Hier der öffentliche Brief im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Neusser,
Ihre Zeitung hat in der Vergangenheit Beiträge dazu geleistet, die Vorgänge um das WCCB aufzuklären. Dem Redaktionsteam, das dafür den "Wächter-Preis" erhalten hat, habe ich dazu meine Glückwünsche übermittelt. Dennoch veranlassen mich Teile der Berichterstattung, Ihnen zu schreiben.
Unabhängig von der lückenlosen Aufklärung, der ich mich verpflichtet fühle, will ich, weil das in der Berichterstattung z.Zt. überhaupt keine Rolle mehr spielt, vorab noch einmal daran erinnern, dass der Bau des WCCB auf einer Zusage von Bund, Land und Stadt gegenüber den Vereinten Nationen beruht, diesen ein UNO-geeignetes Kongresszentrum zur Verfügung zu stellen. Das war Voraussetzung für die Ansiedlung von UNO-Einrichtungen in Bonn und ist insofern ein ganz wesentlicher Eckstein im Zukunftskonzept unserer Stadt. Neben der Vergangenheitsbewältigung hat darum die Fertigstellung des WCCB für mich höchste Priorität.
Nun zum Grund meines heutigen Schreibens: Ich habe am 21. Oktober letzten Jahres, zu Beginn meiner Amtszeit, im Zusammenhang mit dem WCCB Transparenz versprochen. Allerdings muss ich wiederholt feststellen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Zeitung mit der Fülle der ihnen von mir überlassenen Informationen nicht durchgängig journalistisch verantwortungsvoll umgehen. In den Artikeln zum WCCB dominieren oft Vermutungen, manchmal ist das wichtigste Satzzeichen das Fragezeichen; Fakten und Beweise scheinen ihnen weniger wichtig.
Ich beschränke mich auf zwei Beispiele, in denen es um meine Person geht:
Bei einer Pressekonferenz im November 2009, also wenige Wochen nach meinem Amtsantritt, habe ich alle vorhandenen Unterlagen zum "WCCB-Komplex" zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt; das war neu. Außerdem wurde eine Mitteilung aus der Staatsanwaltschaft verlesen, nach der der Stadt Bonn keine weitergehende Einsichtnahme in beschlagnahmte Akten gewährt werden kann. Was mir zur Verfügung stand, lag also alles auf dem Tisch. Zwei Ihrer Mitarbeiter blätterten etwa 30 Minuten in den Ordnern; mehr Interesse haben die aufwändig erstellten Aktensammlungen bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nie gefunden.
Wenige Tage danach, am 17. November 2009, war in der "Millionenfalle XX" zu lesen: "”¦ die angekündigte Transparenz-Offensive des neuen Oberbürgermeisters scheint eine zeitliche Schallmauer zu haben: Die Transparenz beginnt erst am 21. Oktober 2009. Der Tag, an dem Nimptsch sein Amt antrat." Jetzt "”¦bleibt offenbar nur der den 315.000 Bürgern verpflichtete Rat als Hoffnungsträger."
Mit einem "scheint" und einem "offenbar" hatte man mir im Handumdrehen die Glaubwürdigkeit abgesprochen, es mit der versprochenen Transparenz ernst zu meinen.
Ich habe in der Folgezeit mehrfach Hintergrundgespräche mit Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geführt und dabei auch erläutert, an welche Rechtsgrundlagen mein Handeln gebunden ist. Hinzu kam ein persönliches Gespräch mit Ihnen zu den Folgen eines "Verdachtsjournalismus" und ein persönlicher Brief an Sie, in dem ich ein nochmaliges Gespräch angeboten habe.
Dennoch mündete ein weiterer Artikel am 1. April dieses Jahres in der Behauptung, es schlummere "”¦das eigentliche ’Papier-Dynamit’ im Tresor von Bonns neuem Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch, der dem Bürger mehr Transparenz beim WCCB versprochen hat: der Bericht des Rechnungsprüfungsamtes. Die Sprengkraft dieses Papiers ergibt sich nach GA-Informationen aus der Tatsache, dass es sich um einen unverblümten Report handelt, der im Tresor auf seine Glättung durch ’wohl informierte Kreise’ wartet. Was soll das Volk erfahren, was nicht?"
Damit wird mir die Absicht unterstellt, den Bericht des Rechnungsprüfungsamtes zu verändern oder verändern zu lassen, um den Bürgerinnen und Bürgern Wichtiges zu verschweigen. – Eine solch haltlose Verdächtigung grenzt an Infamie.
Mich beschäftigt nun weniger die Frage, ob der auf diese Art in Ihrer Zeitung offensiv gepflegte "Verdachtsjournalismus" juristisch zu beanstanden ist oder nicht. Ich sorge mich um etwas anderes: Ich beobachte in unserer Stadt ein bislang nicht gekanntes Klima, in dem, ausgehend von den Artikeln in Ihrer Zeitung, jede und jeder verdächtigt wird, der nicht auf dieselbe Weise und in derselben Lautstärke wie Ihre Zeitung Verdächtigungen formuliert, ohne diese belegen zu müssen.
In Kreisen seriöser Journalisten gibt es ja seit einiger Zeit eine bemerkenswerte Diskussion über journalistisches Ethos. Reinhard Müller hat in einem lesenswerten FAZ-Artikel dazu einen Beitrag geleistet und geschrieben: "Wenn Politiker als vogelfrei gelten, ist auch die Demokratie am Ende." Der Artikel beschäftigt sich mit der Frage "Wo hört Journalismus auf?"
Ja, wo hört Journalismus auf, Herr Neusser? – Ich lade Sie ein zu einem öffentlichen Streitgespräch zu diesem Thema zwischen Ihnen und mir. Damit möglichst viele Menschen dem Gedankenaustausch folgen können, sollte unser Gespräch im Internet live übertragen werden.
In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich
mit freundlichem Gruß
Jürgen Nimptsch
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Quelle: Presseamt der Stadt Bonn