, die Geister, die alles Neue verhindern wollen und Peter und Petra einflüstern, sie seien zu alt für einen Neubeginn.
Im Kampf zwischen alten Gewohnheiten und neuer Liebe obsiegt diese am Ende. Die Gesellschaftskritik bleibt auf der Strecke, und das Ganze entpuppt sich als heiße Luft, in der ein paar Klischees herumwirbeln.
Regisseur Rafael Sanchez war klug genug, sich gar nicht erst auf Sinnsuche in diesem Stückchen zu begeben. Er hat ein munteres Geistertreiben auf die Bühne gebracht, die im Text fehlenden Pointen durch optische Effekte ersetzt, viel Musik und Gesang hinzugefügt und so eine schwungvolle Revue kreiert.
Neben den beiden Hauptgeistern (Natali Seelig und Christoph Franken), die sich Einiges einfallen lassen, um den Zusammenschluss von Peter und Petra zu verhindern, gibt es den verführerischen Geist am Saxophon (Cornelius Borgolte) sowie 19 weitere Spukgestalten.
Ursula Leuenberger hat, mit viel Lust am Detail, zauberhafte Kostüme geschaffen. Die Geister tragen weiße Astronautenanzüge, auch Köpfe und Gesichter sind weiß umhüllt mit runden Gucklöchern und aufgemalten breiten Mündern, einige lachend, andere mit heruntergezogenen Mundwinkeln und langen spitzen Zähnen zwischen den schwarzen Lippen.
Natali Seelig und Christoph Franken dürfen gelegentlich auch Gesicht zeigen und sich in unterschiedlichen Rollen mit phantasievollem Outfit präsentieren. Wundervoll sind sie als Schickimickipärchen mit weißen Lockenperücken, in schwarzen Lack gewandet und sechs Geister als kläffende, Spaghetti fressende Hundemeute auf Peter und Petra hetzend.
Diese Beiden (Judith Hofmann und Peter Moltzen) sind schon optisch als arme Würstchen erkennbar. Sie sind sehr spinös bekleidet, selbstverständlich einander ähnlich, wobei Petras Weste über der gepunkteten Bluse noch etwas klein karierter ist als Peters Pullunder über seinem gleichfalls gepunkteten Hemd.
Judith Hofmann und Peter Moltzen sind sehr anrührend als schüchtern verliebtes Paar. Sie gestalten Petra und Peter mit einem leichten Hauch von Ironie als Menschen, die sehr wohl komisch, aber niemals lächerlich sind.
Peter und Petra erschrecken immer wieder angesichts der Zukunftsvisionen, die von den Geistern heraufbeschworen werden. Mit seiner feinen, unbesiegbaren Entschlossenheit besteht das Paar dennoch alle Prüfungen.
Peter und Petra müssen sich als völlig ungeeignete Eltern erleben, während Natali Seelig und Christoph Franken mit Stoffköpfen und Wollhaaren als widerspenstige Sprösslinge agieren. Und weil Peter und Petra ihren Kindern gegenüber total versagt haben, müssen sie ihren Lebensabend in einem Altenheim beschließen, in dem es selbstverständlich gänzlich inhuman zugeht. Das Sterben und nachfolgende Totsein gestaltet sich jedoch angenehm unkompliziert für Peter und Petra, und nachdem sie nun, neben allen anderen Ängsten, auch die Angst vor dem Tod überwunden haben, dürfen die Liebenden endlich das Leben führen, das sie sich gewünscht haben.
Peter erscheint, wie versprochen, mit dem Möbelwagen vor Petras Haus, die Geister sind verschwunden, und der Einzug in die neuen gemeinsamen Lebensräume kann beginnen.
„Nur Nachts“ von Sibylle Berg hatte am 25.11. Premiere in den Kammerspielen. Weitere Vorstellungen: 08., 15. und 28.12.2010.