Tägliche Tote an der Waffenstillstandslinie des Jahres 1994
In dem Maße, wie die in dieser Region verständigungsunwilligen eigentlichen Player miteinander umgingen, bestimmten sie über das tägliche Töten an der Waffenstillstandsgrenze. Während die Welt über den Begriff des "eingefrorenen Konfliktes" geradezu eingelullt wurde und von einer durchaus friedlichen, wenn auch spannungsreichen, Gesamtlage um Berg-Karabach ausging, war die eigentliche Frontlinie Ausdruck einer perversen Logik. Um nur ja nicht den Eindruck einer mehr und mehr normalen und damit friedlichen Gesamtlage entstehen zu lassen, trieben auf beiden Seiten Scharfschützen ihr tägliches und tödliches Unwesen. Unter allen Umständen sollte sichergestellt sein, dass sich niemand an den Frieden gewöhnen sollte. Die Soldaten sollten "scharf" gehalten werden. Dafür waren die örtlich zuständigen Machthaber verantwortlich. Sie hätten es in den mehr als zwei Jahrzehnten seit den mörderischen Auseinandersetzungen mit zehntausenden Toten und hunderttausenden Vertriebenen in der Hand gehabt, wieder zu dem zurückzukehren, was es im Kaukasus immer wieder gegeben hatte: den friedlichen Austausch, um auch die Folgen der Auseinandersetzungen Anfang der neunziger Jahre in den Griff zu bekommen.
Verständigung war kein Fremdwort. Woran lag es, daß sie nicht zustande kommen durfte?
Man kann, aber man muss nicht in die komplizierte Geschichte des Kaukasus und seiner ethnischen Gruppen einsteigen, um sich Gedanken über eine friedliche Beilegung des Konfliktes machen zu können. In Berg-Karabach siedeln nun einmal mehrheitlich Armenier, obwohl des Berggebiet eindeutig zum Staatsgebiet von Aserbaidschan gehört. Es war immer fraglich, ob es möglich sein könnte, die Straßenverbindungen zwischen Armenien und Berg-Karabach so zu gestalten, dass ein ungehinderter Verkehr zwischen Armenien und Berg-Karabach stattfinden könnte? Aus der jüngeren deutsch-polnischen Geschichte sind uns Überlegungen zu einem Korridor nicht fremd. Es gab Zeiten, in denen wegen des Wirkens von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl der aserbaidschanische Präsident Alijev überaus verständigungswillig war, was die faktische Gestaltung der Lebensverhältnisse in der umkämpften Region anbetraf, auch um die tödliche Last von den Schultern zu nehmen. Die Zahl der Vertriebenen aus dieser Region wird in Aserbeidschan immer noch mit rund einer halben Million Menschen angegeben. Da der Konflikt von den unmittelbar beteiligten Kräften bis auf den letzten Feldweg "heruntergebrochen" wurde, konnte auf diesem Niveau auch der Ausgleich gefunden werden. Die Verhältnisse waren aber nicht so und man musste sich vor Ort immer fragen, woran es diesmal wieder gelegen haben konnte?
Die regionalpolitische und globale Lage überlagert den eingefrorenen Konflikt
Natürlich steht an diesem Wochenende eine Frage im Vordergrund. Wer hat den ersten Schuss abgefeuert, der in der Folge für die zahllosen Opfer verantwortlich gewesen ist? Diese Frage geht uns alle an, weil sie Einfluss auf unser Leben nehmen kann. Wir haben Erfahrungen mit Dingen, die im Kaukasus losgetreten werden. Es sei nur an den "Olympia-Krieg" des unsäglichen georgischen Präsidenten Saakaschwilli im Jahre 2008 erinnert. Die Welt freute sich auf olympische Spiele in Beijing, als Tiflis seine Panzer gegen Süd-Ossetien und damit gegen Moskau rollen lies. Die Folgen sind bekannt, aber sie macht auch deutlich, was man in Verkennung aller Umstände sich im Kaukasus traut herauszunehmen, wenn man glaubt, im Auge des "globalen Patrons" Ermunterung für eigenen Schwachsinn herauslesen zu können. Warum soll das an diesem Wochenende anders gewesen sein? Die sofort herausgegebenen Stellungnahmen der unmittelbar beteiligten Seiten lassen jedenfalls den Schluss zu, dass über die ausgebrochenen Feindseligkeiten weitere Ziele anvisiert werden sollten. Anders kann das nicht gelesen werden, was in Baku dazu verlautbart worden ist. Irgendjemand muss sich dazu entschieden haben, die derzeitige weltpolitische Lage zu seinen Gunsten zu nutzen, um den eingefrorenen Konflikt auf die Ebene eines weltpolitischen Interesses zu heben.
Die üblichen Verdächtigen machen sich im Kaukasus breit
Es gibt internationale Foren zu Hauf, in denen derzeit Ohnmacht produziert wird. Die Welt steuert auf neue Auseinandersetzungen zu und warum sollte dann ein lokaler Konflikt im Kaukasus, der beseitigt werden könnte, eigentlich gelöst werden, wenn man ihn trefflich gegen den globalen Rivalen oder regionalpolitischen Gegner nutzen kann? Zwar trifft man sich auf der Ebene der OSZE in der sogenannten Minsk-Gruppe, um über den Konflikt im Kaukasus zu sprechen, wenn man denn Lust hat. Aber wer hat heute Lust darauf, friedensstiftend zu sein? Alle diejenigen, die derzeit miteinander im Clinch liegen, wirken unmittelbar auf die Akteure im Kaukasus ein. Umgekehrt entwickelt sich daraus auch ein Schuh, so daß man sich sehr wohl fragen muß, wer die Marionette von wem ist? Damit wird jedenfalls ein Konflikt, der sich trefflich bezüglich einer Erweiterung wird nutzen lassen können, so an den Hängen des Kaukasus ausgetragen, daß wieder Schlimmes zu befürchten ist. Daran herrscht derzeit zum Leidwesen der Menschen in Europa und dem Mahen und Mittleren Osten kein Mangel und wir alle wissen, warum das so ist.